WIESBADEN (dpa) — Die anhal­tend hohe Infla­ti­on dämpft die Konsum­lust der Menschen und belas­tet Unter­neh­men. Das bekommt Europas größte Volks­wirt­schaft zu Beginn des laufen­den Jahres zu spüren.

Die deutsche Wirtschaft ist nach einem kraft­lo­sen Jahres­start im Winter knapp an einer Rezes­si­on vorbei­ge­schrammt. Nach einer ersten Schät­zung des Statis­ti­schen Bundes­am­tes stagnier­te das Brutto­in­lands­pro­dukt (BIP) im ersten Quartal zum Vorquar­tal, wie die Wiesba­de­ner Behör­de am Freitag mitteil­te. Zum Jahres­en­de 2022 hatte sich die Wirtschafts­leis­tung zum Vorquar­tal nach jüngs­ten Daten noch um 0,5 Prozent verrin­gert. Volks­wir­ten zufol­ge fehlt es der deutschen Konjunk­tur derzeit an Dynamik. Im Gesamt­jahr 2023 erwar­ten sie besten­falls ein Mini-Wachs­tum. Einige rechnen auch mit einem Rückgang der Wirtschaftsleistung.

Sinkt das Brutto­in­lands­pro­dukt zwei Quarta­le in Folge, sprechen Ökono­men von einer sogenann­ten techni­schen Rezes­si­on. Vor allem dank des milden Winters traten die schlimms­ten befürch­te­ten Szena­ri­en jedoch nicht ein — etwa eine Gasman­gel­la­ge, die tiefe Spuren hinter­las­sen hätte. «Die Rezes­si­on konnte gerade nochmal abgesagt werden», analy­sier­te Dekabank-Exper­te Andre­as Scheu­erle. «Nach wie vor befin­det sich der priva­te Konsum in einer schwie­ri­gen Lage.»

Kaufkraft der Verbrau­cher gesunken

Positi­ve Impul­se kamen nach Angaben der Statis­ti­ker zu Jahres­be­ginn von den Inves­ti­tio­nen und den Expor­ten. Der Privat­kon­sum fiel angesichts der anhal­tend hohen Infla­ti­on als Konjunk­tur­stüt­ze dagegen aus. Höhere Teuerungs­ra­ten schmä­lern die Kaufkraft von Verbrau­che­rin­nen und Verbrau­cher, denn sie können sich dann für einen Euro weniger leisten.

Im Euroraum insge­samt nahm die Wirtschaft zu Beginn des Jahres wieder etwas Fahrt auf. Nach einer ersten Schät­zung des Statis­tik­am­tes Eurostat legte das BIP zum Vorquar­tal um 0,1 Prozent zu. Im Schluss­quar­tal 2022 war die Wirtschaft im gemei­sa­men Währungs­raum leicht um 0,1 Prozent geschrumpft.

Nach Einschät­zung von Nils Jannsen vom Insti­tut für Weltwirt­schaft IfW Kiel hat die deutsche Wirtschaft die Talsoh­le infol­ge der Energie­kri­se wohl erreicht. «Die Bäume wachsen für die deutsche Wirtschaft aber nicht in den Himmel.» So belas­tet der Kaufkraft­ent­zug durch die höheren Energie­prei­se weiter die Konjunktur.

Ifo: Es fehlte an Dynamik

Die Stimmung in der deutschen Wirtschaft hatte sich im April weiter aufge­hellt. Das Ifo-Geschäfts­kli­ma stieg zum Vormo­nat um 0,4 Punkte auf 93,6 Zähler. «Die Sorgen der deutschen Unter­neh­men lassen nach, aber der Konjunk­tur fehlt es an Dynamik», ordne­te Ifo-Präsi­dent Clemens Fuest ein. Der Haupt­ge­schäfts­füh­rer des Deutschen Indus­trie- und Handels­kam­mer­ta­ges, Martin Wansle­ben, sprach von «trüben Aussich­ten» angesichts vielfäl­ti­ger Herausforderungen.

Nach Einschät­zung der «Wirtschafts­wei­sen» schmä­lert die hohe Infla­ti­on die Kaufkraft der Verbrau­che­rin­nen und Verbrau­cher, zudem bremsen schlech­te­re Finan­zie­rungs­be­din­gun­gen wegen steigen­der Zinsen die Konjunk­tur. Dazu kommt eine Weltwirt­schaft, die sich nur langsam von den Corona-Folgen erholt. Im laufen­den Jahr dürfte das BIP nach Einschät­zung des Sachver­stän­di­gen­rats zur Begut­ach­tung der gesamt­wirt­schaft­li­chen Entwick­lung um 0,2 Prozent wachsen. Die Bundes­re­gie­rung geht inzwi­schen von einem etwas stärke­ren Plus von 0,4 Prozent aus.

Bundes­wirt­schafts­mi­nis­ter Robert Habeck (Grüne) sieht eine schritt­wei­se Erholung der Konjunk­tur. «Die deutsche Wirtschaft erweist sich nach der Corona-Krise auch in der Energie­kri­se als anpas­sungs- und wider­stands­fä­hig», sagte Habeck bei der Vorla­ge der aktuel­len Konjunkturprognose.

Commerz­bank-Chefvolks­wirt Jörg Krämer warnte auch mit Blick auf die Zinser­hö­hun­gen der Europäi­schen Zentral­bank (EZB) im Kampf gegen die hohe Infla­ti­on vor zu großem Optimis­mus. «Solchen Zinser­hö­hun­gen folgten in der Vergan­gen­heit in Deutsch­land stets Rezes­sio­nen. Die meisten Volks­wir­te sind wohl zu optimis­tisch, wenn sie für die zweite Jahres­hälf­te einen klassi­schen Aufschwung erwarten.»