BADEN-BADEN (dpa/lsw) — Farben, Lacke, Folien, Wasch­mit­tel und Kosme­tik­pro­duk­te: Sollte kein Gas mehr aus Russland nach Deutsch­land strömen, wird es für die Indus­trie schnell eng. Ein Branchen­zweig ist beson­ders betroffen.

Ohne russi­sches Erdgas würden Liefer­ket­ten in der chemi­schen Indus­trie im Südwes­ten laut einer Warnung des Branchen­ver­bands reißen. Im Fall eines kurzfris­ti­gen Gas-Liefer­stopps nach Deutsch­land würden zahllo­se Produk­te nicht mehr herge­stellt werden können. «In der Folge würden auch in Baden-Württem­berg Chemie­an­la­gen still­ste­hen», sagte der Vorsit­zen­de des Verban­des der Chemi­schen Indus­trie Baden-Württem­berg, Martin Haag. «Und das kann sich kurzfris­tig und gravie­rend auf andere Indus­trien auswir­ken: Es fehlen dann Kunst- und Klebstof­fe, Farben und Lacke, Folien und irgend­wann auch ganz banal Wasch­mit­tel und Kosmetikprodukte.»

Derzeit kaufe die chemi­sche Indus­trie in Deutsch­land etwa 15 Prozent des hierzu­lan­de genutz­ten Erdga­ses, teilte der Verband mit. Davon kämen mehr als 40 Prozent aus Russland. Mehr als 90 Prozent der Liefer­ket­ten im verar­bei­ten­den Gewer­be hängen von der Chemie ab.

«Aufgrund der vorlie­gen­den Zwänge tut sich die Indus­trie extrem schwer, einsei­tig auf Gasim­por­te zu verzich­ten», hieß es in der Stellung­nah­me. Ein Embar­go sei aus Sicht der baden-württem­ber­gi­schen Chemie­ver­bän­de eine politi­sche Entschei­dung. «Wir können nur Infor­ma­tio­nen und Einschät­zun­gen zu Möglich­kei­ten und Folgen zur Verfü­gung stellen.» Haag appel­lier­te: «Der russi­sche Angriff auf die Ukrai­ne und seine erschüt­tern­den Folgen mit unver­zeih­li­chen Gräuel­ta­ten müssen beendet werden. Dafür unter­stüt­zen wir die klare Haltung der Bundes­re­gie­rung und die deutschen und EU-Sanktionen.»

Das bisher zuver­läs­sig gelie­fer­te Erdgas sei für Deutsch­land und Baden-Württem­berg ein wichti­ger positi­ver Wettbe­werbs­fak­tor, hieß es in der Mittei­lung des Verban­des weiter. «Wenn er wegfällt, schla­gen negati­ve Fakto­ren wie beispiels­wei­se die hohen Arbeits­kos­ten und die langsa­men Geneh­mi­gungs­ver­fah­ren voll durch.»

In den Verbän­den der chemi­schen und pharma­zeu­ti­schen Indus­trie im Südwes­ten sind 480 Mitglieds­un­ter­neh­men mit 108.000 Beschäf­tig­ten organi­siert. Der Jahres­um­satz betrug 2021 rund 46 Milli­ar­den Euro. Die größten Teilbran­chen sind Pharma (37 Prozent), Lacke, Farben und Bauten­schutz (12 Prozent), Leime, Klebstof­fe und Mineral­öl (8 Prozent) sowie Körper­pfle­ge und Wasch­mit­tel (7 Prozent).

«Die komple­xen Reaktio­nen in der chemi­schen Indus­trie lassen sich nicht auf Sparflam­me betrei­ben», erläu­ter­te der Verband. «Sie müssten komplett abgeschal­tet werden.» Bei einem Liefer­stopp für Gas aus Russland in den nächs­ten Wochen wären die Speicher nach aktuel­len Erkennt­nis­sen den Angaben zufol­ge bis spätes­tens Herbst 2022 so erschöpft, dass die Indus­trie nicht mehr belie­fert werden könnte.