BERLIN (dpa) — Bevor die steigen­den Energie­kos­ten die Bürger so richtig treffen, nimmt der Staat noch einmal viel Geld in die Hand. Von der Strom­preis­brem­se bis zum 9‑Euro-Ticket-Nachfol­ger — die Beschlüs­se im Überblick.

Zur Abfede­rung steigen­der Lebens­hal­tungs­kos­ten stockt die Bundes­re­gie­rung die Finanz­mit­tel erheb­lich auf: Die Ampel-Koali­ti­on aus SPD, Grünen und FDP hat sich auf ein drittes Entlas­tungs­pa­ket im Umfang von etwa 65 Milli­ar­den Euro geeinigt. Es ist damit mehr als doppelt so groß wie die ersten beiden Pakete mit ihren zusam­men rund 30 Milli­ar­den Euro. «Deutsch­land steht zusam­men in einer schwie­ri­gen Zeit», erklär­te Kanzler Olaf Scholz (SPD) am Sonntag bei der Vorstel­lung der Ergeb­nis­se im Berli­ner Kanzler­amt. «Wir werden als Land durch diese schwie­ri­ge Zeit kommen.»

Die Spitzen von SPD, Grünen und FDP hatten etwa 18 Stunden lang bis zum Sonntag­mor­gen über Details verhan­delt. Neben Scholz nahmen unter anderem Vizekanz­ler Robert Habeck (Grüne) und Finanz­mi­nis­ter Chris­ti­an Lindner (FDP) an den Beratun­gen teil.

Eine durch­ver­han­del­te Nacht später steht ein Paket, «von dem man durch­aus sagen kann, dass es wuchtig ist», wie Lindner zufrie­den anmerkt — denn das hatte er vorher ebenso wie SPD-Frakti­ons­chef Rolf Mützenich gefor­dert. Grünen-Chef Omid Nouri­pour lobt das Werk als «substan­zi­ell und rund». Die Grünen können insbe­son­de­re auf Geld für den Nahver­kehr und Unter­stüt­zung für Menschen mit wenig Geld verwei­sen. Der SPD sind die geziel­ten Entlas­tun­gen für Rentner und Studie­ren­de wichtig. Die FDP wieder­um verbucht Unter­stüt­zung für Lindners neues­te Steuer­plä­ne auf der Haben-Seite.

Die Reaktio­nen auf das Paket fielen kontro­vers aus. Arbeit­ge­ber­prä­si­dent Rainer Dulger kriti­sier­te es etwa als enttäu­schend: «Die Auswei­tung des Sozial­staa­tes kann keine Antwort auf eine Kosten-Steige­rung der Energie­prei­se auf dem Weltmarkt sein.» DGB-Chefin Yasmin Fahimi bezeich­ne­te das Paket dagegen als «insge­samt beeindruckend».

Nahver­kehr soll günstig bleiben

Das 9‑Euro-Ticket soll einen bundes­weit gülti­gen Nachfol­ger bekom­men, und zwar in der Preis­span­ne von 49 bis 69 Euro pro Monat. Der Bund will 1,5 Milli­ar­den Euro dafür zuschie­ßen, wenn die Länder mindes­tens ebenso viel zahlen.

Rentner und Studie­ren­de bekom­men Unterstützung

Beim letzten Paket gab es viel Kritik daran, dass Rentne­rin­nen und Rentner sowie Studie­ren­de zu kurz gekom­men seien. Rentner sollen nun zum 1. Dezem­ber eine einma­li­ge Energie­preis­pau­scha­le von 300 Euro erhal­ten. Studie­ren­de und Berufs­fach­schü­le­rin­nen und ‑schüler sollen eine Einmal­zah­lung in Höhe von 200 Euro erhalten.

Gegen­mit­tel zu steigen­den Energiepreisen

Privat­haus­hal­te sollen die Strom­men­ge für einen Basis­ver­brauch zu einem vergüns­tig­ten Preis erhal­ten. Für kleine und mittle­re Unter­neh­men mit Versor­ger­ta­rif soll dies auch gelten. Auch die für den Strom­preis relevan­ten Netzent­gel­te sollen bezuschusst werden. Der CO2-Preis, der Heizen und Tanken im Sinne des Klima­schut­zes teurer macht, soll im nächs­ten Jahr nicht wie geplant um fünf Euro auf 35 Euro pro Tonne steigen, sondern erst 2024.

Hilfen für Wohngeld­be­zie­her und Geringverdiener

Wer Wohngeld bekommt, soll im Herbst einen einma­li­gen Heizkos­ten­zu­schuss erhal­ten, für einen Ein-Perso­nen-Haushalt sind es 415 Euro. Bei der zum Jahres­be­ginn geplan­ten Wohngeld­re­form soll der Zuschuss zur dauer­haf­ten Kompo­nen­te werden, zudem der Kreis der Wohngeld­be­rech­tig­ten erwei­tert werden. Bedürf­ti­ge sollen mit der für 1. Januar geplan­ten Weiter­ent­wick­lung des heuti­gen Hartz-IV-Systems zu einem Bürger­geld um 50 Euro höhere Regel­sät­ze erhal­ten — etwa 500 Euro monat­lich. Die Berech­nung der Sätze soll außer­dem künftig nicht mehr der Preis­stei­ge­rung hinter­her­hin­ken, sondern die erwar­te­te Infla­ti­on vorwegnehmen.

Beschäf­ti­gung knapp über der Mini-Job-Schwel­le mit gerin­ge­ren Sozial­bei­trä­gen soll erleich­tert werden. Die sogenann­ten Midi-Jobs sollen künftig monat­lich bei bis zu einem Verdienst von 2000 Euro liegen können.

Steuer­ent­las­tun­gen

48 Millio­nen Bürge­rin­nen und Bürger sollen bei der Steuer entlas­ten werden. Dazu soll an Stell­schrau­ben des Einkom­men­steu­er­ta­rifs gedreht werden. Steuer­erhö­hun­gen infol­ge der Infla­ti­on sollen verhin­dert werden. Denn durch die sogenann­te kalte Progres­si­on droht vielen Menschen unter anderem, dass ihre Kaufkraft trotz Gehalts­er­hö­hun­gen sinkt.

Famili­en profitieren

Das Kinder­geld soll zum 1. Januar um 18 Euro monat­lich für das erste und zweite Kind angeho­ben werden. Die Erhöhung soll für 2023/2024 gelten. Heute beträgt das Kinder­geld 219 Euro für das erste und zweite Kind. Beim Kinder­zu­schlag für Famili­en mit niedri­gem Einkom­men soll der Höchst­be­trag ab 1. Januar auf 250 Euro monat­lich steigen.

Hilfen für Unternehmen

Energie­in­ten­si­ve Unter­neh­men, die Kosten­stei­ge­run­gen nicht weiter­ge­ben können, sollen mit einem neuen Programm unter­stützt werden. Bestehen­de Unter­neh­mens­hil­fen unter anderem mit zinsgüns­ti­gen Kredi­ten und erwei­ter­ten Bürgschaf­ten sollen bis 31. Dezem­ber verlän­gert werden. Geprüft werden Schrit­te für Unter­neh­men, die aufgrund von Gasman­gel und hoher Energie­prei­se die Produk­ti­on zeitwei­se einstel­len müssen.

Wo das Geld herkom­men soll

Ungefähr die Hälfte, nämlich 32 Milli­ar­den Euro, kommt laut Finanz­mi­nis­ter Lindner aus den Bundes­haus­hal­ten des laufen­den und des kommen­den Jahres. Und zwar, wie er betont, ohne dass ein Nachtrags­haus­halt für 2022 oder die Aufwei­chung der Schul­den­brem­se, die der Neuver­schul­dung des Bundes enge Grenzen setzt, im kommen­den Jahr nötig sei. Auch die Einnah­men aus der Abschöp­fung von «Zufalls­ge­win­nen» von Energie­ein­nah­men durch extrem hohe Strom­prei­se sollen in Entlas­tun­gen fließen. Hinzu kommen laut Lindner höhere Steuer­ein­nah­men sowie Vorsor­ge, die schon im Haushalt getrof­fen worden sei.

So zufrie­den sich die Ampel-Vertre­ter mit den Ergeb­nis­sen zeigten, so mühsam war wohl der Weg mit etwa 18 Stunden Verhand­lun­gen, die Grünen-Chef Nouri­pour als «zeitwei­lig aufrei­bend» beschrieb. «Alle mussten einen weiten Weg gehen für einen großen Sprung.» Der Weg führte wie auch schon beim ersten Entlas­tungs­pa­ket durch eine lange Nacht, in der keine Details den Weg in die Öffent­lich­keit fanden. Kanzler­amts­chef Wolfgang Schmidt (SPD) twitter­te am Sonntag­mor­gen: «Schlaf wird überbewertet…».

Von Marti­na Herzog, Basil Wegener, Micha­el Fischer und Jörg Blank, dpa