Die Landes­re­gie­rung hat vom obers­ten Verwal­tungs­ge­richt einen herben Dämpfer für die nächt­li­che Ausgangs­sper­re erhal­ten. Die Opposi­ti­on frohlockt. Die Regie­rung betont, zuvor schon eine Neure­ge­lung geplant zu haben.

MANNHEIM (dpa/lsw) — Der Verwal­tungs­ge­richts­hof Baden-Württem­berg hat die coronabe­ding­te nächt­li­che Ausgangs­sper­re im Südwes­ten gekippt. Nach dem am Montag veröf­fent­lich­ten Beschluss muss die Vorschrift in der Corona-Verord­nung, die nächt­li­che Ausgangs­be­schrän­kun­gen von 20 Uhr bis 5 Uhr vorsieht, noch diese Woche außer Vollzug gesetzt worden. Zum letzten Mal gilt sie in der Nacht von Mittwoch auf Donners­tag. Damit hatte nach einer Reihe geschei­ter­ter Anträ­ge eine Frau aus Tübin­gen Erfolg.

Die Landes­re­gie­rung will jetzt nur noch für Corona-Hotspots Ausgangs­sper­ren verhän­gen. Regie­rungs­spre­cher Rudi Hoogvliet sagte der dpa in Stutt­gart, es sei abseh­bar gewesen, dass angesichts der sinken­den Infek­ti­ons­zah­len in Baden-Württem­berg die Frage der Verhält­nis­mä­ßig­keit gestellt würde. «Jetzt haben wir juris­ti­sche Klarheit.»

Der 1. Senat des Gerichts argumen­tiert, die Landes­re­ge­lung habe zuletzt die gesetz­li­chen Voraus­set­zun­gen nicht mehr erfüllt. Nach dem Infek­ti­ons­schutz­ge­setz seien Ausgangs­be­schrän­kun­gen nur möglich, wenn ihr Unter­las­sen zu irgend­wel­chen Nachtei­len in der Pande­mie­be­kämp­fung führe. Sie kämen nur dann in Betracht, wenn der Verzicht auf sie — auch unter Berück­sich­ti­gung aller anderen ergrif­fe­nen Maßnah­men — zu einer wesent­li­chen Verschlech­te­rung des Infek­ti­ons­ge­sche­hens führe.

Die SPD-Frakti­on rät der Landes­re­gie­rung, Corona-Beschlüs­se künftig besser zu prüfen. «Grund­rech­te sind keine Almosen. Wer sie einschränkt, muss zu jeder Zeit gerichts­fest begrün­den, warum er dies für unaus­weich­lich hält», sagte der Abgeord­ne­te Boris Weirauch. Sozial­mi­nis­ter Manne Lucha (Grüne) beschä­di­ge zum wieder­hol­ten Male das Vertrau­en in die Corona-Politik der grün-schwar­zen Landes­re­gie­rung. «Das ist Wasser auf den Mühlen der Populisten.»

Die FDP begrüß­te die Gerichts­ent­schei­dung. Frakti­ons­chef Hans-Ulrich Rülke sagte: «Man kann nicht als Landes­re­gie­rung mit der Begrün­dung eines Inzidenz­werts von 200 Ausgangs­sper­ren beschlie­ßen und diese bei einem Wert von 60 immer noch aufrecht­erhal­ten.» Landes­chef Micha­el Theurer sprach von einem guten Tag für Bürger­rech­te. «Es ist traurig, dass die Landes­re­gie­rung nicht aus eigenem Antrieb die Maßnah­men auf Wirksam­keit und Verhält­nis­mä­ßig­keit statt Symbol­kraft ausrich­tet.» Die AfD forder­te, den Lockdown generell zu beenden.

Umwelt­mi­nis­ter Franz Unter­stel­ler (Grüne) bedau­er­te den Beschluss: «Vor dem Hinter­grund der herun­ter­ge­hen­den Zahlen ist sowas immer zu befürch­ten gewesen.» Das werde nicht dazu beitra­gen, dass die Zahlen weiter sinken.

Die Mannhei­mer Richter sehen die Landes­re­gie­rung auch in der Pflicht, zu prüfen, ob diffe­ren­zier­te­re, am regio­na­len Infek­ti­ons­ge­sche­hen orien­tier­te Regelun­gen in Betracht kommen. Den gesetz­li­chen Anfor­de­run­gen für nächt­li­che Ausgangs­be­schrän­kun­gen habe das Land zuletzt — anders als Ende Dezem­ber und Mitte Januar, als Eilan­trä­ge erfolg­los blieben — nicht mehr entsprochen.

Das derzei­ti­ge Pande­mie­ge­sche­hen stellt sich für die Mannhei­mer Richter im Vergleich zu Mitte Dezem­ber und zum Stand vor zwei Wochen bei insge­samt fallen­den Zahlen der Sieben-Tage-Inziden­zen regio­nal erheb­lich diffe­ren­zier­ter dar. 26 Kreise lägen nach Zahlen von Donners­tag im Bereich von 51 bis 100, neun Kreise im Bereich von 36 bis 50 und vier Kreise unter 35. Kreise mit vergleichs­wei­se niedri­gen Werten seien inzwi­schen nicht etwa bloße «Inseln», sondern teils zusam­men­hän­gen­de Regionen.

Regie­rungs­spre­cher Hoogvliet sagte: «Auch wir hatten schon überlegt, die landes­wei­te Regelung aufzu­he­ben und eine regio­na­le Regelung daraus zu machen.» Man habe am Wochen­en­de schon Kontakt mit der Staats­re­gie­rung in Bayern gehabt, um gemein­sam zu überle­gen, wann man die landes­wei­te Regelung im Gleich­schritt aufhe­ben könne.

Das Gericht ließ das bishe­ri­ge Argument des Landes nicht gelten, eine «verfrüh­te» Aufhe­bung der Beschrän­kun­gen berge die Gefahr eines erneu­ten exponen­ti­el­len Wachs­tums der Infek­ti­ons­zah­len. Dies sei zu pauschal und undif­fe­ren­ziert. Bürger, die in Kreisen mit beson­ders hohen Inzidenz­wer­ten wohnten, in denen beispiels­wei­se nächt­li­che Ausgangs­be­schrän­kun­gen nochmals gezielt durch kommu­na­le (Allgemein-)Verfügungen angeord­net werden könnten, dürften diese Kreise aufgrund der dann regio­na­len Regelung nicht verlassen.

Schon deshalb wäre bei etwaigen kommu­na­len Ausgangs­be­schrän­kun­gen nicht mit massen­haf­ten Ausweich­ten­den­zen zu rechnen. Unklar war aus Sicht des Gerichts auch, wohin und mit welchem Zweck sich die Menschen nachts aus ihrem Wohnort fortbe­we­gen sollten. Der Beschluss vom 5. Febru­ar ist unanfecht­bar (Az. 1 S 321/21).