STUTTGART (dpa/lsw) ‑Krähen haben eine enorme Kraft, sie können ganze Existen­zen zerstö­ren. Zumin­dest dann, wenn sie sich in Massen immer wieder auf ein Feld stürzen und die Saat eines Bauern zerstö­ren. Das Jagdrecht ist streng. Was tun? Exper­ten sind sich nicht einig.

Der Feind kommt für die Bauern aus der Luft. Schwarz ist er, zahlen­mä­ßig hoffnungs­los überle­gen und clever genug, um den Landwir­ten nicht in die Falle zu gehen. In Massen schwärmt er heran, wenn die Saat gerade in vollem Gange ist. Dann stürzt er sich auf Mais und Zucker­rü­ben, Sonnen­blu­men, Winter­wei­zen, Sojaboh­nen und Gewächs­häus­chen. Die Schäden durch Krähen auf den Feldern in Baden-Württem­berg nehmen nach Angaben des Landes­bau­ern­ver­ban­des von Jahr zu Jahr zu.

Bis zu 200 Saat- und auch Raben­krä­hen picken und hacken teils durch die frische Saat und hinter­las­sen wertlo­ses Obst, durch­lö­cher­te Plastik­pla­nen oder heraus­ge­rupf­te Salat­köp­fe, beklagt der Verband und warnt: «Das Ausmaß kann dabei bis zum Total­aus­fall reichen.» Der Protest auf den Höfen werde immer lauter.

Auch dem Land ist das Ausmaß durch­aus bewusst: «Die Schäden sind zwar nur punktu­ell und zeitlich begrenzt. Aber manche Landwir­te bauen als Folge gar keinen Mais mehr an oder überle­gen, ob sie darauf verzich­ten», sagt Jörg Ziegler vom Agrar­mi­nis­te­ri­um im Landtags­aus­schuss, einem Gremi­um, in dem am Mittwoch Jäger und Kommu­nen, Wissen­schaft­ler und auch die Bauern Stellung nahmen.

«Die sind einfach ohnmäch­tig vor lauter Krähen», sagt Dominik Modrze­jew­ski vom Landes­bau­ern­ver­band vor den Abgeord­ne­ten. «Unsere Landwir­te berich­ten mir von massi­ven Schäden, das hat uns wirklich erschro­cken.» Nur schwer lassen sich die picken­den Krähen von den Feldern fernhal­ten. Die durch die EU geschütz­te Saatkrä­he darf nur ausnahms­wei­se geschos­sen werden — und die Geneh­mi­gun­gen sind aufwen­dig und werden aus Sicht der Bauern zu spät erteilt.

Die Erwar­tun­gen der Bauern an das Land sind klar formu­liert: «Wir fordern die Landes­re­gie­rung auf, die Proble­me der landwirt­schaft­li­chen Betrie­be ernst zu nehmen und gemein­sam mit den Bauern­ver­bän­den praxis­taug­li­che und einheit­li­che Lösun­gen zu finden.» Landes- und Bundes­re­gie­rung müssten sich bei den EU-Behör­den in Brüssel dafür einset­zen, dass der Abschuss schnel­ler und einfa­cher geneh­migt werde. «Der Abschuss ist das letzte Mittel, aber es gibt kein anderes Mittel», sagt Modrzejewski.

Aus Sicht der Jäger müssen vor allem die Behör­den sensi­bi­li­siert werden. Für die Saatkrä­he seien Einzel­ge­neh­mi­gun­gen für die Vergrä­mung, also den Abschuss einzel­ner Vögel, unein­heit­lich und nicht an der Praxis orien­tiert. «Über die Handha­bung der Anträ­ge und ihre Ertei­lung herrscht völli­ge Intrans­pa­renz», sagte Klaus Lachen­mai­er vom Landesjagdverband.

Das sieht der Natur­schutz­bund anders: «Die Tötung sollte Ultima Ratio sein», sagt der Karls­ru­her Ornitho­lo­ge Oliver Harms. Außer­dem hebt er die Vortei­le von Saat- und Raben­krä­hen hervor, die als Alles­fres­ser Zehntau­sen­de von Würmern, Schne­cken und Larven pickten. Letzt­lich gebe es keine einfa­chen und einheit­li­chen Lösun­gen. «Wir werden auf indivi­du­el­le Lösun­gen setzen müssen», sagt Harms. «Man muss tiefer in die Materie einstei­gen und ähnlich wie bei den Bibern die Betrof­fe­nen profes­sio­nel­ler beraten.» Auch der Agrar­aus­schuss-Vorsit­zen­de Martin Hahn, selbst als Landwirt Opfer der Krähen, sieht das so: «Leider ist die Lage nicht so, dass man sagen kann “Das machen wir so und dann ist die Welt in Ordnung”.»

Umstrit­ten ist auch der Schutz der Saatkrä­he. «Wenn die Landes­re­gie­rung will, dass sich ungefähr­de­te Arten so ausbrei­ten, dann muss sie auch für die Folgen aufkom­men», kriti­sie­ren die bauern. Wichtig sei außer­dem ein regel­mä­ßi­ges Bestands­mo­ni­to­ring. «Die vorlie­gen­den Zahlen sind zehn Jahre alt», sagte der LBV-Referent für pflanz­li­che Erzeu­gung. «Aber wir gehen davon aus, dass wir mittler­wei­le über 20.000 Brutpaa­re haben.» Auch das Umwelt­mi­nis­te­ri­um spricht von einer «ungefähr­de­ten» Art in einem «günsti­gen Erhaltungszustand».

Was also tun, wenn die Jagd nicht geht? Erfolg­ver­spre­chend sei das Beizen, sagt LBV-Vizeprä­si­dent Jürgen Maurer. Dabei werden Pflan­zen oder Keimlin­ge mit der Lösung Mesur­ol besprüht, die der Saat- und der Raben­krä­he ordent­lich den Appetit verdirbt und nicht giftig ist. Problem: Seit 2020 ist der vogel­ver­grä­men­de Wirkstoff für Saatgut in Deutsch­land verbo­ten. Um Krähen­fraß an Mais zu verhin­dern, nutzen ökolo­gi­sche Betrie­be ein Pflan­zen­stär­kungs­mit­tel auf Basis von Hopfen­ex­trakt. «Wenn man hier mehr in die Forschung inves­tie­ren würde, wäre das Geld zu angebracht», sagt Maurer.

Jürgen Maurer betrach­tet ein von Krähen verur­sach­tes Loch in einem Gewächs­haus. (Foto: Marijan Murat/dpa/Archivbild)

Gibt es keine anderen Mittel? «Das sind cleve­re Tiere, die auch schnell lernen. Man kann sie nicht überlis­ten, die können einen Spazier­stock und ein Gewehr unter­schei­den genau­so wie das Geräusch von Platz­pa­tro­nen und richti­ge Muniti­on», sagt Maurer. Vogel­scheu­chen und Flatter­bän­der oder Windspie­le helfen aus seiner Erfah­rung kaum gegen die Raben­vö­gel, weil sie schnell dazu lernen. Hagel­net­ze werden häufig durch­ge­pickt, Schreck­schuss­an­la­gen sind wegen der Lärmbe­läs­ti­gung umstritten.

Bis sich etwas ändere, gebe es für Gemüse­bau­ern keine Chance, sich und ihre Felder zu schüt­zen, warnt Maurer. «Die Schäden sind immens, die gehen in die Zehntau­sen­de.» Nach einem Bericht des LBV mit Schadens­mel­dun­gen von Bauern aus 21 baden-württem­ber­gi­schen Landkrei­sen treten rund 60 Prozent der Zerstö­run­gen im Mais auf. Auch Zucker­rü­ben, Sonnen­blu­men, Winter­wei­zen, Soja sowie der Obst- und Gemüse­bau sind betrof­fen. Bei vielen Kultu­ren fressen die Vögel sowohl Saatgut als auch Keimlin­ge. Obst- und Gemüse­bau­ern bekla­gen zerhack­te Früch­te und heraus­ge­pick­te Spargel­köp­fe. Laut Bericht führte der Verlust von Saatgut bei so manchem Maisbau­er zu Schäden von bis zu 20.000 Euro, einige Erdbeer­bau­ern hatten bis zu 25.000 Euro Schaden.

Von Martin Oversohl, dpa