BERLIN/STECHLIN (dpa) — Eis ist gleich Eis? Keines­wegs, sagen Wissen­schaft­ler. Und weisen auf Unter­schie­de hin, die entschei­dend für die Sicher­heit von Spazier­gän­gern und Schlitt­schuh­läu­fern sein können.

Im Zuge des Klima­wan­dels rechnet ein inter­na­tio­na­les Forscher­team mit zuneh­mend insta­bi­len Eisflä­chen auf Seen. Es geht um sogenann­tes weißes Eis — im Gegen­satz zu dem in der Regel tragfä­hi­ge­ren schwar­zen Eis.

«Weißes Eis entsteht zum Beispiel, wenn die Wasser­ober­flä­che wieder­holt gefriert, antaut und wieder gefriert», sagte Hans-Peter Gross­art, Leiter der Forschungs­grup­pe Aquati­sche mikro­biel­le Ökolo­gie am Leibniz-Insti­tut für Gewäs­ser­öko­lo­gie und Binnen­fi­sche­rei (IGB) am Stand­ort Stech­lin in Branden­burg. Er war an der Studie betei­ligt, für die zugefro­re­ne Seen beprobt wurden. Die Erkennt­nis­se sollten Anlass geben, die Regeln für das Betre­ten von Eisflä­chen zu überden­ken, so die Forscher.

Eis erken­nen

Auch Laien könnten weißes Eis erken­nen, erklärt Gross­art: «Es hat durch den Einschluss von Luft eine gerin­ge­re Dichte und grobe­re Oberflä­che, die beim Schlitt­schuh­fah­ren bremst.» Das häufi­ge­re Vorkom­men dieser Art von Eis hänge damit zusam­men, dass die Tempe­ra­tu­ren mittler­wei­le im Winter öfter tagsüber über null Grad steigen und Kälte­pe­ri­oden nicht mehr so lange dauern wie früher. Schwar­zes Eis sei schon heutzu­ta­ge selte­ner vorzu­fin­den. «Schwarz ist das Eis, wenn ein See über Nacht bei starken Minus­tem­pe­ra­tu­ren zufriert. Es ist ein durch­sich­ti­ges, schönes Eis, das spiegel­glatt — und damit toll zum Schlitt­schuh­lau­fen ist.»

Die Studie unter Leitung der schwe­di­schen Univer­si­tät Uppsa­la, an der Gross­art mitwirk­te, ist bereits im Sommer im Fachblatt «Nature Commu­ni­ca­ti­ons» erschie­nen. Dafür wurden im Winter 2020/21 wieder­holt Proben von Eisschich­ten von 31 Seen in 10 Ländern auf der Nordhalb­ku­gel genom­men und analy­siert. Bei zwei Seen lagen Langzeit­da­ten vor, die bis 1971 bezie­hungs­wei­se 1996 zurück­reich­ten und die zum Vergleich heran­ge­zo­gen wurden.

Die Unter­su­chun­gen liefen in einem der wärms­ten Winter seit 1880, wie es hieß. Meist fand sich in dem Zeitraum demnach insta­bi­les weißes Eis, das zeitwei­se die komplet­te Eisschicht ausmach­te. Der Anteil weißen Eises habe zudem im Laufe des Winters durch Schnee­fall und stetes Überfrie­ren — meist nachts — noch zugenom­men. Es sei bereits beobach­tet worden, dass es meist zu Saison­ende, vor dem Abschmel­zen der angetau­ten und wenig tragfä­hi­gen Eisschicht, zu tödli­chem Einbre­chen komme.

Bei einer Proben­ent­nah­me am Dagow­see bei Stech­lin in Branden­burg sei das Forscher­team selbst erstaunt gewesen, wie dünn die vorge­fun­de­ne Eisschicht mit circa nur zehn Zenti­me­tern — überwie­gend weißes Eis — war. «Es hielten sich zu dem Zeitpunkt mehre­re Hundert Menschen auf dem See auf. Die Tragfä­hig­keit kann man also sehr leicht überschätzen.»

Schwar­zes Eis kann den Schät­zun­gen der Forscher zufol­ge gut zehnmal so viel Last tragen wie ein gleich dickes und gleich großes Stück weißes Eis. Folglich bestehe bei großem Anteil weißen Eises ein viel höheres Risiko, trotz trüge­risch tragfä­hig wirken­der Eisdi­cke einzubrechen.

Winter 2021

Die Eisbe­din­gun­gen, die im Winter 2021 in Schwe­den beobach­tet wurden, zeigten, dass Verhal­tens­an­pas­sun­gen an eine wärme­re Welt nötig seien, schrei­ben die Forscher. Während man in dem Land im Febru­ar tradi­tio­nell sicher aufs Eis habe gehen können, seien in dem Monat im Jahr 2021 zehn Menschen einge­bro­chen und gestor­ben — so viele wie noch nie seit Beginn entspre­chen­der Beobach­tun­gen im Jahr 2000. Als Faust­re­gel schla­gen die Forscher vor, die bishe­ri­gen Richt­wer­te für die für ein Betre­ten nötige Eisdi­cke zu verdoppeln.

Die Deutsche Lebens-Rettungs-Gesell­schaft (DLRG) schreibt derzeit in ihren Tipps zum Betre­ten von Eisflä­chen unter anderem: «Betritt einen See erst, wenn das Eis 15 Zenti­me­ter dick ist.»

Zu den Erkennt­nis­sen der aktuel­len Studie sagte Gross­art: «Es ist erschre­ckend zu sehen, wie stark sich die Syste­me verän­dern.» Die Eisqua­li­tät habe auch Konse­quen­zen für die Ökolo­gie von Seen, weil sich die Licht­durch­läs­sig­keit unter­schei­de. Weißes Eis lasse weniger Licht durch, was zum Beispiel die Photo­syn­the­se von Algen verän­de­re und damit letzt­lich Einfluss auf die gesam­te Nahrungs­ket­te habe.

Langzeit­auf­zeich­nun­gen zeigten bereits eine schnel­le Abnah­me der Zahl der Tage, an denen Seen im Winter zugefro­ren sind, berich­ten die Forscher auch. Bei zahlrei­chen Seen sei zu erwar­ten, dass sie noch in diesem Jahrhun­dert dauer­haft eisfrei bleiben.