BERLIN (dpa) — Die Omikron-Varian­te berge die Gefahr einer «explo­si­ons­ar­ti­gen Verbrei­tung», warnen Exper­ten. Kurzfris­tig setzen Bund und Länder einen neuen Corona-Gipfel an. Drohen stren­ge­re Beschränkungen?

Die rasan­te Ausbrei­tung der Omikron-Varian­te des Corona­vi­rus könnte schon bald schär­fe­re Maßnah­men zum Infek­ti­ons­schutz nach sich ziehen.

Noch vor Weihnach­ten beraten Bund und Länder am Diens­tag über das weite­re Vorge­hen — darauf verstän­dig­ten sich Bundes­kanz­ler Olaf Scholz (SPD) und Nordrhein-Westfa­lens Minis­ter­prä­si­dent Hendrik Wüst (CDU) als Vorsit­zen­der der Minis­ter­prä­si­den­ten­kon­fe­renz Abend. Der Grünen-Gesund­heits­po­li­ti­ker Janosch Dahmen brach­te einen Lockdown nach den Feier­ta­gen ins Spiel.

«Wir müssen mit unseren Maßnah­men vor die Omikron-Welle kommen. Unser heuti­ges Handeln bestimmt die morgi­ge Pande­mie-Lage», sagte Dahmen der Deutschen Presse-Agentur. «Angesichts der äußerst hohen Übertrag­bar­keit von Omikron werden wir um einen Lockdown nach Weihnach­ten vermut­lich nicht herum­kom­men. Ein mögli­ches Szena­rio wäre ein gut geplan­ter Lockdown Anfang Januar.»

Lauter­bach gegen Lockdown vor Weihnachten

Einen Lockdown vor Weihnach­ten hatte Bundes­ge­sund­heits­mi­nis­ter Karl Lauter­bach ausge­schlos­sen. Auf die Frage, was mit der Zeit nach den Festta­gen sei, sagte der SPD-Politi­ker in der Bild-Sendung «Die richti­gen Fragen»: «Ich glaube, auch da werden wir keinen harten Lockdown haben.» Er schrieb aber auf Twitter, man müsse eine offen­si­ve Booster-Impfkam­pa­gne fahren und «die Maßnah­men der Kontakt­re­duk­ti­on verschärfen».

Der neue Corona-Exper­ten­rat der Bundes­re­gie­rung hatte gewarnt, Omikron bringe eine «neue Dimen­si­on» in das Pande­mie­ge­sche­hen. Die Exper­ten sehen «Handlungs­be­darf» bereits für die kommen­den Tage. «Wirksa­me bundes­weit abgestimm­te Gegen­maß­nah­men zur Kontrol­le des Infek­ti­ons­ge­sche­hens sind vorzu­be­rei­ten, insbe­son­de­re gut geplan­te und gut kommu­ni­zier­te Kontakt­be­schrän­kun­gen», heißt es in der Stellung­nah­me. Die aktuell gelten­den Maßnah­men müssten darüber hinaus «noch strin­gen­ter» fortge­führt werden.

Omikron zeich­ne sich durch eine wesent­lich stärke­re Übertrag­bar­keit und Unter­lau­fen eines bestehen­den Immun­schut­zes aus, so die Exper­ten. Die Varian­te infizie­re in kürzes­ter Zeit deutlich mehr Menschen und bezie­he auch Genese­ne und Geimpf­te stärker in das Infek­ti­ons­ge­sche­hen ein: «Dies kann zu einer explo­si­ons­ar­ti­gen Verbrei­tung führen.»

Gesund­heits­sys­tem droht extre­me Belastung

Der Exper­ten­rat warnte zudem: «Sollte sich die Ausbrei­tung der Omikron-Varian­te in Deutsch­land so fortset­zen, wäre ein relevan­ter Teil der Bevöl­ke­rung zeitgleich erkrankt und/oder in Quaran­tä­ne. Dadurch wäre das Gesund­heits­sys­tem und die gesam­te kriti­sche Infra­struk­tur unseres Landes extrem belas­tet.» Hierzu gehör­ten unter anderem Kranken­häu­ser, Polizei, Feuer­wehr, Rettungs­dienst, Telekom­mu­ni­ka­ti­on, Strom- und Wasser­ver­sor­gung und die entspre­chen­de Logistik.

Bei den Bund-Länder-Beratun­gen am Diens­tag soll es um vorbe­rei­ten­de Maßnah­men zum Schutz der kriti­schen Infra­struk­tur gehen — aber auch um weite­re kontakt­re­du­zie­ren­de Maßnah­men zum Schutz des Gesund­heits­sys­tems vor einer drohen­den Überlas­tung infol­ge der Omikron-Welle. Das teilten nach der Abspra­che von Scholz und Wüst beide Seiten mit.

Die Entwick­lung der Omikron-Varian­te zeige, «dass wir uns auch hierzu­lan­de große Sorgen machen müssen hinsicht­lich einer Überlas­tung unseres Gesund­heits­sys­tems und der Sicher­stel­lung grund­le­gen­der öffent­li­cher Aufga­ben», sagte die stell­ver­tre­ten­de Frakti­ons­chefin der Grünen im Bundes­tag, Marie Klein-Schmeink, der «Welt». «Deshalb müssen dringend weite­re Vorkeh­run­gen getrof­fen werden, um so gut wie möglich gegen­zu­steu­ern.» Sollte es Verschär­fun­gen brauchen, stehe die SPD-Frakti­on im Bundes­tag bereit, kurzfris­tig Entschei­dun­gen zu treffen, sagt die stell­ver­tre­ten­de Vorsit­zen­de Dagmar Schmidt der Zeitung.

«Jeder zusätz­li­che, nicht notwen­di­ge Kontakt ist einer zu viel. Im schlimms­ten Fall erwar­ten wir bis zu 700.000 Neuin­fek­tio­nen pro Tag», sagte Unions-Frakti­ons­vi­ze Sepp Müller (CDU) der «Welt». Deswe­gen brauche es jetzt «eine gesetz­li­che Grund­la­ge auch für einen natio­na­len Lockdown». AfD-Frakti­ons­chefin Alice Weidel sagte der Zeitung dagegen: «Lockdowns bringen nichts und sind kontra­pro­duk­tiv, das haben die bishe­ri­gen Versu­che hinläng­lich gezeigt.»

Immuno­lo­ge rechnet mit Lockdown

Der General­se­kre­tär der Deutschen Gesell­schaft für Immuno­lo­gie, Carsten Watzl, sagte der «Augsbur­ger Allge­mei­nen», er sehe «leider einen Lockdown auf uns zukom­men, der uns alle betref­fen wird». «Die ersten Berich­te weisen darauf hin, dass selbst nach dem Boostern der Schutz vor einer Omikron-Infek­ti­on nur bei rund 75 Prozent liegen könnte, während er bei Delta nach der dritten Impfung bei weit über 90 Prozent liegt.» Das würde bedeu­ten, dass sich viel mehr geimpf­te Menschen mit Omikron anste­cken könnten, beton­te er. «Wir werden die bei Omikron hochschie­ßen­den Inziden­zen sehr stark runter­brin­gen müssen, und das wird uns nicht jetzt wie in dieser vierten Welle mit Booster-Impfun­gen gelin­gen, sondern dann nur wieder mit Abstand und Kontakt­be­schrän­kun­gen», sagte Watzl.

Der Präsi­dent der Bundes­ärz­te­kam­mer, Klaus Reinhardt, sagte dem «Tages­spie­gel»: «Die Gefahr besteht, dass wir in einen neuen Lockdown müssen.» Wenn sich die Omikron-Varian­te in Deutsch­land trotz der Booster-Kampa­gne so schnell ausbrei­te wie gerade in England oder den Nieder­lan­den, «werden weite­re Kontakt­be­schrän­kun­gen wahrschein­lich kaum zu vermei­den sein».

Großbri­tan­ni­en nun Virusvariantengebiet

Wegen der massi­ven Ausbrei­tung der Omikron-Varian­te in Großbri­tan­ni­en gilt das Land seit der Nacht als Virus­va­ri­an­ten­ge­biet. Die Einrei­se aus solchen Gebie­ten nach Deutsch­land ist mit starken Einschrän­kun­gen möglich. Flugge­sell­schaf­ten dürfen nun im Wesent­li­chen nur noch deutsche Staats­bür­ger oder in Deutsch­land leben­de Perso­nen von Großbri­tan­ni­en nach Deutsch­land beför­dern. Für Einrei­sen­de gilt zudem eine zweiwö­chi­ge Quaran­tä­ne­pflicht — auch für Geimpf­te und Genesene.

Omikron breitet sich auch, aber nicht nur in europäi­schen Ländern rasend schnell aus. In den Nieder­lan­den gilt deswe­gen seit Sonntag ein neuer stren­ger Lockdown, auch Dänemark fährt große Teile des öffent­li­chen Lebens wieder herunter.