HAMBURG (dpa) — Bislang hat die Dragqueen Olivia Jones ihr Privat­le­ben streng unter Verschluss gehal­ten. Nun wagt sich die Wahl-Hambur­ge­rin aus der Deckung und gibt sehr viel preis.

Die Hambur­ger Dragqueen Olivia Jones liebt das Rampen­licht und die Bühne. Doch seit vielen Monaten muss die sie darauf verzichten.

Statt aber nieder­ge­schla­gen auf das Ende des Lockdowns zu warten, hat sich die 51-Jähri­ge, die aus Sprin­ge in der Region Hanno­ver stammt, an ein schon länger angedach­tes Projekt gesetzt und ein Buch geschrie­ben. «Mir ist einge­fal­len, dass ich viele Geschich­ten noch nicht erzählt habe. Und im Moment ist mir meine Bühne genom­men und so kann ich natür­lich auch mein Publi­kum errei­chen. Denn meine Aufga­be ist es zu enter­tai­nen. Und das schaf­fe ich mit dem Buch», sagte Jones der Deutschen Presse-Agentur in Hamburg.

«Olivia Jones — Ungeschminkt» hat sie das Buch passen­der­wei­se genannt und verspricht damit schon mit dem Titel die ungeschön­te Wahrheit über ihr Leben. Das war der berühm­ten Traves­tie­künst­le­rin und Unter­neh­me­rin beson­ders wichtig. «Wenn ich schon eine Biogra­fie schrei­be, dann muss sie auch echt sein. Ich habe viele gelesen, die so geschönt waren. Aber das ist ja bescheu­ert und auch lebens­fremd. Und das macht mich ja auch aus, was ich erlebt habe.»

Wer sich jetzt Olivia Jones am Laptop tippend vorstellt, der irrt. Das Schrei­ben hat sie ihrem langjäh­ri­gen Manager und der Journa­lis­tin Lena Obsch­in­sky überlas­sen. Per Telefon und über Video­call haben Obsch­in­sky und Jones dafür regel­mä­ßig bis spät in die Nacht gespro­chen. Jones ist beken­nen­de Nacht­eu­le und schläft meist bis mittags, daran habe auch die Corona-Zwangs­pau­se nichts geändert. «Ich bin auch ein Morgen­muf­fel. Wenn ich das morgens geschrie­ben hätte — da will ich meine Gedan­ken lieber nicht teilen.»

Das sowohl chrono­lo­gisch als auch thema­tisch aufge­bau­te und im Hambur­ger Rowohlt-Verlag erschie­ne­ne Buch beginnt mit den ersten Lebens­jah­ren von Oliver Knöbel. Der ist im nieder­säch­si­schen Sprin­ge geboren und aufge­wach­sen und entdeck­te schon früh seine weibli­che Seite und seine Liebe zu Männern. In einer Zeit, in der Traves­tie, Schwul­sein und Anders­sein kaum akzep­tiert wurden, hatte es der hochge­wach­se­ne Schlacks deshalb schwer. Selbst mit seiner eigenen Familie.

Im Buch beschreibt Jones die Kränkun­gen, den Kampf gegen ihre Dämonen, die Anfein­dun­gen und ähnli­ches sehr eindrück­lich. «Das Buch ist entstan­den wie eine Gesprächs­the­ra­pie. Und es war auch wirklich eine Thera­pie für mich, weil ich mein Leben habe Revue passie­ren lassen. Es hat mich auch wachsen lassen.» Co-Autorin Obsch­in­sky habe in den Gesprä­chen immer wieder nachge­bohrt und auch bei unange­neh­men Themen nicht locker gelassen.

Damit hat Obsch­in­sky der stets grell geschmink­ten Kiez-Größe auch so manche pikan­te Details aus ihrem Sex-Leben und ihren Begeg­nun­gen mit anderen Promis und bekann­ten Menschen entlockt. Teilwei­se mussten die Passa­gen sogar geschwärzt werden. «Aber wenn man Fanta­sie hat, kann man die Namen auch ein bisschen erahnen», sagt Jones augen­zwin­kernd und mit beson­ders tiefer Stimme. «Viele Promis zittern gerade.»

Auf den 286 Seiten wird man mitge­nom­men auf einen Streif­zug durch das wilde Leben von Olivia Jones — von ihrem harten Weg nach oben über die Verwand­lung zur Dragqueen, die vielen Schön­heits-OPs und den Ausflug ins Dschun­gel­camp bis hin zu ihrem Kampf gegen Hass und für ein Gastro-Leben nach Corona. Die Kapitel sind dabei sowohl unter­halt­sam und lustig als auch selbst­iro­nisch und voller Demut geschrieben.

Der Mensch Olivia Jones faszi­niert nach dem Lesen einmal mehr mit seinen vielen Facet­ten, tiefgrün­di­gen Gedan­ken und dem Kampf für Respekt, Toleranz und eine bunte Welt. Zudem stehen im Buch viele inter­es­san­te Fakten: Dass Jones norma­ler­wei­se rund 200 Euro im Monat für ihr Make-up ausgibt, rund 100 Perücken und etwa 200 Paar Schuhe hat, sie durch­aus auch schon «Klöten­blit­zer» überspie­len musste und ihre «Schleu­der­mäu­se» nichts mit Geld zu tun haben. Ergänzt wird die Biogra­fie um viele Seiten mit bislang unver­öf­fent­lich­ten Fotos, die den jungen Oliver sowie Olivi­as Abenteu­er und Begeg­nun­gen zeigen.

Während Olivia die Geschich­ten gern erzählt hat, war es für Oliver zunächst nicht einfach, sich so weit aus der Deckung zu wagen. «Oliver ist das Buch sehr schwer gefal­len, weil ich ja Olivia auch so ein bisschen als Schutz­schild habe und mein Privat­le­ben sehr genie­ße — dass mich da keiner kennt.» Es habe ein bisschen gedau­ert, sich mit dem Gedan­ken anzufreun­den. «Aber jetzt ist genau die richti­ge Zeit.»

Denn Jones geht es bei ihrem Buch nicht nur um Unter­hal­tung, sondern auch um Mut. «Der Haupt­an­reiz dieses Buches ist, in ein anderes Leben einzu­tau­chen. Aber auch daraus lernen zu können, dass Mut wichtig ist, dass man an sich selbst glaubt und sich sein Leben nicht von außen diktie­ren lässt.» Auch psychi­sche Proble­me spricht sie offen an und wirbt dafür, dass man sich Hilfe suchen soll.

Das Buch lässt sich sowohl bei den lusti­gen als auch bei den ernsten Themen dank der typischen Olivia-Jones-Sprache entspannt in einem Rutsch lesen. Und wer bislang den Unter­schied zwischen Trans­ves­tit und Traves­tie und die Bedeu­tung von Dragqueen nicht kannte, ist nach dem Lesen auf jeden Fall schlau­er. «Man lernt fürs Leben. Es bringt einen auch intel­lek­tu­ell ein bisschen weiter», sagt Jones lachend.

Von Chris­tia­ne Bosch, dpa