MONTREUX (dpa) — Im europäi­schen Fußball ist nichts mehr, wie es war. Die Super League soll kommen. Etliche Fragen sind offen, einige werden die Gerich­te beschäf­ti­gen. Und auch die EM-Frage ist noch nicht geklärt.

Das Streben nach Macht und Milli­ar­den spaltet den europäi­schen Fußball. Nach der Aufre­gung um die geplan­te Super League und dem Beschluss zur Champi­ons-League-Reform treffen sich die Spitzen­funk­tio­nä­re der 55 UEFA-Natio­nal­ver­bän­de zum Kongress in Montreux.

Überschat­tet wird die General­ver­samm­lung von den mit maxima­ler Emoti­on geführ­ten Debat­te um die Zukunft der Königsklasse.

Wie ernst ist die UEFA-Drohung eines EM-Ausschlus­ses für Top-Stars der Super-Leauge-Clubs und dem sofor­ti­gen Ausschluss aus der Champi­ons League?

UEFA-Präsi­dent Aleksan­der Ceferin machte mit schar­fer Kritik deutlich, dass er die abtrün­ni­gen Clubs und deren Spieler am liebs­ten sofort aus allen UEFA- und FIFA-Wettbe­wer­ben verban­nen will. Aber eine EM ohne Cristia­no Ronal­do, ohne Toni Kroos, ohne Sergio Ramos? Und ein Champi­ons-League-Triumph für Paris Saint-Germain am Grünen Tisch nach einem Ausschluss von Real Madrid, Manches­ter City und dem FC Chelsea? Dieses Szena­rio klingt viel zu radikal.

So einfach ist es ohnehin nicht. Die Gründer­clubs berich­te­ten bereits von recht­li­chen Schrit­ten zur Absiche­rung. Die Frage, wer wo mitspie­len darf, geht tief ins EU-Recht. Für heute werden weite­re UEFA-Beratun­gen zu dem Thema erwar­tet, am Freitag tagt das Exeku­tiv­ko­mi­tee in einer Videokonferenz.

Die UEFA würde sich mit solch drasti­schen Maßnah­men mitten in der Corona-Krise massiv aller­dings selbst beschä­di­gen, ideell wie vor allem ökono­misch. In der aufge­wühl­ten Stimmung scheint aber auch vieles möglich. Zumin­dest wird die UEFA die maxima­le Drohku­lis­se noch eine Weile aufrechterhalten.

Was ist die Positi­on der deutschen Clubs?

Der deutsche Rekord­meis­ter FC Bayern München und Borus­sia Dortmund haben sich relativ klar positio­niert. «Der FC Bayern hat sich an den Planun­gen einer Super League nicht betei­ligt», sagte Bayern-Chef Karl-Heinz Rumme­nig­ge. BVB-Geschäfts­füh­rer Hans-Joachim Watzke sagte, die Meinun­gen des BVB und der Bayern seien in dieser Sache deckungs­gleich mit jener der Club-Verei­ni­gung ECA, die deutli­che Kritik geübt hatte.

Verdich­ten sich aber die Anzei­chen, dass die Gründer­clubs stark um die beiden langjäh­ri­gen deutschen Vorzei­ge­ver­ei­ne (und womög­lich auch um RB Leipzig) werben, wären weite­re Positio­nie­run­gen auch für die Zukunft vonnö­ten, um die Fanba­sis zu beruhi­gen. RB Leipzigs Vorstands­vor­sit­zen­der Oliver Mintzlaff sagte, der Club lehne die Super League ab. Fakt bleibt, dass der neue Wettbe­werb mit 20 Teams gespielt werden soll — acht Teilneh­mer fehlen also noch.

Welche Auswir­kun­gen hat die Super League auf den Transfermarkt?

Seit mehr als einem Jahr muss der Club-Fußball mit düste­ren Progno­sen und Geschäfts­zah­len wegen der Corona-Pande­mie leben. Für die Clubs der Super League würde das nicht mehr gelten, an die 15 Gründungs­mit­glie­der sollen insge­samt 3,5 Milli­ar­den Euro ausge­schüt­tet werden. Startet der Wettbe­werb in abseh­ba­rer Zeit, würden die Spitzen­ver­ei­ne zur noch viel größe­ren Übermacht werden, die Spieler im Vergleich mit Fanta­sie­sum­men locken könnten. Die Folgen schei­nen kaum abzusehen.

Was passiert heute noch in Montreux?

Der Kongress des Dachver­ban­des besetzt heute (ab 10.00 Uhr) wichti­ge Positio­nen in seinem Exeku­tiv­ko­mi­tee und im Council des Weltver­ban­des FIFA. Plötz­lich stehen drei Deutsche im Fokus. Die DFB-Vizeprä­si­den­ten Rainer Koch für das UEFA-Exko und Peter Peters für den FIFA-Rat stehen zur Wahl. Peters ist einer von vier Kandi­da­ten für vier Plätze und Koch einer von neun für acht Plätze.

Die große Aufmerk­sam­keit gilt aber Karl-Heinz Rumme­nig­ge. Der Vorstands­chef des FC Bayern wurde am Montag­abend von der European Club Associa­ti­on als Nachrü­cker für Andrea Agnel­li nominiert. Der Italie­ner ist als Clubchef von Juven­tus Turin einer der Haupt­ver­ant­wort­li­chen für die Super League und wurde von Ceferin am schärfs­ten verbal angegrif­fen und als Lügner bezeich­net. Rumme­nig­ge genießt inter­na­tio­nal hohes Ansehen und war einst als Chef der Club-Verei­ni­gung schon einmal Exko-Mitglied. Beerbt wurde er von Agnelli.

Was ist mit Münchens Rolle als EM-Gastgeber?

Das Spiel­ort-Problem wird beim Kongress nur hinter den Kulis­sen Thema sein. DFB und bayeri­sche Landes­haupt­stadt müssen bis Freitag ihr Konzept für die erwar­te­te Zuschau­er­op­ti­on in der Corona-Pande­mie bei der EM nachbes­sern. Ein Draht­seil­akt der politi­schen Fußball-Diplo­ma­tie. Gelingt das nicht zur Zufrie­den­heit der UEFA droht weiter der EM-Bann für den deutschen Spiel­ort. Rumme­nig­ge könnte für seine Heimat­stadt gleich in neuer Rolle entschei­dend als Verhand­lungs­füh­rer gefragt sein.

Von Arne Richter, Jan Mies und Flori­an Lütti­cke, dpa