BERLIN (dpa) — Im Streit zwischen Ampel und Union über die Reform der Grund­si­che­rung wirken die Fronten verhär­tet. Falls die Unions-Länder das Bürger­geld stoppen, steht ein hartes Ringen um einen Kompro­miss an.

Im Streit über das Bürger­geld ist jetzt der Bundes­rat am Zug: Die Länder­kam­mer stimmt an diesem Montag über die zentra­le Sozial­re­form der Ampel-Koali­ti­on ab.

Nach dem Bundes­tags­be­schluss in der vergan­ge­nen Woche könnte das Vorha­ben nun vorerst gestoppt werden, da eine Zustim­mung unions­re­gier­ter Bundes­län­der erfor­der­lich ist. CDU und CSU lehnen das Bürger­geld aber ab, weil es aus ihrer Sicht die Motiva­ti­on senkt, eine Arbeit anzuneh­men. Die Regie­rungs­par­tei­en SPD, Grüne und FDP weisen das zurück. Falls der Bundes­rat nicht zustimmt, steht eine schwie­ri­ge Kompro­miss-Suche im Vermitt­lungs­aus­schuss von Bundes­tag und Bundes­rat an — und das unter großem Zeitdruck.

Die SPD warb vor der Sitzung erneut um Zustim­mung der Länder zum Bürger­geld, das die bishe­ri­ge Grund­si­che­rung Hartz IV erset­zen soll. «Viele Anregun­gen der Länder wurden im parla­men­ta­ri­schen Verfah­ren aufge­nom­men und geklärt. Ein Abschluss heute im Bundes­rat ist möglich», sagte die Erste Parla­men­ta­ri­sche Geschäfts­füh­re­rin der SPD-Bundes­tags­frak­ti­on, Katja Mast, der Deutschen Presse-Agentur. «Die Hoffnung stirbt bei mir immer zuletzt. Das Bürger­geld ist im Bundes­tag verab­schie­det. Es kann auch heute den Bundes­rat passieren.»

Bayerns Minis­ter­prä­si­dent Markus Söder (CSU) bekräf­tig­te dagegen seine Ableh­nung: «Wir werden auf keinen Fall zustim­men», sagte er in der ARD-Sendung «Bericht aus Berlin». Die Zielrich­tung sei «einfach falsch».

Die Ampel-Pläne sehen eine Erhöhung des heuti­gen Regel­sat­zes von 449 Euro für Allein­ste­hen­de auf 502 Euro vor. Das ist unstrit­tig und wird auch von der Union befür­wor­tet. Arbeits­lo­se sollen zudem künftig weniger durch einen angedroh­ten Leistungs­ent­zug (Sanktio­nen) unter Druck gesetzt werden, spezi­ell im ersten halben Jahr des Bürger­geld­be­zugs («Vertrau­ens­zeit»). Vorga­ben zur erlaub­ten Vermö­gens­hö­he und zur Wohnungs­grö­ße bei Leistungs­be­zie­hern will die Ampel lockern. Bei all diesen Punkten hält die Union ihr Stopp­schild hoch.

Kompro­miss bis spätes­tens Ende Novem­ber nötig

CDU-Vize Carsten Linne­mann beton­te in der ARD-Sendung «Anne Will», das System «Förden und Fordern» müsse erhal­ten bleiben. «Dass man jetzt sagt, im ersten halben Jahr gibt es bei Pflicht­ver­let­zun­gen keine Sanktio­nen, keine gelbe Karte, keine rote Karte — das hat mit dem Sozial­staats­prin­zip nichts mehr zu tun. Da sagen viele Leute: Warum soll ich dann morgens noch aufste­hen und arbei­ten gehen?»

SPD-General­se­kre­tär Kevin Kühnert hielt dagegen: «Es gibt keine Fallkon­stel­la­ti­on in Deutsch­land, bei der Leute, die arbei­ten gehen (…) weniger am Ende haben als jemand im Bürger­geld-Bezug» — unter der Bedin­gung, dass Gering­ver­die­ner ihre Anrech­te etwa auf staat­li­ches Wohngeld auch durch­set­zen. Mecklen­burg-Vorpom­merns SPD-Minis­ter­prä­si­den­tin Manue­la Schwe­sig sagte der «Rheini­schen Post», Arbeit werde sich noch immer lohnen. «Und für dieje­ni­gen, die sich verwei­gern, gibt es auch weiter­hin Sanktionsmöglichkeiten.»

Sollte das Vorha­ben im Vermitt­lungs­aus­schuss landen, müsste ein Kompro­miss nach Exper­ten­ein­schät­zung bis spätes­tens Ende Novem­ber gefun­den sein, damit das Bürger­geld wie geplant zum 1. Januar einge­führt werden kann. Bundes­rats­prä­si­dent Peter Tschent­scher (SPD) hält dies für möglich. «Erhält das Gesetz in dieser Sitzung keine Zustim­mung, kann noch im Novem­ber ein Vermitt­lungs­ver­fah­ren durch­ge­führt und eine Einigung erreicht werden», sagte der Hambur­ger Bürger­meis­ter der «Rheini­schen Post». Das Bürger­geld sei eine «wichti­ge Entlas­tung für Millio­nen Menschen, die gerade in schwie­ri­gen Zeiten auf Unter­stüt­zung angewie­sen sind».

Grüne: Nicht von CDU «auf der Nase herum­tan­zen lassen»

Der Arbeits- und Sozial­mi­nis­ter von Nordrhein-Westfa­len, Karl-Josef Laumann (CDU), sagte dem Redak­ti­ons­netz­werk Deutsch­land (RND): «Am Ende muss ein politi­scher Kompro­miss her.» Genau für solche Fälle gebe es den Vermitt­lungs­aus­schuss. Der Erste Parla­men­ta­ri­sche Geschäfts­füh­rer der FDP im Bundes­tag, Johan­nes Vogel, zeigte sich im «Bericht aus Berlin» gesprächs­be­reit «über alles». «Aber was nicht passie­ren darf ist, dass das ganze Verfah­ren blockiert wird.»

Die Bundes­spre­che­rin der Grünen Jugend, Sarah-Lee Heinrich, forder­te von ihrer Partei eine harte Linie in etwaigen Verhand­lun­gen. «Ich erwar­te von allen Teilen der Grünen Partei, sich in Bund und Land dafür einzu­set­zen, dass es wirklich zu einer menschen­wür­di­gen Grund­si­che­rung kommt. Niemand sollte sich von der CDU auf der Nase herum­tan­zen lassen», sagt sie dem RND. «Die Ampel sollte sich von dieser Arbeit­ge­ber­lob­by-Partei nicht ihre Geset­ze nicht diktie­ren lassen.»

Unions­frak­ti­ons­vi­ze Hermann Gröhe warf der Ampel in der Bürger­geld-Debat­te «unsach­li­che Angrif­fe» auf die Union vor. «Gespiel­te Empörung erschwert die Kompro­miss-Suche in dem abseh­ba­ren Vermitt­lungs­ver­fah­ren. Statt zu poltern, sollte gerade die SPD einse­hen, dass weitge­hen­de Verän­de­run­gen am Gesetz für eine Einigung unumgäng­lich sind», forder­te der CDU-Sozial­po­li­ti­ker. Ampel-Politi­ker hatten der Union unter anderem vorge­wor­fen, «Fake News» zum Bürger­geld zu verbreiten.