WASHINGTON/BERLIN/MOSKAU (dpa) — Der US-Präsi­dent findet drasti­sche Worte für eine mögli­che russi­sche Invasi­on in der Ukrai­ne. Auf Nachfra­ge räumt Biden auch ein: Ob es dazu komme, sei «ein bisschen wie im Kaffee­satz lesen».

Ein russi­scher Einmarsch in die Ukrai­ne könnte angesichts der massi­ven Truppen­prä­senz in der Nähe der Grenze nach Ansicht von US-Präsi­dent Joe Biden die «größte Invasi­on seit dem Zweiten Weltkrieg» werden. Ein solcher Schritt würde «die Welt verän­dern», warnte Biden.

Nach US-Angaben soll Moskau entlang der ukrai­ni­schen Grenze rund 100.000 russi­sche Solda­ten in Stellung gebracht haben. Mit Blick auf Russlands Präsi­dent Wladi­mir Putin sagte Biden, dieser «baut die Truppen­prä­senz entlang der ukrai­ni­schen Grenze weiter aus».

Biden fügte hinzu: «Falls er mit all diesen Truppen einmar­schie­ren würde, wäre das die größte Invasi­on seit dem Zweiten Weltkrieg.» Es war nicht klar, ob sich Biden mit seiner Aussa­ge spezi­fisch auf Europa bezog, denn beim US-geführ­ten Einmarsch im Irak waren 2003 deutlich mehr Solda­ten zum Einsatz gekom­men. In Afgha­ni­stan wieder­um wurde die Präsenz der sowje­ti­schen Truppen nach ihrem Einmarsch 1979 mit rund 120.000 angegeben.

Biden droht Moskau mit Gegenmaßnahmen

Moskau hat Pläne zu einem angeb­li­chen Einmarsch in die Ukrai­ne demen­tiert. Biden warnte Russland erneut für den Fall eines Angriffs vor drasti­schen Gegen­maß­nah­men und machte deutlich, dass er sich auch Sanktio­nen direkt gegen den russi­schen Präsi­den­ten Wladi­mir Putin vorstel­len könnte. Gleich­zei­tig beton­te der US-Präsi­dent, es gebe keine Pläne, US-Truppen in die Ukrai­ne zu schicken. «Es werden keine ameri­ka­ni­schen Kräfte in die Ukrai­ne verlegt.»

Das US-Militär hatte am Montag rund 8500 Solda­ten in erhöh­te Bereit­schaft versetzt, um bei Bedarf eine schnel­le Verle­gung nach Europa zu ermög­li­chen. «Ich könnte einige dieser Truppen kurzfris­tig verle­gen — einfach, weil es eine gewis­se Zeit dauert», sagte Biden. Dies sei keine Provo­ka­ti­on, sondern eine Vorsichts­maß­nah­me, um den Sorgen der osteu­ro­päi­schen Nato-Mitglie­dern zu begeg­nen, sagte er.

Auf Nachfra­ge fügte Biden hinzu, es sei nach wie vor unklar, ob Putin tatsäch­lich einen Angriff plane. «Ich werde vollkom­men ehrlich mit Ihnen sein: Es ist ein bisschen wie im Kaffee­satz lesen.»

Angesichts eines massi­ven russi­schen Truppen­auf­mar­sches in der Nähe der Ukrai­ne wird im Westen befürch­tet, dass der Kreml einen Einmarsch in das Nachbar­land planen könnte. Für möglich wird aller­dings auch gehal­ten, dass nur Ängste geschürt werden sollen, um die Nato-Staaten zu Zugeständ­nis­sen bei Forde­run­gen nach neuen Sicher­heits­ga­ran­tien zu bewegen. Die Bemühun­gen um eine Entschär­fung des Konflikts dauern seit Wochen bei verschie­de­nen Gesprä­chen an.

Neue Gesprä­che im Normandie-Format

Auch Bundes­kanz­ler Olaf Scholz und der franzö­si­sche Staats­chef Emmanu­el Macron warnten Russland vor schwe­ren Konse­quen­zen einer weite­ren militä­ri­schen Aggres­si­on gegen die Ukrai­ne. Die Führung in Moskau müsse dringend zur Deeska­la­ti­on beitra­gen, forder­te Scholz am Diens­tag im Kanzler­amt, wo er den Franzo­sen zu einem Antritts­be­such empfing. Macron sagte, man berei­te eine gemein­sa­me Reakti­on für den Fall eines Angriffs vor. Er warnte: «Der Preis wäre sehr hoch.»

Erstmals seit Beginn der aktuel­len Spannun­gen wollen an diesem Mittwoch offizi­el­le Vertre­ter Russlands und der Ukrai­ne zu Gesprä­chen zusam­men­kom­men. Ein Treffen auf Berater­ebe­ne ist in Paris geplant. Auch Frank­reich und Deutsch­land sollen an der Zusam­men­kunft im sogenann­ten Norman­die-Format teilneh­men. Wie es aus Élysée­krei­sen hieß, soll es in den Gesprä­chen um humani­tä­re Maßnah­men und Zukunfts­über­le­gun­gen der Ukrai­ne gehen.

Deutsch­land und Frank­reich vermit­teln in dem seit 2014 andau­ern­den Konflikt. Ihr verhan­del­ter Friedens­plan liegt jedoch auf Eis. Nach UN-Schät­zun­gen wurden bei Kämpfen zwischen ukrai­ni­schen Regie­rungs­trup­pen und kreml­treu­en Separa­tis­ten in der ukrai­ni­schen Region Donbass mehr als 14.000 Menschen getötet. Macron will am Freitag mit dem russi­schen Präsi­den­ten Wladi­mir Putin telefo­nie­ren und ihm einen Weg der Deeska­la­ti­on vorschlagen.

Nato will auf Moskau zugehen

Nato-General­se­kre­tär Jens Stolten­berg kündig­te am Diens­tag im US-Sender CNN an, das Bündnis wolle noch in dieser Woche schrift­lich auf Russlands Sorgen um die Sicher­heit in Europa antwor­ten. Man werde der russi­schen Seite dabei deutlich machen, «dass wir bereit sind, uns zusam­men­zu­set­zen». Disku­tiert werden könne etwa über Rüstungs­kon­trol­le, Trans­pa­renz bei militä­ri­schen Aktivi­tä­ten oder Mecha­nis­men zur Risikominderung.

Stolten­berg beton­te, man sei auch willens, sich die russi­schen Beden­ken anzuhö­ren. «Aber wir sind nicht bereit, Kompro­mis­se bei den Grund­prin­zi­pi­en einzu­ge­hen.» Dazu gehöre das Recht jeder Nation in Europa, selber zu entschei­den, welchen Bündnis­sen sie sich anschlie­ßen wolle. Russland verlangt ein Ende der Osterwei­te­rung der Nato und will insbe­son­de­re verhin­dern, dass die Ukrai­ne Teil des westli­chen Vertei­di­gungs­bünd­nis­ses wird.

USA bieten Unter­stüt­zung bei russi­scher Gas-Reduzierung

Die USA berei­ten sich indes gemein­sam mit ihren Verbün­de­ten auf eine mögli­che Reduzie­rung russi­scher Gaslie­fe­run­gen nach Europa im Falle einer Eskala­ti­on vor. «Wir arbei­ten mit Ländern und Unter­neh­men auf der ganzen Welt zusam­men, um die Versor­gungs­si­cher­heit zu gewähr­leis­ten und Preis­schocks sowohl für die ameri­ka­ni­sche Bevöl­ke­rung als auch die Weltwirt­schaft abzufe­dern», sagte ein US-Regie­rungs­mit­ar­bei­ter. «Wir sind in Gesprä­chen mit großen Erdgas­pro­du­zen­ten rund um den Globus, um deren Kapazi­tät und Bereit­schaft zur zeitwei­sen Erhöhung der Erdgas­pro­duk­ti­on zu ermit­teln und diese Mengen europäi­schen Abneh­mern zuzuweisen.»

Vor dem Hinter­grund der Spannun­gen mit der Nato haben mehr als 1000 russi­sche Solda­ten der Panzer­trup­pe Übungen abgehal­ten. Sie dienten der Überprü­fung der Gefechts­be­reit­schaft, teilte das Vertei­di­gungs­mi­nis­te­ri­um in Moskau mit. 100 Einhei­ten von Waffen‑, Kampf- und Spezi­al­tech­nik seien dabei im Moskau­er Gebiet einge­setzt worden. Auch auf der von Russland einver­leib­ten Halbin­sel Krim im Schwar­zen Meer hätten Panzer mehre­re Schieß­übun­gen auch in unweg­sa­mem Gelän­de absol­viert, hieß es weiter. Den Übungen schloss sich demnach auch die Marine an, so die Schwarz­meer­flot­te und die Kaspi­sche Flottil­le. Russland hatte zuletzt bereits mehre­re Marine-Manöver mit 140 Kriegs­schif­fen bis Ende Febru­ar angekündigt.