Die deutsche Bundes­kanz­le­rin und ihre EU-Kolle­gen haben Themen auf der Karte, die den Kurs der EU auf Jahre hinaus bestim­men könnten. Beim Brexit und beim Klima zeigen sie sich erstaun­lich einig. Und dann meldet sich auch noch die Corona-Krise mit Macht zurück.

Man wolle weiter einen fairen Deal, aber nicht zu jedem Preis, sagten EU-Unter­händ­ler Michel Barnier und auch Bundes­kanz­le­rin Angela Merkel in Brüssel. Der briti­sche Unter­händ­ler David Frost reagier­te enttäuscht und kündig­te eine offizi­el­le Erklä­rung für Freitag an. Dann könnte Premier­mi­nis­ter Boris Johnson sagen, ob er die Verhand­lun­gen abbricht.

Beide Seiten arbei­ten seit Monaten an einem Handels­pakt, der nach dem Brexit und der wirtschaft­li­chen Trennung zum Jahres­en­de Zölle und Handels­hemm­nis­se verhin­dern soll. Doch ist man in entschei­den­den Punkten von einer Lösung weit entfernt — obwohl Johnson der EU eine Frist zur Einigung bis 15. Oktober gesetzt hatte.

Barnier schlug vor, die Verhand­lun­gen in den nächs­ten zwei bis drei Wochen noch einmal zu inten­si­vie­ren. Er wolle die kommen­de Woche komplett in London sein. Dann sei eine Runde in Brüssel vorge­se­hen. Die Gipfel­er­klä­rung fordert zugleich Zugeständ­nis­se aus London, vor allem bei den wichtigs­ten Knack­punk­ten Fische­rei, Wettbe­werbs­be­din­gun­gen und Streit­schlich­tung. «Auf keinen Fall dürfen unsere Fischer die Opfer des Brexits sein», sagte der franzö­si­sche Präsi­dent Emmanu­el Macron.

Der briti­sche Unter­händ­ler Frost zeigte sich enttäuscht über die Gipfel­er­klä­rung. Überra­schend sei auch, dass nur Großbri­tan­ni­en sich bewegen solle. «Das ist ein ungewöhn­li­cher Ansatz in der Verhand­lungs­füh­rung», schrieb Frost auf Twitter.

Merkel hatte zuvor gesagt, es gehe nicht um eine Einigung um jeden Preis, sondern um eine faire Verein­ba­rung kommen, von der beide Seiten profi­tie­ren könnten. «Es lohnt sich alle Mühe.» Ratschef Charles Michel beton­te, die EU sei hundert­pro­zen­tig geschlos­sen und «extrem ruhig».

Nach der Brexit-Debat­te berie­ten die EU-Staats- und Regie­rungs­chefs am Abend ein neues Klima­ziel für 2030 und waren sich grund­sätz­lich einig, die Zielmar­ke höher zu setzen. «Um das Ziel einer klima­neu­tra­len EU bis 2050 in Überein­stim­mung mit dem Pariser Abkom­men zu errei­chen, muss die EU ihre Ambiti­on für die nächs­ten zehn Jahre erhöhen und ihre Klima- und Energie­po­li­tik anpas­sen», heißt es im Gipfelbeschluss.

Eine Festle­gung auf den Vorschlag der EU-Kommis­si­on, die EU-Treib­haus­ga­se bis 2030 um mindes­tens 55 Prozent unter den Wert von 1990 zu senken, gab es erwar­tungs­ge­mäß noch nicht. Darüber soll erst im Dezem­ber entschie­den werden. Merkel stell­te sich aber bereits hinter dieses Ziel. Es wäre wichtig, wenn sich die EU-Staaten bis Dezem­ber gemein­sam dazu beken­nen würden, sagte die CDU-Politi­ke­rin. «Deutsch­land wird das jeden­falls tun.» Bisher gilt als Ziel für 2030 minus 40 Prozent.

Elf weite­re EU-Staaten haben sich ebenfalls bereits hinter diese Positi­on gestellt, doch einige bleiben skeptisch. Darun­ter ist Polen, das stark auf Kohle angewie­sen ist. Auch Tsche­chi­ens Minis­ter­prä­si­dent Andrej Babis sagte, sein Land werde eine so starke Reduzie­rung der Treib­haus­ga­se nicht schaf­fen. Er sei aber nicht grund­sätz­lich gegen das 55-Prozent-Ziel, wenn andere Staaten mehr Reduk­ti­on übernähmen.

EU-Ratschef Michel sagte, nun müsse man sehen, welche «Baustei­ne» nötig seien, um alle EU-Staaten von dem 55-Prozent-Ziel zu überzeu­gen. Es geht unter anderem um Finanz­hil­fen für den Umbau der Wirtschaft. Mit dem neuen Ziel will die EU helfen, das Pariser Klima­ab­kom­men umzuset­zen und die gefähr­li­che Überhit­zung der Erde zu stoppen.

Sehr besorgt zeigte sich Michel wegen der stark steigen­den Corona-Zahlen überall in Europa. Darüber beriet der Gipfel überra­schend ebenfalls noch am Donners­tag­abend. Ziel sei eine engere Koordi­nie­rung unter anderem bei der Kontakt­nach­ver­fol­gung und bei Quaran­tä­ne­re­geln, um die Ausbrei­tung des Virus zu begrenzen.

Dänemarks Minis­ter­prä­si­den­tin Mette Frede­rik­sen sagte der Agentur Ritzau, auch der Gipfel hätte besser online statt vor Ort statt­fin­den sollen. Tatsäch­lich musste von der Leyen das Ratsge­bäu­de gleich nach Auftakt wieder verlas­sen: Nachdem jemand aus ihrem Stab positiv getes­tet wurde, begab sich die 62-Jähri­ge in Quarantäne.