PEKING (dpa) — Die Paralym­pics in Peking verlie­fen aufgrund vieler Umstän­de alles andere als unbeschwert. Doch zumin­dest sport­lich kann Deutsch­lands Verbands­prä­si­dent ein unerwar­tet positi­ves Fazit ziehen.

So viele unter­schied­li­che Emotio­nen hat selbst Fried­helm Julius Beucher selten erlebt. Und solch seltsa­me Paralym­pics schon gleich gar nicht. Deshalb muss der 75-Jähri­ge auch ungewöhn­lich lange überle­gen, wie er das Fazit der Winter­spie­le in Peking in einem Satz zusammenfasst.

«Mit Freude über die sport­li­chen Erfol­ge, aber auch mit sehr viel Nachdenk­lich­keit verlas­sen wir China», sagt der Präsi­dent des Deutschen Behin­der­ten­sport­ver­ban­des (DBS) im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur schließlich.

Paralym­pics enden mit «gemisch­ten Gefühlen»

Der überla­gern­den Trauer durch den Ukrai­ne-Krieg, dem Frust über das Leben in der rigoro­sen Corona-Blase und dem Ärger über Ausrich­ter China mit schwie­ri­gen Trans­por­ten, Verbo­ten von Friedens­bot­schaf­ten und teilwei­se wohl zweifel­haft klassi­fi­zier­ten Sport­lern steht aus deutscher Sicht ein erfreu­li­ches Abschnei­den mit vielen Emotio­nen gegenüber.

«Ich bin unwahr­schein­lich glück­lich und eupho­ri­siert über das Abschnei­den», sagte Beucher, seit 2009 DBS-Präsi­dent und davor unter anderem zwölf Jahre Mitglied des Deutschen Bundes­ta­ges. Mit einem nach Rücktrit­ten, Krank­hei­ten und Verlet­zun­gen dezimier­ten Team, das mit gerings­ten Erwar­tun­gen angetre­ten war, holte der DBS mit 19 Medail­len so viele wie vier Jahren in Pyeongchang, wenn auch weniger Gold. Mit Rang sieben im Medail­len­spie­gel wurde das Ziel Top 10 erreicht, zudem behaup­te­te Deutsch­land Rang eins im ewigen Medail­len­spie­gel. «Wir feiern hier eigent­lich jeden Tag eine Medail­len­par­ty, Herr Bundes­kanz­ler», verriet Snowboar­der Matthi­as Keller in einer Video­schal­te Bundes­kanz­ler Olaf Scholz.

«Das haben wir im Ansatz nicht erwar­tet und auch nicht erwar­ten können», sagt Beucher: «Vor allem gab es viele schöne Medail­len.» Neben der erneu­ten Doppel-Paralym­pics­sie­ge­rin Anna-Lena Forster, die am Skihang die hohen Erwar­tun­gen erfüll­te, holten die 15 Jahre alte Linn Kazmai­er im Langlauf und die 18 Jahre alte Abschluss-Fahnen­trä­ge­rin Leonie Walter im Biath­lon Gold.

«Küken-WG» sammelt Medaillen

«Das Schwarz­wald­mä­del und das Schwa­ben­mä­del aus der ‘Küken-WG’ haben eine sensa­tio­nel­le Geschich­te geschrie­ben», sagt Beucher lachend: «Sie sollten nur Erfah­run­gen sammeln. Und dann sammeln sie gleich Erfah­rung beim Medail­len­ab­grei­fen. Ich hoffe, dass sie eine Leucht­kraft entwi­ckeln, die uns hilft, Nachwuchs zu generieren.»

Während die Youngs­ter ihre Erfol­ge schein­bar gelas­sen genos­sen, flossen auch viele Tränen. So bei Andrea Rothfuss, die nach Bronze im Riesen­sla­lom unerwar­tet auch von ihren fünften Spielen mit einer Medail­le zurück­kehr­te und diese emotio­nal sogar über Slalom-Gold von Sotschi stell­te. Oder bei Eröff­nungs-Fahnen­trä­ger Martin Fleig, der seine Karrie­re beende­te und nach Gold in Pyeongchang diesmal im 10-Kilome­ter-Biath­lon­ren­nen Silber holte. Die Erfol­ge sind laut Beucher auch dem Team hinter dem Team zuzuschrei­ben: «Unsere Wachser sind Gold-Wachser, unsere Ärzte sind Künstler.»

Vieles um den Sport herum verlief jedoch betrüb­lich. Während die vom Krieg geplag­ten Ukrai­ner als Zweite im Medail­len­spie­gel erfolg­reich waren und vieler­orts gefei­ert und bejubelt wurden, wurden zahlrei­che Friedens-Signa­le gestoppt und verhin­dert. Laut Beucher nicht vom Inter­na­tio­na­len Paralym­pi­schen Komitee (IPC), sondern vom Organi­sa­ti­ons-Komitee (OCOG). «Das OCOG hat mehr Einfluss auf die Ukrai­ner genom­men als es dem IPC lieb war», sagt er vorsichtig.

DBS-Präsi­dent mahnt Klassi­fi­zie­run­gen an

Dem IPC beschei­nigt der DBS-Präsi­dent, mit dem Ausschluss der russi­schen und belarus­si­schen Athle­ten «einen Riesen­feh­ler inner­halb von 24 Stunden behoben zu haben. Und die Rede von IPC-Präsi­dent Andrew Parsons war so gut, dass sie im chine­si­schen Fernse­hen zensiert wurde.»

Unmut herrsch­te auch über die Einstu­fung vieler Chine­sen, die klar die meisten Medail­len holten, obwohl sie zuvor nur eine Medail­le im Curling gewon­nen hatten. «Ärzte und Physi­os sagen mir, dass manche nicht in ihre Klasse gehören», sagt Beucher: «Dieses Gespenst der Klassi­fi­zie­rung tragen wir vor uns her. Das müssen wir regeln, sonst wird irgend­wann von Schum­mel-Spielen die Rede sein.»

Die strik­ten Corona-Maßnah­men wirkten derweil. Nach einer offizi­el­len Erhebung, die der dpa vorliegt, wurden bis einschließ­lich Samstag während der Spiele 519.486 Tests entnom­men. Davon waren sechs positiv, davon fünf Athle­ten oder Offizielle.

Von Holger Schmidt und Tobias Brink­mann, dpa