BERLIN (dpa) — In letzter Minute bittet die Union um eine Verschie­bung. Doch die Ampel-Fraktio­nen ziehen die zur Abstim­mung vorge­schla­ge­ne Wahlrechts­re­form durch. CDU, CSU und Linke sind empört.

Der Bundes­tag hat nach jahre­lan­gem Streit eine Wahlrechts­re­form beschlos­sen, die das Parla­ment verklei­nern und dauer­haft auf 630 Abgeord­ne­te begren­zen soll. Ein Entwurf von SPD, Grünen und FDP erreich­te in Berlin die erfor­der­li­che einfa­che Mehrheit.

399 Abgeord­ne­te stimm­ten für die Reform. Wie die stell­ver­tre­ten­de Bundes­tags­prä­si­den­tin Aydan Özoguz mitteil­te, stimm­ten 261 Abgeord­ne­te gegen den Gesetz­ent­wurf. 23 Parla­men­ta­ri­er enthiel­ten sich. Während Grüne und FDP geschlos­sen für die Neuerun­gen stimm­ten, gab es bei der SPD zwei Nein-Stimmen und eine Enthaltung.

Die Union und die Links­par­tei sehen sich durch die Reform benach­tei­ligt. Sie kündig­ten jeweils eine Klage vor dem Bundes­ver­fas­sungs­ge­richt angekündigt.

Politi­ker der Opposi­ti­on warfen den Ampel-Fraktio­nen in der abschlie­ßen­den Debat­te zur geplan­ten Verklei­ne­rung des Bundes­ta­ges vor, sie hätten sich ein Wahlrecht zum eigenen Macht­er­halt maßge­schnei­dert. Sebas­ti­an Hartmann (SPD) sagte, Ziel des Vorha­bens sei «ein einfa­ches, nachvoll­zieh­ba­res Wahlrecht».

CSU-Landes­grup­pen­chef Alexan­der Dobrindt sagte, der Plan ziele darauf ab, die Linke aus dem Parla­ment zu drängen und «das Existenz­recht der CSU» infra­ge zu stellen. «Sie machen hier eine Reform für sich selbst», um den «Macht­an­spruch der Ampel» zu zemen­tie­ren, warf er Hartmann vor.

Parla­ment soll schrumpfen

Mit der Reform soll der auf 736 Abgeord­ne­te angewach­se­ne Bundes­tag ab der nächs­ten Wahl dauer­haft auf 630 Manda­te verklei­nert werden. Erreicht werden soll die Verklei­ne­rung, indem auf Überhang- und Ausgleichs­man­da­te ganz verzich­tet wird. Diese sorgten bislang für eine Aufblä­hung des Bundes­ta­ges. Überhang­man­da­te entste­hen, wenn eine Partei über Direkt­man­da­te mehr Sitze im Bundes­tag erringt als ihr nach dem Zweit­stim­men­er­geb­nis zustün­den. Sie darf diese Sitze behal­ten. Die anderen Partei­en erhal­ten dafür Ausgleichs­man­da­te. Nach den neuen Regeln könnte es künftig vorkom­men, dass ein Bewer­ber seinen Wahlkreis zwar direkt gewinnt, aber trotz­dem nicht in den Bundes­tag einzieht. Das erzürnt vor allem die CSU.

Zudem soll eine strik­te Fünf-Prozent-Klausel gelten. Die sogenann­te Grund­man­dats­klau­sel entfällt. Sie sorgt bisher dafür, dass Partei­en auch dann in der Stärke ihres Zweit­stim­men­er­geb­nis­ses in den Bundes­tag einzo­gen, wenn sie unter fünf Prozent lagen, aber mindes­tens drei Direkt­man­da­te gewan­nen. Davon profi­tier­te 2021 die Links­par­tei. Wird die Klausel gestri­chen, könnte das, je nach Wahler­geb­nis, künftig auch Konse­quen­zen für die CSU haben, deren Direkt­kan­di­da­ten in Bayern tradi­tio­nell die meisten Wahlkrei­se gewinnen.

«Ich wusste nicht, dass die CSU die Fünf-Prozent-Hürde fürch­tet», bemerk­te die Frakti­ons­vor­sit­zen­de der Grünen, Britta Haßel­mann, süffi­sant. Um dieses Risiko zu minimie­ren, könnten CDU und CSU bei Wahlen künftig als Partei­en­ver­bund antre­ten oder eine Liste eingehen.

Linke wirf Ampel «Arroganz» vor

Ursprüng­lich wollte die Ampel das Parla­ment sogar wieder auf die Sollgrö­ße von 598 Abgeord­ne­ten reduzie­ren. Nachdem die Union diesen Vorschlag von SPD, Grünen und FDP abgelehnt hatte, der die Strei­chung der Grund­man­dats­klau­sel noch nicht vorsah, präsen­tier­te die Ampel die neue Varian­te. Das sei das Werk der SPD, die sich davon einen Vorteil erhof­fe, nach dem Motto «erst die Partei, dann das öffent­li­che Wohl», sagte Albrecht Glaser (AfD).

Der parla­men­ta­ri­sche Geschäfts­füh­rer der Links­frak­ti­on, Jan Korte, warf der Ampel «Arroganz» vor. Sie habe die Änderung kurz vor der Abstim­mung einfach so «hinge­rotzt». Während seiner Rede applau­dier­ten mehre­re Abgeord­ne­te der Union. «Ihnen geht es doch vor allem darum, als SPD eine linke Kritik auszu­schal­ten», schimpf­te die stell­ver­tre­ten­de Frakti­ons­vor­sit­zen­de der Links­frak­ti­on, Gesine Lötzsch. SPD-Frakti­ons­vi­ze Dirk Wiese sagte, das Problem der Linken sei nicht das Wahlrecht, sondern ihre inter­nen Ausein­an­der­set­zun­gen, vor allem mit der Abgeord­ne­ten Sahra Wagenknecht.

Eine Bitte des Unions­frak­ti­ons­vor­sit­zen­den Fried­rich Merz (CDU), die Abstim­mung um zwei Wochen zu verschie­ben, da die kurzfris­tig vorge­leg­ten Änderun­gen erheb­lich seien und viel Beratungs­be­darf ausge­löst hätten, wies SPD-Frakti­ons­chef Rolf Mützenich zurück.

Der Bundes­rat muss sich auch noch mit dem Gesetz­ent­wurf befas­sen, kann ihn aber nicht aufhalten.