AL-RUWAIS (dpa) — Nach dem 1:1 gegen Spani­en, das sich für Hansi Flick wie ein Sieg anfühlt, betonen die DFB-Spieler um Super-Joker Füllkrug einen neuen Zusam­men­halt. Costa Rica wird der nächs­te Stresstest.

Als die Wüsten­son­ne in Katar wieder gnaden­los vom Himmel brann­te, hatte Hansi Flick seine spani­schen WM-Lehren längst gezogen. Die Natio­nal­spie­ler bekamen nach dem kollek­ti­ven Kraft­akt beim 1:1 gegen den unbezwing­ba­ren Angst­geg­ner die verspro­che­ne Auszeit mit Freun­din­nen und Famili­en am Pool.

Im Luxus­quar­tier der Fußball-Natio­nal­mann­schaft herrsch­te — wie auch in der kriti­schen Heimat — nach dem Zoff der bis zum späten Ausgleichs­tor des neuen Mittel­stür­mer-Helden Niclas Füllkrug total vermurks­ten WM-Auftakt­wo­che wieder eine positi­ve Turnier-Grundstimmung.

«Menta­li­tät», «Entschlos­sen­heit», «Selbst­ver­ständ­nis». Das waren die Worte, die der spürbar erleich­ter­te Flick immer wieder wählte. Mit Füllkrug den richti­gen Joker gesetzt zu haben, war der entschei­den­de Zug gegen die auch am Bundes­trai­ner aufge­kom­me­nen WM-Zweifel.

Mit neuem Grund­ver­trau­en will Flick das für das Turnier-Schick­sal entschei­den­de Rendez­vous mit dem Retter Costa Rica am Donners­tag (20.00 Uhr/ARD und Magen­taTV) angehen. Die ganze Wahrheit in der noch zarten Turnier-Eupho­rie war nämlich auch, dass der WM‑K.o. ohne den unerwar­te­ten Sieg der Mittel­ame­ri­ka­ner gegen Japan trotz des folgen­den großen Kraft­auf­wands gegen Spani­en fix gewesen wäre.

«Fußball ist ein nacktes Ergebnisspiel»

Jetzt muss für Deutsch­land als Schluss­licht der Gruppe E ein Sieg gegen Costa Rica her, um einen zweiten frühen Peinlich‑K.o. nach Russland 2018 zu vermei­den. «Wenn wir weiter­kom­men, wird der Punkt der Knack­punkt sein», sagte Thomas Müller zum Spani­en-Remis. Der Turnier-Veteran warnte aber auch: «Die Histo­ry wird im Rückblick gemacht und nicht in der Voraus­schau. Fußball ist ein nacktes Ergebnisspiel.»

Mit nur einem Wort setzte Müller den neuen Duktus in der DFB-Blase hoch im Norden von Katar. «Together», schrieb er bei Twitter auf Englisch. «Zusam­men.» Diese in einem WM-Kader anzuneh­men­de Selbst­ver­ständ­lich­keit war in den Tagen vor dem Spani­en-Showdown nicht spürbar gewesen. Ein Hauen und Stechen wurde nur mit gerin­gem Einsatz demen­tiert. Jetzt soll alles wieder gut sein. «Wir sind eine Mannschaft. Wir haben, auch wenn es anders zu lesen ist, ein gutes Mitein­an­der», wurde Flick am Montag auf der DFB-Homepage zitiert.

Garniert wurde diese Aussa­ge von den für den Bundes­trai­ner, dem doch gerade noch der Zu-Nett-Vorwurf anhaf­te­te, ungewöhn­lich martia­li­schen Worten: «Es sind Krieger auf dem Platz, die mit Herz spielen. Wenn wir diesen Aufwind mitneh­men — und wir noch mehr Selbst­ver­trau­en bekom­men — dann ist viel möglich.»

Füllkrug brach­te den nötigen Tor-Punch

Was wirklich möglich ist, das bleibt auch nach dem großen Kampf gegen Spani­en noch im Vagen. Aus seinem Geflüs­ter mit Luis Enrique nach dem Schluss­pfiff machte Flick ein Geheim­nis. «Was wir da bespro­chen haben, das sage ich dann, wenn es so weit ist», sagte der Bundes­trai­ner über das Tête-à-Tête mit seinem von ihm hochge­schätz­ten spani­schen Kolle­gen. Flicks Lächeln legte die Vermu­tung nahe, dass sich beide für ein Wieder­se­hen am 18. Dezem­ber im Lusail Stadi­on verab­re­det hatten — dem Tag des WM-Endspiels.

Flick ist natür­lich bewusst, dass der erste Punkt­ge­winn gegen Spani­en bei einem großen Turnier seit 1994 nur die schlimms­ten WM-Befürch­tun­gen erstmal vertrei­ben konnte. Die ganz hohen Ziele liegen nach einer inten­si­ven Partie im Al-Bait Stadi­on von Al-Chaur aber noch in weiter Ferne. «Wir wissen, dass wir erst den ersten Schritt gemacht haben. Aber wir wollen natür­lich gucken, dass wir im nächs­ten Spiel gegen Costa Rica für uns einfach die Voraus­set­zung schaf­fen, dass wir in die K.o.-Phase kommen», beton­te der 57-Jährige.

Flicks eigener großer Beitrag waren seine im Gegen­satz zum 1:2 gegen Japan geglück­ten Auswechs­lun­gen. Kapitän Manuel Neuer leiste­te sich den Verspre­cher, dass man das Spiel von der Bank aus «gewon­nen» habe. So fühlte sich das Remis nicht nur für den Rekord-Schluss­mann nach seinem 18. WM-Einsatz an, sondern wohl auch für viele der 17 Millio­nen TV-Zuschau­er in der Heimat — ein Höchst­wert für die Katar-WM. Fakt war: Der Bremer Füllkrug brach­te den nötigen Tor-Punch und wurde dafür von der staunen­den Weltpres­se gefei­ert. Neuer meinte: «Er ist als Typ super — und als Spieler auch.»

Auch nach zwei Spielen noch ohne Sieg

Leroy Sané brach­te als weite­rer Flick-Joker nach seiner Knieb­les­sur das nötige Tempo mit. Und ebenso wichtig: Durch die Umstel­lung konnte Jamal Musia­la ins Zentrum rücken und endlich mit seiner ganzen Leich­tig­keit wirbeln. Diese drei Offen­siv­op­tio­nen wird Flick nun auch für seine Costa-Rica-Start­elf ganz bestimmt gründ­lich in Betracht ziehen.

«Leroy hat auf den Platz gebracht, was er kann, was wir an ihm schät­zen», sagte Flicks Assis­tent Marcus Sorg. Wie auch der an der Rippe verletz­te David Raum soll der Münch­ner am Donners­tag fit sein für das Duell gegen Costa Rica, sagte Co-Trainer Danny Röhl.

Leidtra­gen­der könnte Ilkay Gündo­gan sein, für den Flick im Dreikampf der zentra­len Alpha-Tiere mit Joshua Kimmich und Leon Goretz­ka dann wieder einmal keinen Platz mehr hätte. Doch auch der Mittel­feld­vir­tuo­se schloss sich dem neuen Wir-Gefühl schon an. «Ich glaube, dass wir jetzt im Turnier sind, wo wir sein wollten und es jetzt nicht mehr um den Einzel­nen geht, sondern um die Mannschaft.»

Müllers Warnung hallt aber nach. Auch vor vier Jahren in Russland schien nach der Auftakt­nie­der­la­ge gegen Mexiko (0:1) und dem emotio­na­len Mutma­cher gegen Schwe­den (2:1) im zweiten Spiel Joachim Löws WM-Fahrplan mit Verspä­tung aufzu­ge­hen. Das Ende kam dann gegen Südko­rea (0:2). In Katar steht Deutsch­land erstmals in seiner ruhmrei­chen und mit vier Titeln gekrön­ten WM-Histo­rie auch nach zwei Spielen noch ohne Sieg da.

Der gerade noch recht­zei­ti­ge deutsche Stimmungs­um­schwung wurde inter­na­tio­nal mit den bekann­ten Stereo­ty­pen regis­triert. «An einem Abend, an dem wir erwar­tet hatten, den Deutschen zum «Auf Wieder­se­hen» zu winken, haben sie einfach ihre uralte Wider­stands­fä­hig­keit gezeigt», schrieb das engli­sche Boule­vard-Blatt «The Sun. Die italie­ni­sche La Republi­ca notier­te: «Unter den Geset­zen der Fußball-Weltmeis­ter­schaft gibt es allen voran einen bewähr­ten Klassi­ker: Gib Deutsch­land niemals auf.»

Arne Richter und Klaus Bergmann, dpa