BERLIN (dpa) — An diesem Montag wollen Bund und Länder über weite­re Corona-Strate­gien beraten. Der Exper­ten­rat der Bundes­re­gie­rung empfiehlt, sich für einen weite­ren starken Anstieg der Infek­ti­ons­zah­len zu wappnen.

Die Corona-Zahlen in Deutsch­land steigen weiter steil an. Die Sieben-Tage-Inzidenz der Neuin­fek­tio­nen hat erstmals die Schwel­le von 800 überschritten.

Der Exper­ten­rat der Bundes­re­gie­rung fordert angesichts der rasan­ten Ausbrei­tung der Omikron-Varian­te Vorbe­rei­tun­gen für weite­re Schrit­te. Bund und Länder wollen an diesem Montag über die weite­re Strate­gie beraten.

Exper­ten rechnen damit, dass immer mehr Infek­tio­nen nicht erfasst werden können, unter anderem, weil Testka­pa­zi­tä­ten und Gesund­heits­äm­ter zuneh­mend am Limit sind. In Kranken­häu­sern und anderen Berei­chen der kriti­schen Infra­struk­tur drohen infol­ge eines hohen Kranken­stan­des und Quaran­tä­ne bereits erheb­li­che Perso­nal­eng­päs­se, zum Teil sind diese bereits einge­tre­ten. Omikron gilt als beson­ders anste­ckend, die Krank­heits­ver­läu­fe sind nach Einschät­zung vieler Exper­ten aber milder.

Kritik an dünne Daten­la­ge in Deutschland

Zudem kriti­siert der Exper­ten­rat eine zu dünne Daten­la­ge bei der Pande­mie­be­ob­ach­tung in Deutsch­land und mahnt «dringen­de Maßnah­men für eine verbes­ser­te Daten­er­he­bung und Digita­li­sie­rung» an. Auch zwei Jahre nach Beginn der Pande­mie bestehe weiter­hin kein Zugang zu einigen wichti­gen, aktuel­len Versor­gungs­da­ten, heißt es in einer aktuel­len Stellung­nah­me des Gremi­ums. Die Omikron-Welle verstär­ke und verdeut­li­che das Defizit.

«Eine Echtzeit­über­sicht über alle verfüg­ba­ren Kranken­haus­bet­ten mit aktuel­ler Belegung auch außer­halb der Inten­siv­me­di­zin wird dringend benötigt.» Die Exper­tin­nen und Exper­ten fordern «zeitna­he», «tages­ak­tu­el­le» Daten etwa zu Kranken­haus­ein­wei­sun­gen in allen Alters­grup­pen und zu freien und beleg­ten «Ressour­cen».

Im Moment bedie­ne sich Deutsch­land zur Einschät­zung der Omikron-Varian­te vorran­gig auslän­di­scher Unter­su­chun­gen. Diese ließen sich aber wegen der unter­schied­li­chen Alters­struk­tur, unter­schied­li­cher Impfquo­ten und verschie­de­ner Gesund­heits­sys­te­me nur schwer auf Deutsch­land übertragen.

«Beibe­hal­tung der bishe­ri­gen Maßnahmen»

Die Minis­ter­prä­si­den­ten der Länder wollen an diesem Montag mit Bundes­kanz­ler Olaf Scholz (SPD) über die weite­ren Schrit­ten beraten. Bundes­ge­sund­heits­mi­nis­ter Karl Lauter­bach (SPD) hat sich mehrfach dafür ausge­spro­chen, die bestehen­den Maßnah­men derzeit beizu­be­hal­ten. Der Exper­ten­rat der Bundes­re­gie­rung stellt sich hinter diese Linie, plädiert aber dafür, sich für einen weite­ren Anstieg der Infek­ti­ons­zah­len zu wappnen.

«Das hochdy­na­mi­sche Infek­ti­ons­ge­sche­hen erfor­dert aktuell eine Beibe­hal­tung und strik­te Umset­zung der bishe­ri­gen Maßnah­men», heißt es in einer am Samstag­abend veröf­fent­lich­ten Stellung­nah­me des Gremi­ums. Wenn infol­ge weiter steigen­der Inziden­zen kriti­sche Marken etwa bei Klinik­ein­wei­sun­gen erreicht würden, könnten weiter­ge­hen­de Maßnah­men zur Infek­ti­ons­kon­trol­le nötig werden. «Diese sollten daher jetzt so vorbe­rei­tet werden, dass sie ohne Verzö­ge­rung umgesetzt werden können.»

Sowohl Kontakt­be­schrän­kun­gen als auch Booster-Impfun­gen seien notwen­dig, um die Dynamik der aktuel­len Welle zu bremsen und das Gesund­heits­sys­tem und die kriti­sche Infra­struk­tur zu schüt­zen, heißt es in der einstim­mig gefass­ten Empfeh­lung der 19 Ratsmit­glie­der. Auf eine Inten­si­vie­rung der Booster-Kampa­gne sei daher Wert zu legen.

Regio­nal-Inziden­zen «von mehre­ren Tausend»

Durch die bestehen­de Kontakt­re­duk­tio­nen und das beson­ne­ne Verhal­ten der Bürger sei der inter­na­tio­nal beobach­te­te steile Anstieg der Infek­ti­ons­zah­len in Deutsch­land zunächst verlang­samt worden. Der Exper­ten­rat erwar­tet aber einen weite­ren Anstieg. In der Spitze könnten Sieben-Tages-Inziden­zen «von mehre­ren Tausend regio­nal erreicht werden». Das Ausmaß der Klinik­be­las­tung werde entschei­dend von den Inziden­zen bei ungeimpf­ten Erwach­se­nen und den über 50-Jähri­gen abhän­gen. Noch seien diese vergleichs­wei­se niedrig, es seien aber Infek­tio­nen in die Gruppe der Älteren einge­tra­gen worden.

Mit Zunah­me der Grund­im­mu­ni­tät in der Bevöl­ke­rung und Abnah­me der Neuin­fek­ti­ons­zah­len und Hospi­ta­li­sie­rungs­in­zi­den­zen sollten die Kontakt­be­schrän­kun­gen wieder stufen­wei­se zurück­ge­fah­ren werden. Langfris­tig sei es dringend erfor­der­lich, «die verblie­be­nen Immuni­täts­lü­cken in der Gesell­schaft durch Impfun­gen zu schlie­ßen, da ansons­ten zyklisch mit erneu­ten starken Infek­ti­ons- und Erkran­kungs­wel­len zu rechnen ist.»

«Für Locke­run­gen im Moment zur früh»

Nordrhein-Westfa­lens Minis­ter­prä­si­dent Hendrik Wüst (CDU) mahnte zur Geduld. «Ein Signal zu großflä­chi­gen, pauscha­len Locke­run­gen käme im Moment noch zu früh», sagte der Vorsit­zen­de der Minis­ter­prä­si­den­ten­kon­fe­renz dem «Tages­spie­gel» (Sonntag). «Immer noch sterben rund 1500 Menschen pro Woche an Corona, das Perso­nal in den Kranken­häu­sern ist komplett ausge­laugt — das kann uns doch nicht kalt lassen.» In Handel und Gastro­no­mie stehe eine Locke­rung der 2G- und 2G-Plus-Regeln für ihn derzeit nicht zur Debatte.

Der Deutsche Städte- und Gemein­de­bund forder­te, einen Stufen­plan für Locke­run­gen zu entwi­ckeln. Es müsse «bereits jetzt eine Exitstra­te­gie vorbe­rei­tet werden», sagte Haupt­ge­schäfts­füh­rer Gerd Lands­berg dem Redak­ti­ons­netz­werk Deutsch­land (RND). «In den Nachbar­län­dern können wir verfol­gen, dass die Pande­mie irgend­wann ihren Höhepunkt erreicht haben wird und dann die Zahlen drastisch und schnell wieder sinken.»