STUTTGART (dpa/lsw) — Während Atomkraft­geg­ner im Südwes­ten protes­tie­ren, zeigen sich die Grünen im Landtag offen für einen zeitlich begrenz­ten Weiter­be­trieb deutscher Meiler. Die FDP begrüßt das.

Abschal­ten oder doch noch etwas länger laufen lassen? Auch im Südwes­ten wird über den für Ende des Jahres vorge­se­he­nen Atomaus­stieg Deutsch­lands debat­tiert. Am Samstag reckten Atomkraft­geg­ner vor dem Meiler in Neckar­west­heim (Kreis Heilbronn) ihre Botschaf­ten mit gelben Buchsta­ben in die Höhe. «Akute GAU-Gefahr» und «Reakto­ren jetzt abschal­ten», war zu lesen.

Derweil zeigten sich die Grünen im baden-württem­ber­gi­schen Landtag im Falle eines drohen­den Energie­man­gels auch offen für einen zeitlich begrenz­ten Weiter­be­trieb. «Meine Partei ringt in dieser Notsi­tua­ti­on mit einem kurzzei­ti­gen Überbrü­ckungs­be­trieb der Atomkraft­an­la­gen. Das ist für uns keine leich­te Situa­ti­on», sagte Frakti­ons­chef Andre­as Schwarz der Deutschen Presse-Agentur. Überge­ord­ne­tes Ziel sei es aber, die Menschen gut durch den Winter zu bringen. «Allen sinnvol­len Lösun­gen, die Energie­ver­sor­gung sicher­zu­stel­len, stehen wir daher offen gegen­über», sagte Schwarz.

«Den gebote­nen Pragma­tis­mus der Grünen begrü­ße ich», teilte der Frakti­ons­chef der opposi­tio­nel­len FDP, Hans-Ulrich Rülke, mit. Die Versor­gungs­si­cher­heit für die Menschen im Land müsse nun im Mittel­punkt stehen, nicht die Partei­pro­gram­ma­tik. Deshalb dürfe es auch kein Tabu sein, die Atomkraft­wer­ke gegebe­nen­falls bis ins Jahr 2024 hinein laufen zu lassen und hierfür neue Brenn­stä­be zu bestellen.

Zur Einord­nung: Sechs Prozent des in Deutsch­land erzeug­ten und in das Strom­netz für die allge­mei­ne Versor­gung einge­speis­ten Stroms stamm­ten im ersten Quartal des Jahres aus Kernener­gie, wie das Statis­ti­schem Bundes­amt mitteilte.

Entschei­dend werde das Ergeb­nis des laufen­den Stress­tests von Bundes­wirt­schafts­mi­nis­ter Robert Habeck (Grüne) sein, hieß es von den Grünen. «Sollte er im Herbst zu einer neuen Bewer­tung kommen, orien­tie­ren wir uns daran», sagte Schwarz. «Das ist also keine Entschei­dung auf der Grund­la­ge eines Bauch­ge­fühls, sondern wird auf Fakten­ba­sis getrof­fen.» Gleich­wohl bleibe es bei der Positi­on der Grünen, dass die Atomkraft eine Risiko­tech­no­lo­gie sei.

Auch Minis­ter­prä­si­dent Winfried Kretsch­mann (Grüne) hat sich wieder­holt offen gezeigt dafür, die drei in Deutsch­land verblie­be­nen Atomkraft­wer­ke etwas länger laufen zu lassen als nur bis zum Jahres­en­de. Auch er verweist aber auf Habecks Stress­test für Netzstabilität.

Seit Monaten läuft eine Debat­te um eine Energie­kri­se in Deutsch­land wegen der massiv gedros­sel­ten Gaslie­fe­run­gen aus Russland und bislang fehlen­den Alter­na­ti­ven. Angesichts dessen hat das von den Grünen geführ­te Bundes­wirt­schafts­mi­nis­te­ri­um einen Stress­test angeord­net, um zu klären, wie im Winter die Energie­ver­sor­gung sicher­ge­stellt werden kann. Dabei werden Szena­ri­en durch­ge­rech­net, darun­ter mit und ohne Kernenergie.

Nach dem gelten­den Atomge­setz müssten die verblie­be­nen deutschen Meiler in Neckar­west­heim (Kreis Heilbronn), Isar 2 in Bayern und Emsland in Nieder­sach­sen nach dem 31. Dezem­ber 2022 vom Netz gehen. Auch für den sogenann­ten Streck­be­trieb, also die Weiter­nut­zung der aktuel­len Brenn­stä­be, braucht es eine Geset­zes­no­vel­le im Bundes­tag. Hinter­grund für den Streck­be­trieb sind die abgebrann­ten Brenn­stä­be, die wegen der abseh­ba­ren Still­le­gung nicht mehr erneu­ert wurden.

Kriti­ker der Kernkraft warnen wegen der mehr als 30 Jahre alten Reakto­ren vor unkal­ku­lier­ba­ren Sicher­heits­ri­si­ken bei nur sehr gerin­gen Energieerträgen.