BERLIN (dpa) — Seit dem Angriff Russlands auf die Ukrai­ne ringt die deutsche Ampel-Koali­ti­on um den richti­gen Kurs, mehr oder weniger öffent­lich. Nun platzt wichti­gen Akteu­ren der Kragen.

Die Meinungs­ver­schie­den­hei­ten in der Frage der Liefe­rung deutscher Kampf­pan­zer an die Ukrai­ne wachsen sich zu einem öffent­li­chen Koali­ti­ons­krach aus. Nachdem FDP-Vertei­di­gungs­exper­tin Marie-Agnes Strack-Zimmer­mann Kanzler Olaf Scholz (SPD) im Streit um die Kampf­pan­zer öffent­lich angegrif­fen hatte, sagte SPD-Frakti­ons­chef Rolf Mützenich der Deutschen Presse-Agentur: «Eine Politik in Zeiten eines Krieges in Europa macht man nicht im Stil von Empörungs­ri­tua­len oder mit Schnapp­at­mung, sondern mit Klarheit und Vernunft.»

Der Vorsit­zen­de des Europa­aus­schus­ses im Bundes­tag, Anton Hofrei­ter (Grüne) sagte den Zeitun­gen der Funke-Medien­grup­pe (Montag): «Es geht natür­lich nicht nur um Leopard 2, aber dies ist eine entschei­den­de Unter­stüt­zung, die Deutsch­land anbie­ten kann.» Es müsse «jetzt sofort» mit der Ausbil­dung von ukrai­ni­schen Solda­ten am Leopard begon­nen werden, damit es nicht zu weite­ren Verzö­ge­run­gen komme.

Auf der Ukrai­ne-Konfe­renz im rhein­land-pfälzi­schen Ramstein hatte sich Deutsch­land am Freitag trotz erheb­li­chen Drucks der Verbün­de­ten noch nicht für die Liefe­rung von Kampf­pan­zern ins Kriegs­ge­biet entschie­den. Die rot-grün-gelbe Bundes­re­gie­rung erteil­te auch noch keine Liefer­er­laub­nis an andere Länder für die in Deutsch­land produ­zier­ten Panzer.

Hofrei­ter sagte dazu: «Deutsch­land hat in Ramstein einen erheb­li­chen Fehler gemacht und dadurch weiter Ansehen einge­büßt. Das muss jetzt schnell korri­giert werden.»

Einig im Zögern

Jedoch ist US-Präsi­dent Joe Biden in der Frage der Kampf­pan­zer ähnlich zöger­lich wie Scholz. Die Ameri­ka­ner haben zwar grund­sätz­lich nichts gegen die Liefe­rung von Kampf­pan­zern einzu­wen­den, halten aber die Bereit­stel­lung ihrer eigenen M1 Abrams aus prakti­schen Gründen nicht für sinnvoll. Die US-Panzer müssten erst über den Atlan­tik trans­por­tiert werden, die Instand­hal­tung sei aufwen­di­ger, und sie verbrauch­ten zu viel Treib­stoff. Auch US-Vertei­di­gungs­mi­nis­ter Lloyd Austin kündig­te in Ramstein deswe­gen keine Kampf­pan­zer-Liefe­rung an.

Scholz beton­te in der Debat­te über Waffen­lie­fe­run­gen wieder­holt, Deutsch­land werde keine Allein­gän­ge machen, sondern sich bei wichti­gen Schrit­ten immer mit den Partnern eng abstim­men — insbe­son­de­re mit den USA und Frankreich.

Strack-Zimmer­mann, die Vorsit­zen­de des Vertei­di­gungs­aus­schus­ses im Bundes­tag ist, bezeich­ne­te Mützenich auf Twitter als «das Sinnbild aller zentra­len Verfeh­lun­gen deutscher Außen­po­li­tik». Sie schrieb: «Seine Ansich­ten von gestern führen in die Proble­me von morgen. Er ist nicht mehr in der Lage, sein Weltbild der Reali­tät anzupassen.»

Kritik an «Empörungs­ri­tua­len» und »Schnapp­at­mut»

Am Freitag hatte Strack-Zimmer­mann den Kanzler im ZDF-«heute journal» angegrif­fen, was wieder­um eine hefti­ge Reakti­on Mützenichs auslös­te. «Frau Strack-Zimmer­mann und andere reden uns in eine militä­ri­sche Ausein­an­der­set­zung hinein. Diesel­ben, die heute Allein­gän­ge mit schwe­ren Kampf­pan­zern fordern, werden morgen nach Flugzeu­gen oder Truppen schrei­en», sagte Mützenich der Deutschen Presse-Agentur. «Eine Politik in Zeiten eines Krieges in Europa macht man nicht im Stil von Empörungs­ri­tua­len oder mit Schnapp­at­mung, sondern mit Klarheit und Vernunft.»

Strack-Zimmer­mann hatte die Kommu­ni­ka­ti­on insbe­son­de­re von Scholz in der Frage von Kampf­pan­zer-Liefe­run­gen an die Ukrai­ne als «Katastro­phe» bezeich­net, denn einer­seits unter­stüt­ze Deutsch­land die Ukrai­ne massiv, durch die ausblei­ben­de Entschei­dung bei den Kampf­pan­zern entste­he aber ein anderer Eindruck. Sie sagte Tagesschau24 am Samstag: «Wenn man Leopard 2 nicht liefern will, dann muss erklärt werden, warum. Dann muss der Ukrai­ne erklärt werden, warum.»

Auch Bundes­tags-Vizeprä­si­den­tin Katrin Göring-Eckardt (Grüne) zeigte sich enttäuscht. «Ich hätte mir gewünscht, dass bereits in dieser Woche die deutsche Regie­rung den Weg für die Liefe­rung von Leopard-Panzern freige­macht hätte», sagte sie am Wochen­en­de den Zeitun­gen der Funke Medien­grup­pe. «Diese werden in der Ukrai­ne dringend gebraucht. Die Ukrai­ne vertei­digt nicht nur ihr eigenes Land, sondern auch unsere Freiheit.»

Vertei­di­gungs­mi­nis­ter Boris Pisto­ri­us (SPD) sagte der «Bild am Sonntag» auf die Frage, wann die Entschei­dung über Leopard-Panzer für die Ukrai­ne falle: «Wir sind mit unseren inter­na­tio­na­len Partnern, allen voran mit den USA, in einem sehr engen Dialog zu dieser Frage.» Um auf mögli­che Entschei­dun­gen bestens vorbe­rei­tet zu sein, habe er am Freitag sein Haus angewie­sen, «alles so weit zu prüfen, dass wir im Fall der Fälle nicht unnötig Zeit verlie­ren». Er kündig­te in dem Inter­view auch an, möglichst bald in die Ukrai­ne reisen zu wollen, «vermut­lich sogar schon inner­halb der nächs­ten vier Wochen».

Pisto­ri­us hatte am Donners­tag sein Amt angetre­ten, nachdem Chris­ti­ne Lambrecht als Ressort­che­fin zurück­ge­tre­ten war.

Von Micha­el Fischer, Betti­na Grach­trup und Marti­na Herzog, dpa