MÜNCHEN (dpa) — Rund sieben­ein­halb Monate saß Boris Becker in Großbri­tan­ni­en in Haft. Nun erzählt er ausführ­lich darüber, wie er dort hinkam, was er dort erleb­te — und was das mit seiner Familie machte.

Mit emotio­na­len Worten und deutlich verän­dert hat Tennis-Star Boris Becker von seiner Zeit in briti­scher Haft erzählt. Immer wieder von Tränen und Momen­ten der Rührung unter­bro­chen, schil­der­te der 55-Jähri­ge lebens­ge­fähr­li­che Situa­tio­nen, sehr persön­li­che Momen­te mit seiner Partne­rin und von einem neuen spiri­tu­el­len Weg.

Der Blick zurück: «Natür­lich war ich schuldig.»

In seinem ersten öffent­li­chen Auftritt seit seiner Haftent­las­sung bekann­te sich Becker erstmals deutlich zu seiner Schuld. «Natür­lich war ich schul­dig», sagte er und zeigte sich selbst­kri­tisch. «Vielleicht habe ich nicht genügend Reue gezeigt im Zeugen­stand», sagte er. Seine Anwäl­te hätten alles versucht, sein «Leben zu retten». Er sei beraten worden, was er auszu­sa­gen habe und was nicht. «Es hätte besser laufen können — aber es hätte auch viel schlech­ter laufen können.»

Der aus dem baden-württem­ber­gi­schen Leimen stammen­de Becker war Ende April von einem Gericht in London zu zweiein­halb Jahren Haft verur­teilt worden, weil er Teile seines Vermö­gens in seinem Insol­venz­ver­fah­ren nicht ordnungs­ge­mäß angege­ben hatte. Er war am Donners­tag — nach 231 Tagen hinter Gittern — freigekommen.

Der Tennis-Star hat sich sicht­bar verändert

Becker sah in dem Inter­view mit Modera­tor Steven Gätjen deutlich schlan­ker aus, die Haarfar­be etwas dunkler als früher, unter dem schwar­zen Sakko trug er ein ebenfalls schwar­zes Shirt. «Ich hab natür­lich sehr viel Gewicht verlo­ren», sagte er in dem Gespräch. «Ich bin mit 97 Kilo ins Gefäng­nis gekom­men und hatte dann mal knapp 90 Kilo.»

Becker fügte hinzu: «Ich hab zum ersten Mal in meinem Leben Hunger gefühlt, also bin hungrig ins Bett gegan­gen. Ich dachte, dass ich mit 54 Jahren schon alles erlebt habe, aber das war neu.» Im Gefäng­nis habe er keinen Alkohol getrun­ken, nicht geraucht und wochen- oder vielleicht auch monate­lang sehr wenig gegessen.

Gefähr­li­che Situa­tio­nen und neue Freunde

Becker berich­te­te auch von zwei konkre­ten Situa­tio­nen, die lebens­ge­fähr­lich gewesen seien. Im ersten Gefäng­nis Wands­worth habe ein Mithäft­ling ihn erpres­sen wollen — doch andere Mitge­fan­ge­ne hätten ihn beschützt.

Auch im Gefäng­nis Hunter­com­be westlich der briti­schen Haupt­stadt, wo Becker den Großteil seiner rund sieben­ein­halb Monate langen Haft verbrach­te, habe ihn ein Mitin­sas­se bedroht. «Da hatte ich mal wirklich eine so genann­te Alter­ca­ti­on (hefti­ge Ausein­an­der­set­zung) mit einem Häftling, der wollte mich umbrin­gen.» Kontra­hent sei ein Mann gewesen, der als 18-Jähri­ger zwei Menschen umgebracht habe. «Der wollte mir an die Wäsche und hat mir auch verbal erklärt, was er mit mir machen will.» Doch auch in diesem Fall seien ihm andere Häftlin­ge zur Hilfe geeilt. Immer wieder erzählt Becker auch von engen Freund­schaf­ten zu Mitge­fan­ge­nen, die ihn geschützt und gestärkt hätten.

Der Blick ins Innere: Becker beschäf­tig­te sich mit Stoizismus

Jahre­lang war Becker gefei­ert worden, ein Sport-Idol wie es nur ganz wenige gibt. Doch in den Jahren vor seiner Haft wurde er oft auch belächelt — nun wirkt er gefasst, fast spiri­tu­ell. Er habe sich im Gefäng­nis mit der Lehre des Stoizis­mus befasst und auch unter­rich­tet, erzähl­te Becker in dem Inter­view immer wieder. «Ich habe über Jahre Fehler gemacht, falsche Freun­de gehabt, war nicht organi­siert genug.»

In Haft habe er Zeit zum Nachden­ken gehabt und durch den Stoizis­mus auch Eigen­schaf­ten auch sich wieder­ent­deckt, die er als Tennis­spie­ler gehabt habe — wie Diszi­plin und Präsenz im Moment. «Dieser Gefäng­nis­auf­ent­halt hat mich zurück­ge­holt, sagte Becker. Er habe nun eine zweite Chance bekom­men und es liege an ihm, diesen Weg weiterzugehen.

Tränen bei Worten zu den Liebsten

Becker versuch­te gefasst zu bleiben, musste aber immer wieder unter Tränen innehal­ten — beson­ders, wenn die Sprache auf seine Kinder und seine Partne­rin Lilian De Carval­ho Montei­ro, die mit ihm Studio war, kam. Der Tag seiner Verur­tei­lung am 29. April sei ihr Geburts­tag gewesen. Seine Partne­rin habe stets zu ihm gehal­ten. «Ich hatte nicht einen Moment, wo ich das Gefühl hatte, da bricht jetzt was ausein­an­der oder sie verliert die Geduld oder die Lust oder die Liebe», sagte Becker. Zwar möchte er nicht über priva­te Details sprechen, doch auf die Frage nach weite­ren Kindern lässt er sich entlo­cken: «Ich hoffe, es kommen noch ein paar dazu.»

Auch die Bezie­hung zu seinen älteren Kindern Noah, Elias sowie Anna, mit der er häufig telefo­niert habe, sei während der Haft enger gewor­den. Vor dem Richter­spruch habe er auch noch ausführ­lich mit seinen Kindern gespro­chen. Noah beglei­te­te ihn wie Partne­rin Lilian beim Urteil ins Gericht. Der Tennis-Star gab in dem Inter­view meist lange Antwor­ten — etwa dazu, dass er hinter Gittern Englisch und Mathe unter­rich­tet hat, was seinen Tagen Struk­tur verlieh.

Promi­nen­te Freun­de unter­stüt­zen Becker

Becker berich­te­te, dass mehre­re promi­nen­te Freun­de ihn nicht im Gefäng­nis besuchen durften. So sei etwa Fußball­trai­ner Jürgen Klopp von den Behör­den abgelehnt worden. «Jürgen darf dich nicht besuchen, weil der ist zu bekannt. Wir haben Angst um seine Sicher­heit, und wir wollen den Rummel nicht», gab Becker das Gespräch wider.

Mut und Kraft habe er aus zahlrei­chen Briefen geschöpft, die ihm Fans und Bekann­te schick­ten. Darun­ter seien auch Überra­schun­gen gewesen: «Micha­el Stich hat mir einen dreisei­ti­gen Brief geschrie­ben», erzähl­te Becker über seinen Tennis-Kolle­gen. Das habe ihn sehr berührt. Auch andere frühe­re Davis-Cup-Freun­de und Promi­nen­te wie die Tennis-Traine­rin Barba­ra Rittner hätten ihm geschrieben.

Ankunft und Zukunft — «Das beste Bier in meinem Leben.»

Nach langem Rätsel­ra­ten erzähl­te Becker, dass er nach seiner Abschie­bung in Stutt­gart gelan­det und dann bei Freun­den nahe Heidel­berg unter­ge­kom­men sei. «Es war kein Mensch am Flugha­fen», erzähl­te Becker. Die Polizei habe dann seine Papie­re kontrol­liert und gesagt: «Willkom­men zurück.» Zu seiner Ankunft bei den Freun­den sagte der 55-Jähri­ge: «Ich habe dann mein erstes Bier getrun­ken und — glaube mir — das war das beste Bier in meinem Leben.» Das erste Essen in Freiheit sei Sushi, Sashi­mi und Miso-Suppe gewesen.

In Deutsch­land leben will er eher nicht, weil seine Privat­sphä­re dort nicht gesichert sei, er habe gerne in Miami gelebt. «Ich bin auch ein Fan von Dubai», sagte Becker. «Ich habe Ideen, aber ich bin vorsich­tig gewor­den mit meinen Aussa­gen für die Zukunft.» Becker beton­te: «Ich freue mich, ich bin motiviert, ich muss arbeiten.»