BERLIN (dpa) — Pande­mie, Krieg, Wahlen: Täglich erschei­nen weltweit Millio­nen neuer Videos, Artikel oder Posts im Netz und in Chatgrup­pen, darun­ter auch viele Falsch­in­for­ma­tio­nen. Aus welchen Gründen fallen Menschen darauf herein?

Es ist eine Behaup­tung, die seit den vergan­ge­nen Bundes­tags­wah­len durch sozia­le Netzwer­ken und priva­te Messen­ger-Diens­te geistert und auch aktuell noch geteilt wird: Angeb­lich wolle die damali­ge Kanzler­kan­di­da­tin und heuti­ge Außen­mi­nis­te­rin Annale­na Baerbock den Deutschen ihre Haustie­re verbie­ten. Sie erwäge etwa eine CO2-Steuer auf Hund und Katze, um Emissio­nen zu reduzieren.

Das ist Humbug — oder sachli­cher: Fake News, also eine bewusst irrefüh­ren­de Behaup­tung, die gezielt verbrei­tet wird, um die Grünen-Politi­ke­rin zu diskre­di­tie­ren. In einem kürzlich erschie­ne­nen Report des Thinktank Club of Rome bezeich­nen die Autorin­nen und Autoren die «kollek­ti­ve Unfähig­keit, zwischen Fakten und Fikti­on zu unter­schei­den», als «bedeu­tends­te Heraus­for­de­rung unserer Tage».

In demokra­ti­schen Gesell­schaf­ten seien Fehl- und Falsch­in­for­ma­tio­nen zumin­dest bis zu einem gewis­sen Grad durch die Massen­me­di­en einge­dämmt worden, heißt es in dem Bericht «Earth for All». «Die sozia­len Medien aber haben dieses Modell zertrüm­mert. Sie haben eine ganze Indus­trie der Falsch- und Desin­for­ma­tio­nen entste­hen lassen, was der Polari­sie­rung von Gesell­schaf­ten und einem Vertrau­ens­ver­lust Vorschub leistet und dazu beiträgt, dass wir angesichts der kollek­ti­ven Heraus­for­de­run­gen unfähig sind, zusam­men­zu­ar­bei­ten oder uns auch nur über Grund­tat­sa­chen zu verständigen.»

Doch warum sind Fake News so erfolgreich?

«Der Grund, wieso Menschen Falsch­in­for­ma­tio­nen glauben, ist: weil sie ihnen gerne glauben wollen», sagt der Politik- und Daten­wis­sen­schaft­ler Josef Holnbur­ger. «Weil sie dadurch einen Schul­di­gen präsen­tiert bekom­men, oder weil ihre eigene politi­sche Positi­on ihrer Meinung nach die richti­ge ist.» Dies gehe sogar so weit, dass einige Desin­for­ma­ti­on häufig sogar dann teilen, wenn diese bereits wider­legt wurde.

Eine solche Desin­for­ma­ti­on wird von etlichen Nutze­rin­nen und Nutzern im Netz sofort aufgrif­fen und disku­tiert. Im digita­len Zeital­ter, in dem jeder und jede Gehör finden kann, haben es gesicher­te Fakten dagegen wesent­lich schwe­rer, durch­zu­drin­gen. Grund hierfür seien unter anderem Empörung und Wut, sagt Holnbur­ger. «Nachrich­ten, die wütend machen, bringen Menschen eher dazu, sie weiter­zu­lei­ten oder auf Social Media zu posten.»

Menschen wollen etwas gegen die behaup­te­ten Missstän­de unter­neh­men und teilen derar­ti­ge Nachrich­ten daher eher. Gesicher­te Fakten oder Aufklä­rung über Desin­for­ma­ti­on — sogenann­te Fakten­checks — hinge­gen errei­chen deutlich weniger Menschen, weil sie nur selten jeman­den empören oder aktivie­ren. So einige psycho­lo­gi­sche und algorith­mi­sche Effek­te böten eine Art Heimvor­teil für Desin­for­ma­ti­on, sagt Holnburger.

Der Tech-Blogger Ben Thomp­son beschrieb das Phäno­men vor einigen Jahren so: «Die Macht hat sich von der Angebots- auf die Nachfra­ge­sei­te verla­gert.» In anderen Worten: Ob eine Botschaft viele Leute erreicht, hängt nicht mehr davon ab, wer sie verbrei­tet, sondern wie viele Leute sie hören und weiter­lei­ten wollen.

Eine These, die der Medien­kul­tur­wis­sen­schaft­ler Martin Doll bekräf­tigt: «Die techni­schen Mecha­nis­men von Social-Media-Platt­for­men zeich­nen sich dadurch aus, die Posts zu bevor­zu­gen, die am meisten Reaktio­nen provo­zie­ren.» Dies sorge für eine Verstär­kung des Nachrich­ten­ef­fekts — eben und gerade auch bei Falschinformationen.

«Motiva­ti­ons­hin­ter­grund oft eine Destabilisierung»

Meist stecken Exper­ten zufol­ge politi­sche oder wirtschaft­li­che Absich­ten dahin­ter. Aktuel­les Beispiel: Fakes über den Krieg in der Ukrai­ne. «Hier ist der haupt­säch­li­che Motiva­ti­ons­hin­ter­grund oft eine Desta­bi­li­sie­rung — also Chaos, Misstrau­en und Ähnli­ches zu streu­en», sagt Holnbur­ger. Manche der verbrei­te­ten Thesen wider­sprä­chen sich sogar. «Beispiels­wei­se haben wir gerade in der Anfangs­zeit des Krieges immer wieder die Desin­for­ma­ti­on gesehen, dass Russland gar nicht in die Ukrai­ne einmar­schiert sei. Gleich­zei­tig hieß es aber auch, dass Russland guten Grund gehabt habe, einzumarschieren.»

Sinn und Zweck auch wider­sprüch­li­cher Fake News ist es, Nutzer mit so viel Falschem zu überschüt­ten, dass Wahrheit und Fakten daneben fast verschwin­den. «Man hat schließ­lich so viele alter­na­ti­ve Hypothe­sen, dass man anfängt, sie zu glauben», so Holnbur­ger. Zudem solle die Verläss­lich­keit etablier­ter Medien unter­gra­ben werden.

Einer Erhebung der Vodafone-Stiftung aus dem Sommer 2021 zufol­ge sind vor allem Menschen der Genera­ti­on 50 plus dieje­ni­gen, die häufig Desin­for­ma­ti­on sehen und teilen. Fragt man sie danach, wie oft sie Fake News begeg­nen, können sie das demnach oft nicht beant­wor­ten. Unter anderem, weil sie das Gelese­ne und Gesehe­ne nicht als Lüge wahrneh­men, sondern als Information.

Deshalb ist es Fachleu­ten zufol­ge wichtig, dass vor allem das priva­te Umfeld — Freun­de, Bekann­te oder Arbeits­kol­le­gen — in solchen Fällen wider­spricht. «Oftmals glauben von Desin­for­ma­ti­on betrof­fe­ne Menschen, dass ihnen eine schwei­gen­de Mehrheit zustimmt, oder dass das alle so glauben würden», erklärt Holnbur­ger. Dieses Weltbild müsse ins Wanken gebracht werden. «Das persön­li­che Umfeld hat im Vergleich zu großen media­len Aufklä­rungs­kam­pa­gnen noch am ehesten Zugang.» In diesem Zusam­men­hang hat dann auch die Arbeit von Fakten­che­ckern einen Nutzen. «Das sind genau die Platt­for­men, die deren Umfeld auf Falsch­in­for­ma­tio­nen hinweist.»

Von Daniel Josling, dpa