BERLIN (dpa) — In kaum einen anderen Bereich sind die 27 EU-Staaten so vom Ausland abhän­gig wie in der Digital­wirt­schaft. Das belegt auch eine Studie. Die Forscher empfeh­len, bei der Aufhol­jagd realis­tisch zu bleiben.

Deutsch­land und die anderen EU-Länder geraten im Bereich der Digital­wirt­schaft im Vergleich zu China, Südko­rea und den USA immer weiter ins Hintertreffen.

Das ist das zentra­le Ergeb­nis einer Studie, die zwei Forscher an der Univer­si­tät Bonn im Auftrag der Konrad-Adenau­er-Stiftung erstellt haben. Die Diagno­se wider­spre­che den Aussa­gen der EU-Kommis­si­on. «Das geplan­te «Digita­le Jahrzehnt» wird Europa kaum in die Lage verset­zen, um die «digita­le Führung» auf globa­ler Ebene zu konkur­rie­ren», heißt es in der Studie, die am Diens­tag in Berlin veröf­fent­licht wurde.

Die Forscher Maximi­li­an Mayer und Yen-Chi Lu haben für ihre Analy­se den «Digital Depen­dence Index» (DDI) entwi­ckelt, der das Verhält­nis von inlän­di­scher Nachfra­ge und auslän­di­schem Angebot digita­ler Techno­lo­gien verdeut­licht. Auf den Ideal­wert zwischen 0 und 0,25 kommt demnach keine Region weltweit. Die USA sind die einzi­ge führen­de Wirtschafts­na­ti­on mit einem DDI-Wert knapp unter 0,5. Diese Kennzahl bedeu­tet, dass das inlän­di­sche Angebot den Großteil der digita­len Techno­lo­gien liefert. Damit seien die USA beim Handel mit digita­len Gütern und Dienst­leis­tun­gen, im Bereich der Infor­ma­ti­ons- und Kommu­ni­ka­ti­ons­in­fra­struk­tu­ren sowie bei den geisti­gen Eigen­tums­rech­ten für digita­le Techno­lo­gien am besten aufgestellt.

Hohe Verwund­bar­keit der Digital­wirt­schaft in der EU

In der Studie landet China mit dem DDI-Wert von 0,58 auf Platz 2, Südko­rea mit 0,66 auf Platz 3. Deutsch­land und die anderen Länder der EU überschrei­ten alle die Schwel­le von 0,75, die eine hohe Verwund­bar­keit der Digital­wirt­schaft signa­li­siert. Die Autoren werfen in diesem Zusam­men­hang die Frage auf, ob großan­ge­leg­te EU-Projek­te wie die Cloud-Initia­ti­ve Gaia‑X die richti­ge Wahl seien, um zum Aushän­ge­schild für die Ambitio­nen in Bezug auf techno­lo­gi­sche Autono­mie zu werden.

Wie sehr Europa ins Hinter­tref­fen geraten sei, könne man auch an der Zahl der Paten­te ablesen, die im Umfeld der Digital­wirt­schaft zugespro­chen worden seien. «US-ameri­ka­ni­sche, chine­si­sche und südko­rea­ni­sche Unter­neh­men melden immer mehr IKT-bezoge­ne Paten­te an», heißt es in der Studie.

Deutsch­land mit einen DDI-Wert von 0,82 sei nur beim Handel in der Digital­wirt­schaft halbwegs gut aufge­stellt. Die Abhän­gig­keit von auslän­di­schen Digital­platt­for­men sei dagegen sehr hoch. Auch beim geisti­gen Eigen­tum gebe es große Defizi­te. Daher sei die Forde­rung nach einer digita­len Souve­rä­ni­tät Deutsch­lands unrea­lis­tisch und gleiche dem sprich­wört­li­chen Kampf gegen Windmüh­len. Ein realis­ti­sche­res Ziel könnte darin bestehen, eine Politik zu entwer­fen, die das Abhän­gig­keits­ni­veau der Wirtschaft von «hoher Verwund­bar­keit» zu «gerin­ger Verwund­bar­keit» bewegen.