KARLSRUHE (dpa) — Im April fliegt eine Gruppe auf, die Karl Lauter­bach entfüh­ren wollte. Inzwi­schen kennen die Ermitt­ler verstö­ren­de Details. So sollte der Minis­ter in einer Talkshow überwäl­tigt werden.

Die mutmaß­li­che Terror­grup­pe, die unter anderem die Entfüh­rung von Bundes­ge­sund­heits­mi­nis­ter Karl Lauter­bach (SPD) geplant haben soll, hatte über Monate einen verdeck­ten Ermitt­ler in ihren Reihen. Der Mann sei zwischen Novem­ber 2021 und April 2022 «im unmit­tel­ba­ren Umfeld der Beschul­dig­ten» einge­setzt gewesen, heißt es in einem am Montag veröf­fent­lich­ten Beschluss des Bundes­ge­richts­hofs (BGH). Der Ermitt­ler des Landes­kri­mi­nal­amts Rhein­land-Pfalz habe an Treffen der Gruppe teilge­nom­men und sei in Chats über den Messen­ger-Dienst Telegram einge­bun­den gewesen.

Von diesem LKA-Mann und zwei gestän­di­gen Gruppen­mit­glie­dern in Unter­su­chungs­haft wissen die Ermitt­ler inzwi­schen viele Details über die Entfüh­rungs­plä­ne, die mit einem mindes­tens zweiwö­chi­gen Strom­aus­fall einher­ge­hen und in einen Staats­streich gipfeln sollten. So gab es die Idee, den Minis­ter von Kämpfern aus einer Talkshow vor laufen­den Kameras entfüh­ren zu lassen, wie die BGH-Richter schreiben.

Gruppe in U‑Haft

Die vier Deutschen, die den Kern der Gruppe gebil­det haben sollen, sitzen seit mehr als einem halben Jahr in U‑Haft. Sie waren am 13. April nach einem Treffen eines der Männer mit dem verdeck­ten Ermitt­ler zu einem Waffen­ge­schäft an verschie­de­nen Orten in Deutsch­land festge­nom­men worden. Bei bundes­wei­ten Durch­su­chun­gen waren damals etliche Schuss­waf­fen und Muniti­on, Bargeld, Goldbar­ren, Silber­mün­zen und Devisen sicher­ge­stellt worden.

Wenig später hatte die Bundes­an­walt­schaft die Ermitt­lun­gen übernom­men. Damals hieß es, es werde auch noch gegen einen fünften Beschul­dig­ten ermit­telt, zu dem keine Angaben gemacht wurden. Mitte Oktober hatte die Bundes­an­walt­schaft außer­dem eine pensio­nier­te Lehre­rin in Sachsen festneh­men lassen, die ebenfalls eine überge­ord­ne­te Stellung in der Gruppe gehabt haben soll.

Der «Spiegel» hatte im Juli berich­tet, dass einer der Männer ein Geständ­nis abgelegt habe. Er habe unter anderem ausge­sagt, dass bei dem Umsturz geplant gewesen sei, einen Doppel­gän­ger des Bundes­prä­si­den­ten oder des Kanzlers auftre­ten zu lassen. Inzwi­schen hat sich Anfang Oktober noch ein zweiter Mann «weitrei­chend gestän­dig einge­las­sen», wie es in dem BGH-Beschluss heißt.

Skurri­le Details

Die Details, die die Ermitt­ler auf diese Weise in Erfah­rung gebracht haben, muten teils skurril an. So soll es in geschlos­se­nen Chat-Gruppen eine Art Abstim­mung darüber gegeben haben, wer das Entfüh­rungs­op­fer sein soll. Die Mehrheit habe sich dann für Lauter­bach als «meist­ge­hass­te» Führungs­per­sön­lich­keit entschieden.

Vorher habe man sich aber die Anerken­nung der neuen Regie­rung im Ausland sichern wollen. Dazu sollte den Ermitt­lun­gen zufol­ge eine Gruppe von etwa fünf Entsand­ten mit einem Schiff über die Ostsee fahren, um sich vor der russi­schen Exkla­ve Kalinin­grad von der Marine aufbrin­gen zu lassen. So habe die Gruppe gehofft, bei Präsi­dent Wladi­mir Putin im Kreml vorspre­chen zu können.

Die neue Verfas­sung sollte sich an der Reichs­ver­fas­sung von 1871 orien­tie­ren — nur ohne König oder Kaiser. Dafür sei «als notwen­di­ge Anpas­sung an die moder­ne Zeit» ein Frauen­wahl­recht geplant gewesen.

Die Männer hatten sich — so steht es in dem BGH-Beschluss — über Chat-Gruppen kennen­ge­lernt, «in denen Perso­nen aus den Szenen der sogenann­ten «Reichs­bür­ger» und «Querden­ker», Anhän­ger natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Gedan­ken­gu­tes, Verschwö­rungs­theo­re­ti­ker, sogenann­ten «Prepper» und Kriti­ker der staat­li­chen Corona-Politik sich über die ihnen gemein­sa­me Ableh­nung des (…) deutschen Staates» ausge­tauscht hätten. Zum ersten Treffen sei es dann am 11. Dezem­ber an einer Grill­hüt­te in Rhein­land-Pfalz gekom­men. Später habe es weite­re, größe­re Treffen in Hessen und Thürin­gen gegeben.

Die im April Festge­nom­me­nen stammen nach frühe­ren Angaben aus Neustadt an der Weinstra­ße (Rhein­land-Pfalz), Falken­see bei Berlin sowie aus den Kreisen Lands­hut (Bayern) und Ammer­land (Nieder­sach­sen). Anlass für die Befas­sung des zustän­di­gen BGH-Senats war eine Haftprü­fung Anfang Novem­ber. Alle vier bleiben in U‑Haft.

Inzwi­schen wird laut BGH bei der Bundes­an­walt­schaft an der Ankla­ge­schrift gearbei­tet. Dabei stehe inzwi­schen zum Teil auch der Vorwurf der «Vorbe­rei­tung eines hochver­rä­te­ri­schen Unter­neh­mens» im Raum. Hier äußern die Richter aber Zweifel. Es «könnte fraglich sein», ob die geplan­ten Aktio­nen «in gegen­ständ­li­cher, örtli­cher und zeitli­cher Hinsicht schon hinrei­chend konkre­ti­siert waren».