BERLIN (dpa) — Die ganztä­gi­ge Betreu­ung in der Grund­schu­le soll kommen. Ein Gesetz­ent­wurf für einen bundes­wei­ten Rechts­an­spruch für Grund­schü­ler ab 2025 liegt nun vor. Aber wird es noch beschlossen?

Kinder, die ab dem Schul­jahr 2025/2026 in Deutsch­land einge­schult werden, sollen in den ersten vier Schul­jah­ren einen Rechts­an­spruch auf eine ganztä­gi­ge Betreu­ung bekommen.

Das geht aus einem gemein­sa­men Entwurf für ein «Ganztags­för­de­rungs­ge­setz» von Bundes­fa­mi­li­en- und Bundes­bil­dungs­mi­nis­te­ri­um hervor. Der Entwurf liegt der Deutschen Presse-Agentur vor. Er ist zwar inner­halb der Bundes­re­gie­rung noch nicht abgestimmt, das Vorha­ben könnte aber nach dpa-Infor­ma­tio­nen bereits in der kommen­den Woche im Bundes­ka­bi­nett auf den Weg gebracht werden.

Kinder in der Grund­schu­le sollen demnach Anspruch auf mindes­tens acht Stunden Betreu­ung — einschließ­lich Schule — an Wochen­ta­gen «bis zum Beginn der fünften Klassen­stu­fe» bekom­men, wie es heißt. Die Formu­lie­rung soll sicher­stel­len, dass die Schüle­rin­nen und Schüler bis einschließ­lich der Sommer­fe­ri­en nach der vierten Klasse einen Platz sicher­ha­ben, egal wie das jewei­li­ge Bundes­land die Länge des Schul­jahrs definiert. Ganztags­an­ge­bo­te soll es auch während der Ferien geben. Erlaubt sein sollen im ganzen Jahr maximal vier Wochen Schließzeit.

«Der Ausbau von Ganztags­an­ge­bo­ten für Grund­schu­len ist der entschei­den­de Schritt, um Chancen­ge­rech­tig­keit im Land zu erhöhen und damit Bildungs­er­fol­ge von sozia­ler Herkunft zu entkop­peln», sagte der Vorsit­zen­de des Grund­schul­ver­bands, Edgar Bohn. Es müsse jedoch gewähr­leis­tet sein, dass Unter­richt und Betreu­ung von hoher Quali­tät und eng aufein­an­der abgestimmt sein.

Union und SPD hatten die Schaf­fung eines Rechts­an­spruchs auf Ganztags­be­treu­ung für Grund­schul­kin­der in ihrem Koali­ti­ons­ver­trag verein­bart. Über die Umset­zung wird aber wegen der immensen Kosten in Milli­ar­den­hö­he bis heute mit den Bundes­län­dern gestritten.

Zwar wird vor allem in den ostdeut­schen Ländern, in Berlin und in Hamburg bereits ein Großteil der Grund­schü­ler ganztä­gig betreut — entwe­der vormit­tags in der Schule und nachmit­tags im Hort oder in einer Ganztags­schu­le. In anderen Ländern müsste aber für die Aufsto­ckung von Betreu­ungs­plät­zen noch viel in Räumlich­kei­ten an den Grund­schu­len inves­tiert werden.

Zudem wird mit laufen­den jährli­chen Betriebs­kos­ten von bis zu vier Milli­ar­den Euro gerech­net und es werden zusätz­li­che Erzie­he­rin­nen und Erzie­her an den Grund­schu­len gebraucht; mehr als 33.000, wie eine Studie des Insti­tuts für Arbeits­markt- und Berufs­for­schung in Nürnberg gezeigt hatte. Die Länder fordern vor diesem Hinter­grund mehr Geld und mehr Unter­stüt­zung vom Bund.

Bereits zugesagt hat die Bundes­re­gie­rung 3,5 Milli­ar­den Euro für Inves­ti­tio­nen an den Schulen und eine laufen­de Betei­li­gung an den Betriebs­kos­ten. Im Gesetz­ent­wurf werden für die Betriebs­kos­ten jährlich dreistel­li­ge Millio­nen­be­trä­ge ab 2026 von Bundes­sei­te genannt. Trotz­dem: «Über die Kosten­tei­lung zwischen Bund und Ländern haben wir nach wie vor keine Einigung — noch nicht. Wir arbei­ten inten­siv daran», schrieb Bundes­fa­mi­li­en­mi­nis­te­rin Franzis­ka Giffey (SPD) am Diens­tag in einem Post auf ihrer Facebook-Seite.

Deshalb ist weiter offen, ob es mit dem Vorha­ben bis zum Ende der Regie­rungs­zeit der großen Koali­ti­on noch etwas wird. Nach dem Kabinett müsste das Gesetz noch durch Bundes­tag und Bundes­rat. Die Zustim­mung der Länder­kam­mer ist wegen des Streits über die Finan­zie­rung aber ungewiss. Bis zur Bundes­tags­wahl im Herbst wird die Zeit immer knapper. In jeder Wahlpe­ri­ode fallen Geset­ze, die nicht abschlie­ßend beraten werden, der sogenann­ten Diskon­ti­nui­tät zum Opfer: Sie verfallen.

Giffey und ihre Kabinetts­kol­le­gin, Bundes­bil­dungs­mi­nis­te­rin Anja Karlic­zek, wollen das verhin­dern: «Wir hoffen sehr, dass wir uns noch bis zum Ende der Wahlpe­ri­ode mit den Ländern über die Finan­zie­rung einigen werden», hatte die CDU-Politi­ke­rin vor wenigen Tagen der dpa gesagt.

Nach Ansicht beider Minis­te­ri­en ist die Schaf­fung eines bundes­wei­ten Rechts­an­spruchs auf Ganztags­be­treu­ung an den rund 15.000 Grund­schu­len in Deutsch­land aus mehre­ren Gründen nötig: 74 Prozent aller Eltern wünsch­ten sich ein an den Unter­richt anschlie­ßen­des Bildungs- und Betreu­ungs­an­ge­bot, heißt es im Gesetz­ent­wurf. Außer­dem gehe es um besse­re Teilha­be­chan­cen von Kindern, die Verein­bar­keit von Familie und Beruf, Gleich­be­rech­ti­gung von Frauen und Männern und um Fachkräf­te­si­che­rung für Arbeit­ge­ber. «Vor allem Mütter stecken beruf­lich noch immer zu oft zurück», schrieb Giffey bei Facebook.

Im Entwurf heißt es weiter: «Zudem können quali­ta­tiv hochwer­ti­ge außer­schu­li­sche Angebo­te in Ergän­zung zum Unter­richt einen Beitrag zu erfolg­rei­chen Bildungs­bio­gra­fien von Schüle­rin­nen und Schülern leisten.» Als Argument wird auch angeführt, dass ein bundes­wei­ter Rechts­an­spruch «sowohl zur Herstel­lung gleich­wer­ti­ger Lebens­ver­hält­nis­se (in Deutsch­land) als auch zur Wahrung der Wirtschafts- sowie der Rechts­ein­heit im gesamt­staat­li­chen Inter­es­se» erfor­der­lich sei.

Von Jörg Ratzsch, dpa