AL-CHAUR (dpa) — Frank­reich erreicht durch einen schmei­chel­haf­ten Sieg gegen Marok­ko das Finale. Der erste afrika­ni­sche Halbfi­nal­teil­neh­mer wehrt sich nach Kräften, trifft den Pfosten und dominiert die zweite Hälfte.

Kylian Mbappé tröste sofort seinen nieder­ge­schla­ge­nen Kumpel Achraf Hakimi, die große Titel-Eupho­rie der Équipe Trico­lo­re breite­te sich erst ein paar Minuten nach dem Schluss­pfiff aus.

Frank­reichs Weltmeis­ter quälten sich beim 2:0 (1:0) im Halbfi­na­le gegen Außen­sei­ter Marok­ko ins Traum­fi­na­le gegen Lionel Messis Argen­ti­ni­en und greifen schon wieder nach dem golde­nen Pokal. Den Nordafri­ka­nern um Hakimi bleibt der Stolz, bei der WM in Katar jetzt schon Histo­ri­sches geleis­tet zu haben. Am Samstag kann Marok­ko gegen Kroati­en noch Platz drei errei­chen. In der Heimat fieber­ten und zitter­ten Millio­nen Menschen mit — mindes­tens die Verlän­ge­rung wäre vor 68.294 Zuschau­ern im Al-Bait Stadi­on verdient gewesen.

«Das war wieder ein gewal­ti­ges Match — und eins kommt noch. Wir streben den Titel an», sagte Frank­reichs Trainer Didier Deschamps. «Das ist unglaub­lich, das Finale der WM zu spielen. Frank­reich gegen Argen­ti­ni­en ist ein großes Match. Wir haben hart dafür gearbei­tet», sagte Theo Hernán­dez. Der Abwehr­spie­ler hatte in der 5. Minute die frühe Führung erzielt und den Weg ins Finale nach Lusail geebnet, das auch das Endspiel zwischen Messi und Frank­reichs Starspie­ler Mbappé werden wird — beide spielen beim von WM-Gastge­ber Katar finan­zier­ten Spitzen­club Paris Saint-Germain.

Mbappé feiert in Hakimis Trikot

Die erfolg­rei­che WM-Titel­ver­tei­di­gung wäre die erste seit dem zweiten brasi­lia­ni­schen Titel 1962. Eintracht Frank­furts kurz zuvor einge­wech­sel­ter Randal Kolo Muani (79.) entschied die lange offene Begeg­nung. Mbappé feier­te in Hakimis Trikot. «Wir haben es versucht und versucht und versucht und dann leider das zweite Tor kassiert», sagte Marok­kos Trainer Walid Regra­gui: «Aber ich kann meiner Mannschaft nur ‘Bravo’ sagen für das, was sie vorher gespielt hat.»

Zur Feier des insbe­son­de­re für Fußball-Afrika bedeu­ten­den Tages hatte sich große Promi­nenz in der Wüsten­zelt-Arena nördlich von Doha einge­fun­den. Frank­reichs Staats­prä­si­dent Emmanu­el Macron saß neben FIFA-Präsi­dent Gianni Infan­ti­no auf der VIP-Tribü­ne. «Wir haben manch­mal gelit­ten, aber wir haben eine sehr große Mannschaft gesehen», sagte Macron hinter­her: «Diese franzö­si­sche Mannschaft macht mich sehr stolz:» Er ist sich sicher: «Wir bringen den Pokal mit nach Hause.»

Die Marok­ka­ner wurden schon beim Verle­sen der Mannschafts­auf­stel­lung von gut 30.000 lautstark jubeln­den Fans getra­gen. Der kleine franzö­si­sche Block war dagegen kaum zu hören. Die lautstar­ken Pfiffe bei Ballbe­sitz der Équipe Trico­lo­re halfen aber zunächst nichts.

Nach einem Abwehr­feh­ler flipper­te der Ball im marok­ka­ni­schen Straf­raum Richtung Hernán­dez, der leicht artis­tisch an Torwart Yassi­ne Bounou vorbei zur Führung traf. So früh wie seit 1958 kein Spieler mehr in einem WM-Halbfi­na­le. Auf der Tribü­ne ballte Macron jubelnd die Hand zur Faust. Die Partie war politisch aufge­la­den — Marok­ko war bis 1956 franzö­si­sches Protek­to­rat, in Frank­reich leben über eine Milli­on Marokkaner.

Marok­ko-Trainer Regra­gui impulsiv

Im Al-Bait Stadi­on wehrte sich das Überra­schungs­team nach Kräften. Die Auswahl von Trainer Regra­gui, der an der Seiten­li­nie impul­siv Anwei­sun­gen auf den Rasen schrie, spiel­te offen­si­ver als zuvor gegen Spani­en und Portu­gal. Azzedi­ne Ounahi prüfte Frank­reichs Rekord­tor­wart Hugo Lloris mit einem Distanz­schuss (10.). Nach 20 Minuten musste aller­dings auch der zweite Stamm­spie­ler in der Innen­ver­tei­di­gung, Kapitän Romain Saïss, angeschla­gen vom Feld. Nayef Aguerd hatte nach dem Aufwär­men kurzfris­tig verletzt passen müssen.

Die Franzo­sen spiel­ten in dieser Phase nicht unbedingt weltmeis­ter­lich, aber weiter­hin mit der klaren Spiel­idee von Trainer Didier Deschamps. Der Ex-Profi musste zwar auf den bislang starken, am Mittwoch aber kranken Adrien Rabiot verzich­ten. Auch Bayern-Profi Dayot Upame­ca­no saß angeschla­gen auf der Bank. Immer wieder blitze aber die enorme Geschwin­dig­keit von Mbappé und Ousma­ne Dembé­lé auf, dahin­ter sortier­te Antoine Griez­mann mit großer Übersicht. Nur die Tore fehlten. Routi­nier Olivi­er Giroud traf nur den Pfosten (17.), Mbappé und erneut Giroud verga­ben weite­re Großchan­cen (36.).

Fallrück­zie­her an den Pfosten

Weil Jawad El Yamiq kurz vor der Pause einen Fallrück­zie­her an den Pfosten setzte (45.) und Marok­ko insge­samt noch einmal stärker wurde, konnten die Franzo­sen mit dem knappen Zwischen­stand zur Halbzeit aber zufrie­den sein.

Gleich nach Wieder­an­pfiff vertei­dig­te Hakimi, der ebenfalls bei Paris spielt, gerade so gegen Mbappé (48.). Als der Franzo­se wenig später nach resolu­ter Grätsche von Sofyan Amrabat lange auf dem Rasen liegen­blieb, schau­te Macron sorgen­voll zu (51.). Und Marok­ko wurde immer besser, Frank­reichs Abwehr um Upame­ca­no-Ersatz Ibrahi­ma Konaté und Raphaël Varane wackel­te bedenklich.

Deschamps reagier­te nach gut einer Stunde und brach­te den Gladba­cher Bundes­li­ga-Profi Marcus Thuram für Giroud. Souve­rän war die Vorstel­lung des bisher zweima­li­gen Weltmeis­ters aber überhaupt nicht mehr. Marok­ko glänz­te — anders als im Viertel­fi­na­le gegen Portu­gal — auch spiele­risch. Im Straf­raum fehlte der Auswahl von Regra­gui aber die Konse­quenz, oder es war im letzten Moment doch noch ein Franzo­se dazwi­schen. Das Tor von Kolo Muani, der für Dembé­lé gekom­men war, fiel aus dem Nichts — und ließ Macron freudig applaudieren.

Jan Mies, Miriam Schmidt, Sebas­ti­an Stiekel und Nils Bastek, dpa