BERLIN (dpa) — Mit Verweis auf ein inter­nes Dokument wird dem Impfstoff-Herstel­ler Biontech unter­stellt, er sei selbst gar nicht überzeugt von seinem Corona-Präpa­rat. Was ist dran an der AfD-Behaup­tung? Ein Faktencheck.

Seit fast andert­halb Jahren wird der Impfstoff von Biontech weltweit gegen das Corona­vi­rus einge­setzt. Millio­nen Menschen bietet er Schutz gegen schwer­wie­gen­de Covid-Erkran­kun­gen. Obwohl das bereits viele inter­na­tio­na­le Unter­su­chun­gen nachge­wie­sen haben, laufen Impfgeg­ner weiter Sturm gegen das Mittel.

Jüngst wird mit Verweis auf ein Biontech-Dokument aus den USA dem Herstel­ler unter­stellt, er selbst sei gar nicht überzeugt von seinem Impfstoff.

Behaup­tung: «Biontech glaubt nicht mal selbst an die Impfung», heißt es etwa von der AfD.

Bewer­tung: Falsch.

Fakten: Im Mittel­punkt des Vorwurfs in Richtung des Pharma­un­ter­neh­mens aus Mainz steht dessen Bericht an die US-Börsen­auf­sicht SEC (Securi­ties and Exchan­ge Commis­si­on) vom 30. März 2022 über das Geschäfts­jahr 2021. Ein solcher muss nach dem US-Handels­ge­setz jährlich von auslän­di­schen Aktien­ge­sell­schaf­ten vorge­legt werden.

Grund­sätz­lich verweist Biontech in diesem Bericht auf das «hohe Schutz­ni­veau» der Impfung. Das Mittel biete «ein hohes Maß an Schutz gegen bedenk­li­che Varian­ten, einschließ­lich Alpha, Beta und Delta». Jüngs­te Labor­stu­di­en hätten zudem gezeigt, dass drei Impfdo­sen auch gegen die Varian­te Omikron wirkten, so das Unternehmen.

Doch vor allem ein Satz im insge­samt 700 Seiten umfas­sen­den Papier erhitzt die Gemüter. Biontech schreibt: «Es könnte sein, dass wir nicht in der Lage sind, eine ausrei­chen­de Wirksam­keit oder Sicher­heit unseres Covid-19-Impfstoffs und/oder varian­ten­spe­zi­fi­scher Präpa­ra­te nachzu­wei­sen, um eine dauer­haf­te behörd­li­che Zulas­sung in den USA, in Großbri­tan­ni­en, in der Europäi­schen Union oder in anderen Ländern zu erhal­ten, in denen der Impfstoff eine Notzu­las­sung oder eine beding­te Markt­zu­las­sung erhal­ten hat.»

Einige schlie­ßen daraus, dass selbst der Herstel­ler einräumt, ein unwirk­sa­mes und unsiche­res Mittel auf den Markt gebracht zu haben.

Börsen­auf­sicht macht genaue Vorschriften

Doch das stimmt nicht. Die Aussa­ge fällt in einem Warnhin­weis mit Vorher­sa­gen der Geschäfts­füh­rung («Cautio­na­ry state­ment regar­ding forward-looking state­ments»). Diese juris­ti­schen Angaben sind von der Börsen­auf­sicht detail­liert vorge­schrie­ben, um mögli­che Schaden­er­satz­kla­gen von Inves­to­ren zu vermeiden.

Im Biontech-Bericht führt diese Vorschrift dazu, dass alle denkba­ren Einflüs­se auf den Unter­neh­mens­ge­winn und die geschäft­li­che Entwick­lung geschil­dert werden müssen. Damit sollen sich Inves­to­ren über sämtli­che mögli­che Risiken ein Bild machen können.

Zu den aufge­führ­ten poten­zi­el­len Unwäg­bar­kei­ten gehört unter anderem auch die Konkur­renz durch andere Impfstof­fe und deren Effizi­enz, Kosten, Trans­port- und Lager­mög­lich­kei­ten, Sicher­heit, Neben­wir­kun­gen und Bestän­dig­keit der Immun­ant­wort. Die Geschäfts­er­geb­nis­se könnten auch beein­flusst werden etwa durch «das Ausmaß, in dem ein Covid-19-Vakzin in der Zukunft weiter­hin nötig sein wird».

Derzeit gilt für den Biontech-Impfstoff Comirna­ty in der Europäi­schen Union eine beding­te Markt­zu­las­sung. Diese wurde erstmals im Dezem­ber 2020 erteilt und im Novem­ber 2021 um ein weite­res Jahr verlängert.

Wie sich Comirna­ty in Studi­en geschla­gen hat

An die Sicher­heit von Covid-19-Impfstof­fen werden von der Europäi­schen Arznei­mit­tel-Agentur (EMA) diesel­ben Anfor­de­run­gen gestellt wie an jeden anderen in der EU zugelas­se­nen Impfstoff. Bei einer beding­ten Zulas­sung werden Daten bewer­tet, sobald sie verfüg­bar sind — und nicht erst, wenn alle Unter­su­chun­gen abgeschlos­sen sind.

Nach einer anfäng­li­chen Notfall­zu­las­sung in den USA hatte die Arznei­mit­tel­be­hör­de FDA dem Mittel bereits im August 2021 die vollstän­di­ge Zulas­sung erteilt.

Nach aktuel­lem Stand der Wissen­schaft hat Comirna­ty bei Infek­ti­on mit der Delta-Varian­te eine Wirksam­keit von etwa 90 Prozent gegen eine schwe­re Covid-19-Erkran­kung. Bei der Omikron-Mutan­te zeigen erste Daten nach Angaben des Robert Koch-Insti­tuts, dass der Schutz weniger gut ist.

In einer von Pfizer finan­zier­ten Studie betrug die Wirksam­keit nach drei Dosen gegen Kranken­haus­ein­wei­sun­gen wegen Omikron 85 Prozent inner­halb der ersten drei Monate nach der Impfung. Sie fiel aber auf 55 Prozent nach drei Monaten oder länger. Zu keinem Zeitpunkt in der Pande­mie haben namhaf­te Forscher behaup­tet, eine Corona-Impfung schüt­ze zu 100 Prozent vor Covid-19.

Von Leo Stahl­berg und Sebas­ti­an Fischer, dpa