MÜNCHEN (dpa) — Am 21. März 2020 trat der erste Corona-Lockdown mit weitge­hen­den Ausgangs- und Kontakt­be­schrän­kun­gen in Kraft. Drei Jahre später ist zwar die Pande­mie beendet, nicht jedoch deren Folgen.

Trotz des Endes der Corona-Pande­mie hat der Erreger das Arbeits­le­ben nach überein­stim­men­der Einschät­zung in Wirtschaft und Wissen­schaft dauer­haft verän­dert. Insbe­son­de­re die Arbeit im Heimbü­ro hat sich drei Jahre nach Beginn des ersten Corona-Lockdowns fest etabliert. Weder die Verei­ni­gung der bayeri­schen Wirtschaft (vbw) noch der DGB oder das Münch­ner Ifo-Insti­tut gehen davon aus, dass Angestell­te wieder in ehedem gewohn­ter Zahl im Büro arbei­ten werden. «Homeof­fice und Video­kon­fe­ren­zen sind heute geleb­te Praxis in den Unter­neh­men und nicht mehr aus dem betrieb­li­chen Alltag wegzu­den­ken», sagte vbw-Haupt­ge­schäfts­füh­rer Bertram Brossardt.

Am 21. März 2020 hatte der erste Corona-Lockdown mit rigiden Kontakt- und Ausgangs­be­schrän­kun­gen begon­nen — bis hin zur Absper­rung von Spiel- und Sport­plät­zen. Nach einer aktuel­len vbw-Studie bieten mittler­wei­le 96 Prozent der befrag­ten Unter­neh­men aus dem Indus­trie- und Dienst­leis­tungs­sek­tor wenigs­tens für einen Teil der Beleg­schaft die Möglich­keit zur Arbeit im Homeof­fice. Vor Beginn der Pande­mie im Jahr 2019 war es etwas mehr als die Hälfte.

«Demzu­fol­ge ist auch davon auszu­ge­hen, dass die tatsäch­li­chen Homeof­fice-Tage sprung­haft angestie­gen sind», sagt Brossardt dazu. Video­kon­fe­ren­zen sind demnach mittler­wei­le in 93 Prozent der Unter­neh­men Alltag, 2019 waren es nur 26 Prozent.

Laut dem Münch­ner Ifo-Insti­tut hat sich der Anteil der Beschäf­tig­ten, die zu Hause arbei­ten, bei etwa einem Viertel stabi­li­siert. In manchen Branchen sind die Heimar­bei­ter nach wie vor in der großen Mehrheit, so bei den IT-Dienst­leis­tern mit über 70 Prozent.

Die einsti­ge Sorge vieler Unter­neh­men, dass bei unbeauf­sich­tig­ten Arbeit­neh­mern im Homeof­fice der Schlen­dri­an Einzug halten würde, habe sich bislang nicht bewahr­hei­tet. «In der Regel senkt Homeof­fice die Produk­ti­vi­tät nicht, teilwei­se sind Produk­ti­vi­täts­stei­ge­run­gen sogar messbar, bei steigen­der Job-Zufrie­den­heit der Beschäf­tig­ten», sagt Jean-Victor Alipour, der Fachmann des Münch­ner Ifo-Insti­tuts. Negati­ve Produk­ti­vi­täts­ef­fek­te des Arbei­tens im Homeof­fice seien vor allem in der Anfangs­zeit der Pande­mie dokumen­tiert worden, als die Unter­neh­men sich anpas­sen mussten.

Aller­dings deuten manche Studi­en darauf hin, dass die Kreati­vi­tät von Teams unter dem Homeof­fice leiden könnte. Alipour verweist auf eine 2022 erschie­ne­ne Unter­su­chung, wonach Video­kon­fe­ren­zen für die Entwick­lung kreati­ver Ideen weniger förder­lich seien als Präsenzmeetings.

«Homeof­fice gehört für viele zur neuen Norma­li­tät, wenngleich sich der Nutzungs­grad in Abhän­gig­keit von der beruf­li­chen Tätig­keit sowie des Quali­fi­ka­ti­ons­ni­veaus doch stark unter­schei­det», sagt auch der bayeri­sche DGB-Vorsit­zen­de Bernhard Stiedl.

Eine Folge der Pande­mie war, dass Arbeit­neh­me­rin­nen und Arbeit­neh­mer manchen Branchen in Scharen den Rücken kehrten, etwa in der Gastro­no­mie. «Zu beobach­ten waren ganze Branchen­ver­schie­bun­gen von Arbeits­kräf­ten», sagt Stiedl. «Die pande­mie­be­ding­ten Einschnit­te etwa im Bereich der Selbst­stän­di­gen oder der Minijob­be­rin­nen sind bis heute sichtbar.»

Nach Einschät­zung des DGB haben es sich viele Unter­neh­men selbst zuzuschrei­ben, wenn ihnen nun Perso­nal fehlt: «Branchen, die nun wieder das Wort “Fachkräf­te­man­gel” vor sich hertra­gen, boten während der Pande­mie nur unzurei­chen­den Schutz, so dass sich viele Beschäf­tig­te umori­en­tier­ten.» Die «Hausauf­ga­ben der besse­ren sozia­len Absiche­rung» seien geblie­ben, sagt Stiedl. vbw und DGB stimmen aber in der Einschät­zung überein, dass der bayeri­sche Arbeits­markt in der Krise insge­samt robust war.

Eine Haupt­sor­ge vieler Unter­neh­men ist der Fachkräf­te­man­gel, der sich in Zukunft voraus­sicht­lich verschär­fen wird. Eine offene Frage ist, ob langfris­tig Berufe unpopu­lä­rer werden, in denen Homeof­fice kaum oder gar nicht möglich ist. Beispie­le wären Bäcker, Bau- und Indus­trie­ar­bei­ter ebenso wie Pflegepersonal.

Wirtschafts­ver­bän­de wie die vbw pochen darauf, dass den Unter­neh­men die Entschei­dung überlas­sen bleibt, ob sie Homeof­fice anbie­ten oder nicht. «Sie darf nicht staat­lich angeord­net werden», sagt Brossardt.

Eine weite­re Frage sind mögli­che Langzeit­fol­gen von Heimbü­ro und Digita­li­sie­rung für das seeli­sche Wohlbe­fin­den. Schon Jahre vor Beginn der Pande­mie nahm die Zahl der Krank­schrei­bun­gen und Arbeits­un­fä­hig­kei­ten wegen psychi­scher Leiden zu, der Trend hält ungebro­chen an. «Die Ausein­an­der­set­zun­gen um eine gute Gestal­tung der neuen Möglich­kei­ten dauern an», sagt der DGB-Landes­vor­sit­zen­de Stiedl dazu. «Denn nur eine Minder­heit fühlte sich durch die Verwen­dung digita­ler Arbeits­mit­tel während der Pande­mie entlastet.»

Nach Einschät­zung der vbw hatte die Pande­mie aber sowohl bei Unter­neh­men und Beschäf­tig­ten ein gestei­ger­tes Gesund­heits­be­wusst­sein zur Folge. «Auch die psychi­sche Gesund­heits­vor­sor­ge ist noch weiter in den Vorder­grund gerückt», sagt Brossardt. «Wir haben gesehen, dass dauer­haf­tes Arbei­ten im Homeof­fice psychi­sche Proble­me verur­sa­chen kann, zum Beispiel Vereinsamungseffekte.»

Von Carsten Hoefer, dpa