NEW YORK/LONDON (dpa) — Vielen Opfern von Jeffrey Epstein fiel mit dem Schuld­spruch gegen dessen Helfe­rin Ghislai­ne Maxwell ein Stein vom Herzen. Doch andere mahnen, dabei dürfe es die Justiz nicht belas­sen. Die Blicke richten sich nun mehr denn je auf einen Sohn der Queen.

Wie das neue Jahr für Prinz Andrew laufen kann, entschei­det sich gleich zu Beginn. Am 4. Januar wollen seine Anwäl­te in New York vortra­gen, warum das Gericht die Schaden­er­satz­kla­ge der US-Ameri­ka­ne­rin Virgi­nia Giuff­re gegen den zweit­äl­tes­ten Sohn der Queen fallen lassen soll.

Es geht um erzwun­ge­nen Sex und den Missbrauchs­skan­dal um den US-Unter­neh­mer Jeffrey Epstein. Auch wenn Andrew die Vorwür­fe strikt zurück­weist, hat der Fall seiner Reputa­ti­on bereits enorm gescha­det. Royals-Exper­ten in London sehen den 61-Jähri­gen als Verlie­rer, selbst wenn er vor Gericht gewin­nen sollte.

Prinz Andrew muss zittern

«Unglück­li­cher­wei­se für Andrew geht es nicht mehr so sehr um Bewei­se und Belege oder was, wenn überhaupt, mit Virgi­nia Giuff­re passiert ist», zitier­te die briti­sche Zeitung «Daily Mail» einen nament­lich nicht genann­ten Beobach­ter des Königs­hau­ses. «Es geht nur um die öffent­li­che Wahrneh­mung.» Die Anwäl­tin Lisa Bloom, die mehre­re Epstein-Opfer vertritt, sagte dem Blatt: «Prinz Andrew sollte in seinen könig­li­chen Stiefeln zittern.»

Tatsäch­lich sieht es für Andrew nicht gut aus: Denn seine einsti­ge Freund­schaft mit dem mittler­wei­le gestor­be­nen Epstein sowie dessen Ex-Partne­rin Ghislai­ne Maxwell, die am Mittwoch wegen Menschen­han­dels mit Minder­jäh­ri­gen zu Missbrauchs­zwe­cken schul­dig gespro­chen wurde, ist bekannt. Andrews Positi­on habe sich wegen des Falls Maxwell weiter verschlech­tert, seine Chancen seien schlecht, kommen­tier­te die Zeitung «The Times».

«Jeder, der mit Jeffrey Epstein verbun­den war, der beim sexuel­len Missbrauch mitmach­te oder ihm gehol­fen hat, indem er ihm Mädchen schick­te (…), sollte sehr besorgt sein wegen dieses Urteils», sagte Anwäl­tin Bloom. Zwar würde Andrew gewiss nicht persön­lich erschei­nen, dennoch könnte ein Prozess im Herbst 2022 in New York begin­nen, falls Richter Lewis Kaplan das Verfah­ren nicht doch noch stoppt.

Genau das ist das Ziel von Andrews Anwäl­ten. Mit zwei Anträ­gen zweifeln sie die Zustän­dig­keit des Gerichts an. Kläge­rin Giuff­re sei gar nicht wie angege­ben im US-Staat Colora­do wohnhaft, betonen sie, sondern lebe in Austra­li­en. Zudem hätten die angeb­li­chen Taten nicht in New York statt­ge­fun­den. Schließ­lich beruh­ten Giuffres Anschul­di­gun­gen allein auf ihrer unbestä­tig­ten und nicht überprüf­ba­ren Behaup­tung. Aus ihrer Sicht steht Wort gegen Wort. Ghislai­ne Maxwell schwieg im Prozess und konnte deshalb auch nicht zu Andrew befragt werden. Briti­sche Medien speku­lie­ren aller­dings nun, sie könne doch noch auspa­cken, um eine milde­re Haftstra­fe zu erreichen.

Für Verwun­de­rung sorgte zudem, dass der Fall Andrew so gut wie keine Rolle im Maxwell-Verfah­ren spiel­te. Virgi­na Giuff­re wurde von der Ankla­ge nicht als Zeugin geladen, ohne dass die Staats­an­walt­schaft dies begrün­de­te. Maxwells Anwäl­tin Laura Menin­ger behaup­tet, Ursache seien Zweifel an Giuffres Glaub­wür­dig­keit. «Also soll bewie­sen werden, dass sie ein Opfer war, aber ohne dass sie in den Zeugen­stand kommt und aussagt», sagte Meninger.

Doch der Fall ist emotio­nal aufge­la­den. Giuffres Anwäl­te schie­ßen mit sehr intimen Fragen zurück. Andrew solle Bewei­se für seine Behaup­tung vorle­gen, dass er gar nicht schwit­zen könne, forder­ten sie nun. Hinter­grund ist Giuffres Aussa­ge, sie habe Andrew 2001 als 17-Jähri­ge in einem Londo­ner Promi-Club kennen­ge­lernt. Dabei habe er stark geschwitzt. Später hätten Epstein und Maxwell sie zum Sex mit dem Prinzen gezwun­gen. Andrew sagte 2019 der BBC, weil er unter Beschuss im Falkland-Krieg 1982 eine Überdo­sis Adrena­lin ausge­schüt­tet habe, sei er unfähig zu schwitzen.

Mit ihrem Schuld­spruch gegen die Epstein-Vertrau­te Maxwell, die die Entschei­dung anfech­ten will, hat erneut eine US-Jury vor allem auf Basis von Aussa­gen weibli­cher Opfer und nicht aufgrund eindeu­ti­ger sachli­cher Bewei­se entschie­den — wie bereits im Prozess gegen den ehema­li­gen Filmmo­gul Harvey Weinstein im vergan­ge­nen Jahr.

Prinz Andrews fatales BBC-Interview

Das sind keine guten Nachrich­ten für Andrew, der sich seit Bekannt­wer­den der Vorwür­fe in schlech­tem Licht zeigt. In dem Inter­view mit der BBC Mitte Novem­ber 2019, das als Befrei­ungs­schlag gedacht war, redete sich der Queen-Sohn um Kopf und Kragen. Seitdem lässt er seine royalen Pflich­ten ruhen. Als Giuffres Anwäl­te im Herbst 2021 die Klage zustel­len wollten, versteck­te sich Andrew, damit er die Gerichts­un­ter­la­gen nicht anneh­men musste, länger in der schot­ti­schen Residenz seiner Mutter, Schloss Balmo­ral. Nun sollen ihn techni­sche Feinhei­ten retten.

Doch den Kampf um die öffent­li­che Wahrneh­mung dürfte Andrew verlo­ren haben. Dafür sorgt — neben seinem tölpel­haf­ten Auftre­ten — allein schon ein berühm­tes Foto. Darauf: Andrew, den Arm um die Hüfte der jungen Virgi­nia Giuff­re, damals Virgi­nia Roberts, gelegt. Daneben, ebenfalls in die Kamera lächelnd, Ghislai­ne Maxwell.

Das Verfah­ren droht, das Jubilä­ums­jahr von Queen Eliza­beth II. zum 70. Jahres­tag ihrer Thron­be­stei­gung zu überschat­ten. Die Königin ist die einzi­ge in der Royal Family, die zu Andrew hält, wie briti­sche Medien berich­ten. Der mittle­re Sohn gilt seit jeher als ihr Liebling.