SCHWERIN (dpa) — Bei Bauar­bei­ten werden regel­mä­ßig Bomben und andere Kampf­stof­fe aus dem Zweiten Weltkrieg entdeckt. Das hat Auswir­kun­gen nicht nur auf die Anwoh­ner. Wie lange müssen wir noch mit der Gefahr leben?

Immer wieder werden Weltkriegs­bom­ben gefun­den, mitun­ter müssen dann Tausen­de Menschen in Sicher­heit gebracht werden: Exper­ten rechnen damit, dass in den kommen­den Jahren von Blind­gän­gern eine steigen­de Gefahr ausgeht.

«Wir befürch­ten, dass die Zünder durch Korro­si­ons­pro­zes­se im Laufe der Zeit empfind­li­cher werden und sich schnel­ler auslö­sen können», sagte der Leiter des Muniti­ons­ber­gungs­diens­tes Mecklen­burg-Vorpom­mern, Robert Molli­tor, der Deutschen Presse-Agentur. «Dann reicht womög­lich nicht nur der Druck auf den Zünder für eine Detona­ti­on aus, sondern allein schon ein Bewegen des Kampf­mit­tels.» Die Gefahr ist auch fast 80 Jahre nach Kriegs­en­de noch nicht gebannt.

«Spreng­stoff wie TNT ist chemisch stabil. Zu sagen, wir warten noch 100 Jahre, dann löst er sich auf — diese Hoffnung gibt es nicht», sagte Molli­tor als Vorsit­zen­der der Arbeits­ge­mein­schaft der Leiter der Kampf­mit­tel­räum­diens­te der Bundes­län­der. «Der Spreng­stoff ist genau­so aktiv und reißt heute ein genau­so großes Loch wie damals.» Dass eine Bombe ohne Fremd­ein­wir­kung detoniert, weil sich der Zünder zersetzt, kommt in Deutsch­land nach Einschät­zung von Behör­den statis­tisch gesehen einmal im Jahr vor.

Blind­gän­ger in Bremen

Bundes­weit werden im Schnitt pro Jahr etwa 1300 Tonnen Kampf­mit­tel gefun­den. Hunder­te Blind­gän­ger werden entschärft. Die meisten stammen aus der Zeit zwischen 1942 und 1945, als Deutsch­land aus der Luft bombar­diert wurde. Die meisten Entschär­fun­gen verlau­fen ohne Kompli­ka­tio­nen. Mitun­ter müssen Gebäu­de geräumt und Straßen gesperrt werden. Unklar ist, wie viel Muniti­on noch unter der Erde liegt.

In Bremen wurden in diesem Jahr bis Ende Oktober rund 340 Bomben und Grana­ten sowie 350 Kilogramm sonsti­ger Kampf­mit­tel besei­tigt. «Man kann sagen, dass in Bremen jeden Tag Kampf­mit­tel gefun­den werden», teilte die Polizei mit. In Hamburg waren es dieses Jahr bislang mehr als 200 Weltkriegs­bom­ben und Grana­ten. In Branden­burg sprach das Innen­mi­nis­te­ri­um von 140 größe­ren Spreng­bom­ben, 800 Brand­bom­ben und ebenso vielen Minen, 11 400 Raketen und rund 37 000 Granaten.

«Es passiert recht wenig mit Fundmu­ni­ti­on, auch wenn sie grob aus dem Boden heraus­ge­holt wird, etwa mit einem Bagger», sagte Molli­tor. Dennoch kann es zu schwe­ren Unfäl­len kommen. In Göttin­gen im Süden Nieder­sach­sens wurden 2010 drei Mitar­bei­ter eines Kampf­mit­tel­be­sei­ti­gungs­diens­tes bei der Detona­ti­on eines Blind­gän­gers getötet. 2021 wurden mehre­re Menschen in München bei der Explo­si­on einer Flieger­bom­be an einer Bahnstre­cke verletzt.

Bemühun­gen der Bauwirtschaft

Nach Einschät­zung Molli­tors sind Baufir­men mittler­wei­le viel vorsich­ti­ger als in der Vergan­gen­heit. So werden Baugrund­stü­cke vorab auf mögli­che Muniti­on hin unter­sucht. «Früher hat man einfach losge­legt. Seit vielen Jahren gibt es Bemühun­gen der Bauwirt­schaft auch der Berufs­ge­nos­sen­schaf­ten, dass man die Risiken nicht akzep­tie­ren möchte.» Der Verein zur Förde­rung fairer Bedin­gun­gen am Bau macht seit 2014 gemein­sam mit dem Haupt­ver­band der Deutschen Bauin­dus­trie in einem Merkblatt auf die Gefah­ren aufmerksam.

Darin heißt es, dass bundes­weit etwa 1000 Städte und Orte von der Bombar­die­rung betrof­fen gewesen seien. Demnach sollen Schät­zun­gen zufol­ge noch 100.000 Tonnen Blind­gän­ger im Boden liegen. Nieder­sach­sen rechnet damit, dass die Zahl gefun­de­ner Weltkriegs­bom­ben in den kommen­den Jahren wohl noch steigen werde. Grund sind laut dem Landes­in­nen­mi­nis­te­ri­um viele Bauvor­ha­ben — etwa beim Schie­nen­netz, dem Glasfa­ser­aus­bau und den erneu­er­ba­ren Energien.

Am Beispiel Mecklen­burg-Vorpom­merns macht Robert Molli­tor deutlich, wieviel die Kampf­mit­tel­räum­diens­te noch zu tun haben könnten. 38 000 Hektar seien in dem Bundes­land als stark belas­tet einge­stuft worden, darun­ter 28.000 Hektar Wald. «20 Jahre brauchen wir, um Ortschaf­ten zu schüt­zen», sagte er. In Städten ist so etwas nach Einschät­zung des Fachmanns nicht möglich. «Unsere Messge­rä­te können immer nur geoma­gne­ti­sche Anoma­lien feststel­len, Eisen im Boden zum Beispiel. Davon gibt es in der Stadt natür­lich unheim­lich viel.»

Unter Häusern, die direkt nach dem Krieg gebaut wurden, könnten noch immer Weltkriegs­bom­ben liegen. Dort sei damals nicht gezielt danach gesucht worden, sagte Molli­tor und prognos­ti­ziert: «Wir werden noch 100 bis 150 Jahre Bomben in Städten finden.»