Kommt er vor Gericht — oder gibt es einen Deal? Ein Prozess­be­ginn im Betrugs­ver­fah­ren um Ex-VW-Chef Winter­korn war lange in der Schwe­be. Nun steht fest: Der über «Diesel­ga­te» gestürz­te Manager muss sich öffent­lich stellen. Aber nicht so, wie seine Anklä­ger es wollten.

Der heute 73-jähri­ge und lange als unantast­bar gelten­de frühe­re Chef des Volks­wa­gen-Konzerns muss sich gegen den Vorwurf des «gewerbs- und banden­mä­ßi­gen Betrugs» vertei­di­gen. Dies kündig­te das Landge­richt Braun­schweig an. Die deutsche Justiz macht damit ernst: Während bisher vor allem in den USA Manager im Zusam­men­hang mit «Diesel­ga­te» zur Rechen­schaft gezogen wurden, wollen Straf­rich­ter nun auch hierzu­lan­de genau wissen, was damals los war.

Er sei sich «keines Fehlver­hal­tens bewusst», sagte der einst bestbe­zahl­te Top-Manager aller Dax-Konzer­ne Ende Septem­ber 2015 in seiner Abschieds­er­klä­rung. Das sah zumin­dest die Staats­an­walt­schaft in Braun­schweig anders. Winter­korn und vier weite­re — teils ehema­li­ge – VW-Führungs­kräf­te müssen sich nach der Ankla­ge im Frühjahr 2019 und langem Hin und Her zwischen Gericht und Betei­lig­ten nun auf etliche Termi­ne im Gerichts­saal einstel­len. Und in einem Punkt legten die Richter sogar eine Schip­pe drauf, nachdem es lange so ausge­se­hen hatte, dass Teile der Ankla­ge­schrift kassiert werden könnten.

Die Kammer sieht bei Winter­korn eine hinrei­chen­de Wahrschein­lich­keit, dass er wegen gewerbs- und banden­mä­ßi­gen Betrugs verur­teilt werden könnte. Deswe­gen wurde die Eröff­nung des Haupt­ver­fah­rens im Kern zugelas­sen. Ursprüng­lich waren die Straf­ver­fol­ger «nur» auf schwe­ren Betrug aus gewesen. Sie sind nun aber der Auffas­sung, dass «Käufer bestimm­ter Fahrzeu­ge aus dem Volks­wa­gen-Konzern über deren Beschaf­fen­heit, insbe­son­de­re die Verwen­dung einer sogenann­ten Abschalt­ein­rich­tung in der Motor­steue­rungs­soft­ware getäuscht» wurden.

Dadurch sei die Einhal­tung der Stick­oxid-Emissio­nen nur in Tests gewähr­leis­tet gewesen, nicht aber im norma­len Betrieb auf der Straße. Die Kunden hätten dadurch einen enormen Vermö­gens­scha­den erlit­ten. Insge­samt ist von «mehre­ren 100 Millio­nen Euro» und rund neun Millio­nen betrof­fe­nen Autos in den USA und Europa die Rede.

Entlas­tend ist aus Sicht der Winter­korn-Anwäl­te dagegen, dass ihr Mandant nicht auch noch wegen Untreue zum Nachteil von Volks­wa­gen sowie straf­ba­rer Werbung wegen der Anprei­sung «beson­de­rer, tatsäch­lich nicht vorhan­de­ner Vorzü­ge von Fahrzeu­gen im Bereich der Emissio­nen» dran kommt. Vertei­di­ger Felix Dörr findet das richtig: Ein hinrei­chen­der Tatver­dacht sei hier «zu vernei­nen». Insofern sehe er sogar eine «Verschlan­kung der Vorwürfe».

Und Volks­wa­gen selbst? Formal hat der Betrugs­pro­zess mit dem Unter­neh­men direkt nichts mehr zu tun. Im 2018 Sommer hatte die Staats­an­walt­schaft Braun­schweig im Zuge der Diesel-Ermitt­lun­gen ein Bußgeld von einer Milli­ar­de Euro gegen die Aktien­ge­sell­schaft verhängt. Recht­lich waren diese «Aufsichts­pflicht­ver­let­zun­gen» eine Ordnungs­wid­rig­keit. Der Autobau­er verzich­te­te damals darauf, Rechts­mit­tel einzu­le­gen und bekann­te sich damit zu seiner Verant­wor­tung. Grund­sätz­lich begrüßt man den «weite­ren Schritt der juris­ti­schen Aufar­bei­tung gegen­über Einzel­per­so­nen». Bei einigen der übrigen Angeklag­ten geht es zudem um Steuer­hin­ter­zie­hung und straf­ba­re, wettbe­werbs­ver­zer­ren­de Werbung bezie­hungs­wei­se Beihilfe.

Für Winter­korn könnte es noch in einem anderen Verfah­ren ungemüt­lich werden. Anders als beim heuti­gen Konzern­chef Herbert Diess und Aufsichts­rats­vor­sit­zen­den Hans Dieter Pötsch ist in seinem Fall bisher nicht entschie­den, ob er sich straf­recht­lich auch wegen Markt­ma­ni­pu­la­ti­on wird verant­wor­ten müssen. Bei Diess und Pötsch war das Verfah­ren gegen eine Geldauf­la­ge von jeweils 4,5 Millio­nen Euro einge­stellt worden — bei Winter­korn ist das noch offen. Es geht um den Vorwurf, die VW-Spitze habe Anleger und Finanz­märk­te zu spät über die drohen­den Risiken infor­miert, als der Skandal bekannt wurde.

Im Septem­ber 2015 hatte Volks­wa­gen nach Prüfun­gen von Behör­den und Recher­chen von Forschern in den USA Manipu­la­tio­nen an den Abgas­wer­ten von Diesel­au­tos zugege­ben. Die Software bestimm­ter Motoren war so einge­stellt, dass auf der Straße deutlich mehr gifti­ge Stick­oxi­de (NOx) ausge­sto­ßen wurden als in Tests. In den USA wurde gegen Winter­korn sogar ein Haftbe­fehl erlassen.

Wann der Braun­schwei­ger Betrugs­pro­zess beginnt, ist noch offen. Das Landge­richt stellt sich laut einer Spreche­rin auf «ein mehrmo­na­ti­ges Verfah­ren» ein. Zuletzt hatte man dort mehrmals betont, dass es sich allein bei diesem Teilaspekt der Diesel­af­fä­re um einen der bisher umfang­reichs­ten Vorgän­ge am Gericht überhaupt handele.