Der Schreck aus dem Frühjahr sitzt noch tief: Einsei­ti­ge Kontrol­len an den Grenzen in Europa sorgten zu Beginn der Corona-Krise nicht nur für schlech­te Stimmung, sondern auch Megastaus. Zum EU-Gipfel ist das Thema erneut auf dem Tisch.

Wegen der gefürch­te­ten neuen Varian­ten des Corona­vi­rus schließt Bundes­kanz­le­rin Angela Merkel Kontrol­len an den deutschen Grenzen nicht aus. Deutsch­land suche aber einen «koope­ra­ti­ven Ansatz» in der Europäi­schen Union, sagte die CDU-Politi­ke­rin vor einem EU-Video­gip­fel zu Corona.

Dort sollte es auch um einen einheit­li­chen EU-Impfaus­weis mit mögli­chen Vortei­len etwa beim Reisen gehen. Zudem wollen die EU-Staaten die Impfkam­pa­gne beschleunigen.

Eigent­lich herrscht im Schen­gen­raum, dem 26 europäi­sche Länder angehö­ren, Bewegungs­frei­heit ohne statio­nä­re Grenz­kon­trol­len. Doch etliche Länder hatten zu Beginn der Pande­mie teils unkoor­di­niert Grenzen dicht­ge­macht oder Kontrol­len veran­lasst. An der deutschen Grenze zu Polen staute sich der Verkehr teils Dutzen­de Kilome­ter. Verderb­li­che Waren kamen nicht ans Ziel, Grenz­pend­ler hatten Proble­me, ihren Arbeits­platz zu erreichen.

Die EU-Kommis­si­on fordert deshalb ein abgestimm­tes Vorge­hen und lehnt geschlos­se­ne Schlag­bäu­me ab. Nur halten sich einige Länder jetzt schon nicht daran. Nach Angaben der EU-Kommis­si­on kontrol­lie­ren derzeit unter anderem Ungarn, Öster­reich und Dänemark ihre Grenzen. Und jetzt lösen die in Großbri­tan­ni­en und Südafri­ka entdeck­ten Mutan­ten des Corona­vi­rus neue Ängste aus, weil sie deutlich anste­cken­der als bishe­ri­ge Varian­ten sein könnten.

Die EU-Staats- und Regie­rungs­chefs wollten sich am Donners­tag erstmals über die Mutan­ten austau­schen. Das Ziel ist klar: Die Verbrei­tung so weit wie möglich bremsen. Merkel sagte, sie erwar­te, dass man sich auf gemein­sa­me Vorkeh­run­gen bei Einrei­sen aus Großbri­tan­ni­en und Südafri­ka verstän­di­gen werde. Deutsch­land hat für Reisen­de aus diesen Ländern bereits eine Testpflicht einge­führt. Doch stehen auch neue Vorga­ben an den inner­eu­ro­päi­schen Grenzen im Raum — seien es Testpflich­ten oder Kontrollen.

Luxem­burgs Außen­mi­nis­ter Jean Assel­born warnte dringend vor neuen Grenz­kon­trol­len oder ‑schlie­ßun­gen inner­halb der EU. Wenn Pendler zum Beispiel nicht mehr nach Luxem­burg kommen könnten, bräche dort das Gesund­heits­we­sen zusam­men, warnte er im Deutschlandfunk.

Eben diese Pendler sind aus Merkels Sicht jedoch entschei­dend. Sie versi­cher­te, dass der freie Waren­ver­kehr nicht zur Debat­te stehe. Vielmehr gehe es um die Pendler in Grenz­re­gio­nen. Deutsch­land werde dazu beitra­gen, dass Pendler getes­tet werden könnten. Dazu sei man auch mit den Herkunfts­län­dern im Gespräch. Sie könne nicht zusehen, wenn woanders weniger strikt agiert werde und die Menschen zum Kaffee­trin­ken über die Grenzen führen. Mit Blick auf die deutschen Nachbar­län­der habe sie aber weniger Beden­ken, fügte die Kanzle­rin hinzu.

Die Wirtschaft ist gegen natio­na­le Allein­gän­ge und fürch­tet, dass wieder Waren an den Grenzen stecken­blei­ben — auch Medika­men­te oder Schutz­gü­ter, wie BDI-Präsi­dent Siegfried Russwurm sagte. Auch der belgi­sche Premier Alexan­der De Croo will keine neuen Hürden für Lastwa­gen oder für Grenz­pend­ler. Er brach­te jedoch ins Spiel, touris­ti­sche und anderen nicht notwen­di­ge Reisen zu verbieten.

Andere wollen schon jetzt die Grund­la­ge für möglichst baldi­ges und unkom­pli­zier­tes Reisen legen. Thema des Video­gip­fels war deshalb auch ein mögli­cher einheit­li­cher Impfpass — mit daran geknüpf­ten Vortei­len wie einfa­che­rem Reisen. Vor allem Urlaubs­län­der wie Spani­en, Griechen­land oder Malta dringen darauf. Sie verspre­chen sich davon einen Beitrag zur wirtschaft­li­chen Erholung von den Corona-Folgen.

Merkel machte jedoch klar, dass eine Debat­te über mögli­che Rechte für Geimpf­te verführt sei: Derzeit sei ja mangels ausrei­chen­der Impfstoff­men­gen die Impfung selbst ein Privi­leg und verbrief­te Vortei­le wären somit ein «doppel­tes Privileg».

Beim Impfen rumpelt es ohnehin noch in den EU-Staaten. Weil die Unter­neh­men Biontech und Pfizer kurzfris­tig weniger Impfstoff als geplant liefern können, wurden in Deutsch­land zum Teil Impfter­mi­ne abgesagt. Mittel­fris­tig drängt die EU-Kommis­si­on die 27 Staaten dennoch zu ehrgei­zi­gen Zielen. Bis zum Sommer sollen 70 Prozent der Erwach­se­nen in der EU gegen das Virus immuni­siert sein, bis März bereits 80 Prozent der Menschen über 80 Jahre und des Pflege- und Gesundheitspersonals.

Die Brüsse­ler Behör­de hält das für machbar, zumal bald neue Impfstof­fe auf den Markt kommen sollen. Ende nächs­ter Woche könnte der Herstel­ler Astra­ze­ne­ca die EU-Zulas­sung bekom­men, in den Wochen danach womög­lich die Mittel von Johnson&Johnson und Curevac. Zudem soll die Produk­ti­on der zugelas­se­nen Mittel aufge­stockt werden. Ab April sollen ausrei­chen­de Impfstoff­men­gen zur Verfü­gung stehen.