BERLIN (dpa) — Die Ampel-Regie­rung hatte sich eigent­lich vorge­nom­men, die Rüstungs­expor­te zurück­zu­fah­ren. Der Ukrai­ne-Krieg machte ihr aber einen Strich durch die Rechnung.

Die Bundes­re­gie­rung hat in diesem Jahr bisher Rüstungs­expor­te für mindes­tens 8,35 Milli­ar­den Euro geneh­migt — der zweit­höchs­te Wert in der Geschich­te der Bundes­re­pu­blik. Nur 2021 war die Zahl mit 9,35 Milli­ar­den Euro noch höher.

Mehr als ein Viertel der vom 1. Januar bis 22. Dezem­ber erlaub­ten Ausfuh­ren von Waffen und Ausrüs­tung ging in die von Russland angegrif­fe­ne Ukrai­ne. Fast die Hälfte aller Export­ge­neh­mi­gun­gen wurde für Kriegs­waf­fen erteilt. Das geht aus einer Antwort des Bundes­wirt­schafts­mi­nis­te­ri­ums auf eine Anfra­ge der Linken-Abgeord­ne­ten Sevim Dagde­len hervor. Das Schrei­ben liegt der Deutschen Presse-Agentur vor.

Die Ampel-Regie­rung hatte sich in den Koali­ti­ons­ver­hand­lun­gen auf Drängen von SPD und Grünen eigent­lich vorge­nom­men, die Rüstungs­expor­te zurück­zu­fah­ren und dafür ein Kontroll­ge­setz auf den Weg zu bringen. Dann kam mit dem Ukrai­ne-Krieg die Kehrt­wen­de in der Rüstungs­po­li­tik. Das selbst aufer­leg­te Verbot von Waffen­lie­fe­run­gen in Kriegs­ge­bie­te wurde von Bundes­kanz­ler Olaf Scholz (SPD) in seiner «Zeitenwende»-Rede am 27. Febru­ar einkas­siert — ein Bruch mit seit Jahrzehn­ten gelten­den Grundsätzen.

Rüstungs­gü­ter für 2,24 Milli­ar­den für die Ukraine

Seitdem sind Rüstungs­lie­fe­run­gen für 2,24 Milli­ar­den Euro für die Ukrai­ne geneh­migt worden, darun­ter viele schwe­re Waffen wie 30 Flugab­wehr­pan­zer Gepard, 14 Panzer­hau­bit­zen 2000 (schwe­re Artil­le­rie­ge­schüt­ze), fünf Mehrfach­ra­ke­ten­wer­fer oder das Flugab­wehr­sys­tem Iris‑T. Der hohe Gesamt­wert der Ausfuhr­er­laub­nis­se ist aber nicht allei­ne darauf zurückzuführen.

Auch ohne die Ukrai­ne wurden Expor­te im Wert von mehr als sechs Milli­ar­den Euro geneh­migt. Zur Einord­nung: In den 16 Regie­rungs­jah­ren von Kanzle­rin Angela Merkel (CDU) wurde die Sechs-Milli­ar­den-Marke nur fünf Mal überschritten.

Anteil der Kriegs­waf­fen so hoch wie seit Jahren nicht

Der Anteil der Kriegs­waf­fen an den gesam­ten Rüstungs­expor­ten liegt mit 47,5 Prozent (3,96 Milli­ar­den Euro) so hoch wie seit mehr als zehn Jahren nicht mehr. 2021 waren es 45,1 Prozent.

Der vom Wirtschafts­mi­nis­te­ri­um genann­te Gesamt­wert der Rüstungs­expor­te von 8,35 Milli­ar­den Euro für das laufen­de Jahr kann sich noch erhöhen. Erfasst sind nur die Geneh­mi­gun­gen bis einschließ­lich 22. Dezem­ber. Anfang Januar sollen die Zahlen für das ganze Jahr veröf­fent­licht werden.

Die Linken-Politi­ke­rin Dagde­len kriti­sier­te die vorläu­fi­gen Zahlen scharf: «Das Kabinett von SPD, FDP und Grünen verant­wor­tet die zweit­höchs­ten Expor­te von Waffen und Kriegs­ge­rät aller Zeiten. Statt die Rüstungs­expor­te wie verspro­chen einzu­schrän­ken, liefert die Ampel skrupel­los Rüstungs­gü­ter in Kriegs- und Krisen­ge­bie­te und profi­tiert von Konflik­ten und Toten.»

Deutlich weniger Expor­te in Drittstaaten

In der Ranglis­te der wichtigs­ten Empfän­ger­län­der folgen hinter der Ukrai­ne mit den Nieder­lan­den (1,83 Milli­ar­den), den USA (863,7 Millio­nen Euro), Großbri­tan­ni­en (453,0) und Ungarn (249,2) vier Nato-Staaten. Unter den Top Ten sind mit Austra­li­en (196,1), Singa­pur (175,1) und Südko­rea (166,5) auch noch weite­re drei weite­re Länder, die nicht zu EU oder Nato gehören. Austra­li­en wird in der Export­sta­tis­tik aber den Nato-Staaten gleichgestellt.

Für Dritt­staa­ten jenseits von EU, Nato und gleich­ge­stell­ten Ländern wurden in diesem Jahr bisher Rüstungs­gü­ter für 3,23 Milli­ar­den Euro geneh­migt, darun­ter mehr als zwei Drittel für die Ukrai­ne. Der Anteil der Expor­te in Dritt­staa­ten am Gesamt­wert sank im Vergleich zum Vorjahr von 63,6 auf 38,7 Prozent. Der hohe Anteil 2021 ging vor allem auf Ägypten zurück, für das die Regie­rung Merkel Kriegs­schif­fe, Luftab­wehr­sys­te­me und andere Rüstungs­gü­ter für 4,34 Milli­ar­den Euro genehmigte.

Die große Koali­ti­on von Union und SPD hatte damals in den letzten neun Tagen ihrer Amtszeit noch Expor­te für fast fünf Milli­ar­den Euro erlaubt, obwohl sie nur noch geschäfts­füh­rend im Amt war. Nur so kam am Ende des Jahres der Rekord­wert von mehr als neun Milli­ar­den Euro zustande.

Kriegs­waf­fen auch für Katar — und für Saudi-Arabi­en auf Umwegen

Unter den Dritt­staa­ten sind auch in der diesjäh­ri­gen Statis­tik wieder mehre­re Staaten aus der Golfre­gi­on. Das geht aus der Antwort auf eine weite­re Anfra­ge Dagde­lens hervor. Allei­ne für das wegen Menschen­rechts­ver­let­zun­gen in der Kritik stehen­de Katar wurden von Jahres­an­fang bis zum 13. Dezem­ber 53 Ausfuhr­er­laub­nis­se mit einem Gesamt­wert von 50,2 Millio­nen Euro erteilt, darun­ter Kriegs­waf­fen für 10,2 Millio­nen Euro. Nach Saudi-Arabi­en, das eine Allianz arabi­scher Staaten im Jemen-Krieg anführt, dürfen Rüstungs­gü­ter für 16,7 Millio­nen Euro gelie­fert werden, fast die Hälfte des Betrags entfällt mit 7,1 Millio­nen auf Kriegswaffen.

Schon die große Koali­ti­on von Union und SPD hatte sich 2018 vorge­nom­men, keine Rüstungs­gü­ter in Länder zu expor­tie­ren, die aktiv am Jemen-Krieg betei­ligt sind. Nur für Saudi-Arabi­en wurde schließ­lich ein Export­stopp erlas­sen — aber mit Ausnah­men, die auch die Ampel-Regie­rung weiter­hin zulässt.

Zulie­fe­rung deutscher Unter­neh­men für Gemein­schafts­pro­jek­te mit Bündnis­part­nern sind weiter­hin möglich, zum Beispiel für den vom briti­schen Unter­neh­men BAE Systems nach Saudi-Arabi­en expor­tier­ten Kampf­jet Eurofigh­ter. Insge­samt wurden von der Bundes­re­gie­rung bis Mitte Dezem­ber für die sieben Golf-Staaten auf der arabi­schen Halbin­sel Rüstungs­expor­te im Wert von mindes­tens 127,9 Millio­nen Euro genehmigt.

Von Micha­el Fischer, dpa