BERLIN/BOCHUM (dpa) — Der schnel­le Aufbau von Teststa­tio­nen im ganzen Land hat auch seine Schat­ten­sei­ten. Mögli­cher Betrug ruft die Justiz jetzt auf den Plan. Der Gesund­heits­mi­nis­ter kündigt mehr Kontrol­len an.

Das Netz an priva­ten Corona-Teststel­len in Deutsch­land ist immer dichter gewor­den — darun­ter scheint es aber auch «schwar­ze Schafe» zu geben.

Ein mögli­cher Abrech­nungs­be­trug bei Bürger­tests zieht immer weite­re Kreise, die Justiz ermit­telt. Gesund­heits­mi­nis­ter Jens Spahn (CDU) kündig­te am Wochen­en­de «stich­pro­ben­ar­tig mehr Kontrol­len» an.

Egal ob bei Masken oder beim Testen — jeder, der die Pande­mie nutzt, um sich krimi­nell zu berei­chern, sollte sich schämen», schrieb der Minis­ter im Kurznach­rich­ten­dienst Twitter. Die SPD attackier­te Spahn, die Grünen verlang­ten die Nachbes­se­rung der Testver­ord­nung, die FDP sogar einen Sonder­er­mitt­ler. Auch der Deutsche Städte­tag dringt auf Konsequenzen.

In den vergan­ge­nen Monaten sind Testzen­tren wie Pilze aus dem Boden geschos­sen. Getes­tet wird unbüro­kra­tisch. Seit Anfang März sieht die Corona-Testver­ord­nung der Bundes­re­gie­rung solche Bürger­tests vor. Der Bund übernimmt die Kosten für mindes­tens einen Schnell­test pro Bürger und Woche. Die Teststel­len erhal­ten 18 Euro pro Test.

Eine mangeln­de Kontrol­le könnte ein Einfalls­tor für Abrech­nungs­be­trug bieten, wie Recher­chen von WDR, NDR und «Süddeut­scher Zeitung» (SZ) ergeben hatten. Stich­pro­ben hätten etwa an einer Teststel­le in Köln ergeben, dass statt 70 wirklich genom­me­ner Proben fast 1000 abgerech­net worden seien. Ähnli­ches hätten Stich­pro­ben unter anderem in Essen und in Münster zutage geför­dert. Der Bericht verweist auf mangeln­de Kontroll­mög­lich­kei­ten seitens der Behörden.

Die Schwer­punkt­staats­an­walt­schaft Wirtschafts­kri­mi­na­li­tät in Bochum nahm Ermitt­lun­gen auf wegen des Verdachts des Abrech­nungs­be­trugs bei Corona-Bürger­tests. Das bestä­tig­te ein Sprecher der Behör­de in Düssel­dorf. Ermit­telt werde gegen zwei Verant­wort­li­che eines in Bochum ansäs­si­gen Unter­neh­mens, das an mehre­ren Stand­or­ten Teststel­len betrei­be. Anlass der Ermitt­lun­gen waren demnach die Recher­chen von WDR, NDR und SZ.

Wie die Staats­an­walt­schaft bestä­tig­te, wurden im Ruhrge­biet bereits Geschäfts­räu­me und Privat­woh­nun­gen durch­sucht. Dabei seien auch Unter­la­gen beschlag­nahmt worden. Den Namen des verdäch­ti­gen Unter­neh­mens wollte die Behör­de nicht nennen.

Das Kölner Gesund­heits­amt befürch­tet, dass es sich nur um die Spitze des Eisbergs handelt. Man habe die große Sorge, dass dies nicht der einzi­ge Fall sei, «sondern dass noch weite­re Fälle uns in Zukunft beschäf­ti­gen werden», sagte Behör­den­lei­ter Johan­nes Nießen in der ARD.

Laut «Tages­schau» befürch­ten Gesund­heits­äm­ter zudem, dass falsche Testmel­dun­gen die Daten­la­ge über den Pande­mie­ver­lauf verfäl­schen könnten. So seien von drei Test-Stand­or­ten, an denen WDR, NDR und SZ recher­chiert hätten, inner­halb von einer Woche 25.000 Tests gemel­det worden, darun­ter aber kein einzi­ger positi­ver Fall.

Spahn wies darauf hin, dass die aller­meis­ten Anbie­ter von Teststel­len «das mit großen Engage­ment, sehr profes­sio­nell und auch sehr ordent­lich machen». Die Bürger­tests seien sehr pragma­tisch in einer Situa­ti­on möglich gemacht worden, in der ein schnel­ler Aufbau gewollt gewesen sei, sagte der Minis­ter in Preto­ria während eines Südafri­ka-Besuchs. Dabei entschie­den die Behör­den am Ort über Betrei­ber von Teststel­len wie Ärzte, Apothe­ker, Rotes Kreuz oder auch priva­te Anbieter.

Die SPD sieht Spahn in der Verant­wor­tung. Der Parla­men­ta­ri­sche Geschäfts­füh­rer der SPD-Bundes­tags­frak­ti­on, Carsten Schnei­der, sagte der dpa: «Nach den Masken jetzt die Schnell­tests. Das Manage­ment­ver­sa­gen im Gesund­heits­mi­nis­te­ri­um hat inakzep­ta­ble Ausma­ße angenom­men.» Spahn habe Warnun­gen und Hinwei­se von Abgeord­ne­ten der Koali­ti­ons­frak­tio­nen für die Testbe­din­gun­gen ignoriert. «Er trägt die Verant­wor­tung für den verant­wor­tungs­vol­len Umgang mit dem Geld der Steuer­zah­ler und muss die Selbst­be­die­nung unver­züg­lich beenden.»

Die gesund­heits­po­li­ti­sche Spreche­rin der Grünen, Maria Klein-Schmeink, sagte dem «Handels­blatt», Spahn müsse «unver­züg­lich die Testver­ord­nung nachbes­sern und die Lücken schlie­ßen». FDP-Frakti­ons­vi­ze Micha­el Theurer, forder­te die Einset­zung eines Sonder­er­mitt­lers, um den mutmaß­li­chen Abrech­nungs­be­trug aufzuklären.

Der CDU-Gesund­heits­po­li­ti­ker Erwin Rüddel wies im «Handels­blatt» darauf hin, dass aus Daten­schutz­grün­den keinen Daten von Getes­te­ten erhoben würden, «so dass die abgerech­ne­te Anzahl an Tests kaum kontrol­liert werden kann.»

Der Haupt­ge­schäfts­füh­rer des Deutschen Städte­tags, Helmut Dedy, sagte der dpa: «Es muss rasch geklärt werden, wie Kontrol­len verstärkt und ob Abrech­nungs­ver­fah­ren verän­dert werden müssen.» Ein dichtes Netz an Testmög­lich­kei­ten sei wichtig, weil es in der aktuel­len Phase der Pande­mie mehr Norma­li­tät ermög­li­che. «Die Testzen­tren leisten gute Arbeit. Klar ist aber auch: Jedem Betrugs­ver­dacht muss nachge­gan­gen werden.»

Dedy sagte weiter: «Die Abrech­nung der Tests, die der Bund finan­ziert, organi­sie­ren die Kassen­ärzt­li­chen Verei­ni­gun­gen. Bund und Länder müssen sich mit den Kassen­ärzt­li­chen Verei­ni­gun­gen darüber verstän­di­gen, in welcher Form die Abrech­nun­gen geprüft werden.» Die Gesund­heits­äm­ter beauf­trag­ten die Testzen­tren mit der Aufga­be des Testens und kontrol­lier­ten stich­pro­ben­ar­tig die Einhal­tung von Hygie­ne­stan­dards. «In die Abwick­lung von Zahlun­gen sind sie dagegen nicht einge­bun­den. Sie können daher dazu keine Prüfun­gen vornehmen.»

Spahn sagte dazu, dass eine nachträg­li­che Kontrol­le bereits vorge­se­hen sei. Anbie­ter müssten damit rechnen, dass Unter­la­gen bis Ende 2024 überprüft werden können. Ohnehin geplant gewesen sei, die Vergü­tung angesichts des größe­ren Angebots auf dem Markt demnächst zu senken.

Die Deutsche Stiftung Patien­ten­schutz sieht als das größte Problem bei «krimi­nell organi­sier­ten» Corona-Teststel­len die mangeln­de Quali­tät. Vorstand Eugen Brysch sagte der dpa: «Wo solche Struk­tu­ren herrschen, ist in der Regel auch die Quali­tät der Tests schlecht.»

Ein Sprecher des Bundes­jus­tiz­mi­nis­te­ri­ums sagte auf Anfra­ge: «Bei Betrugs­ver­dacht bedarf es konse­quen­ter straf­recht­li­cher Ermitt­lun­gen.» Gewerbs­mä­ßi­ger Betrug könne nach dem Straf­ge­setz­buch mit bis zu zehn Jahren Freiheits­stra­fe geahn­det werden.

Von Andre­as Hoenig, Betti­na Gröne­wald und Bernd Röder, dpa