BERLIN (dpa) — Fachkräf­te­man­gel und Struk­tur­wan­del stellen Unter­neh­men und Beschäf­tig­te vor große Proble­me. Die Regie­rung will mit neuen Geset­zen gegensteuern.

Beschäf­tig­te in Deutsch­land sollen nach dem Willen von Bundes­ar­beits­mi­nis­ter Huber­tus Heil (SPD) künftig während ihrer Berufs­lauf­bahn in bezahl­te Bildungs­zeit gehen können. «Wir werden nach öster­rei­chi­schem Vorbild eine Bildungs­zeit in Deutsch­land ermög­li­chen», sagte Heil der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. Die Bildungs­zeit und andere Maßnah­men sollen mit einem Weiter­bil­dungs­ge­setz einge­führt werden. Das Gesetz solle in den nächs­ten Wochen im Bundes­ka­bi­nett beschlos­sen werden und Beschäf­tig­ten angesichts des Fachkräf­te­man­gels in Deutsch­land zusätz­li­che Chancen eröff­nen, sagte Heil.

In Öster­reich können Beschäf­tig­te für maximal ein Jahr eine beruf­li­che Auszeit für eine Aus- oder Weiter­bil­dung nehmen — oder eine Bildungs­teil­zeit für bis zu zwei Jahre. Wer so eine «Bildungs­ka­renz» nimmt, kann ein Weiter­bil­dungs­geld bekommen.

Heil kündig­te an, auch in Deutsch­land sollten sich Beschäf­tig­te künftig ein Jahr beruf­lich weiter­bil­den können, wenn sie und der Arbeit­ge­ber sich zuvor darauf verstän­digt haben. «Das lässt sich auch als Bildungs­teil­zeit in zwei Jahren organi­sie­ren», so Heil weiter. «Über Mittel der Bundes­agen­tur für Arbeit wird dabei der Unter­halt sicher­ge­stellt, und zwar auf Höhe des Arbeits­lo­sen­gel­des, also 60 Prozent für Allein­ste­hen­de, 67 Prozent mit Kind.»

Fahrten von Azubis werden übernommen

Im Weiter­bil­dungs­ge­setz wird laut Heil eine «Ausbil­dungs­ga­ran­tie» enthal­ten sein. Jeder junge Mensch solle die Chance auf eine Ausbil­dung haben. «Dafür fördern wir etwa die Mobili­tät und Berufs­ori­en­tie­rung von jungen Menschen.» Denn regio­nal gebe es große Unter­schie­de. «In Regio­nen mit Vollbe­schäf­ti­gung finden Unter­neh­men teils keine Azubis. In struk­tur­schwa­chen Regio­nen schrei­ben sich junge Menschen, die einen Ausbil­dungs­platz suchen, die Finger wund.»

Helfen soll eine Mobili­täts­un­ter­stüt­zung für Prakti­ka. «Wenn jemand beispiels­wei­se im nördli­chen Ruhrge­biet keine Ausbil­dungs­stel­le findet, aber es in Köln die Möglich­keit gibt, ein Prakti­kum zur Berufs­ori­en­tie­rung zu absol­vie­ren, dann unter­stüt­zen wir das durch Übernah­me von Unter­kunfts- und Mobili­täts­kos­ten», kündig­te Heil an. Bei Azubis würden Kosten für Famili­en­heim­fahr­ten übernommen.

771 Millio­nen Euro für neues Gesetz

Das finan­zi­el­le Volumen des Weiter­bil­dungs­ge­set­zes soll laut Heil bei der Bundes­agen­tur für Arbeit bis zum Jahr 2026 aufwach­send jährlich rund 771 Millio­nen Euro betra­gen. 190 Millio­nen Euro sollen aus dem Bundes­haus­halt dazukom­men. Demge­gen­über stünden Beitrags- und Steuer­ein­nah­men durch den Aufbau von Beschäftigung.

«Deutsch­land braucht nicht nur Master, sondern auch Meister», sagte Heil. Viele junge Menschen wüssten gar nicht, «welche tollen Berufe es vor allem in der beruf­li­chen Bildung gibt». Dies soll sich nach Heils Vorstel­lun­gen bereits in der Schule ändern: «Ich wünsche mir, dass wir an allen Schulen in Deutsch­land möglichst ab der fünften Klasse verpflich­tend Berufs­ori­en­tie­rung haben.»

Insge­samt soll laut Heil der Struk­tur­wan­del der Wirtschaft durch einen «ganz neuen Werkzeug­kas­ten» für Weiter­bil­dung flankiert werden. Förder­mög­lich­kei­ten würden verein­facht — Deutsch­land müsse «Weiter­bil­dungs­re­pu­blik» werden. Wenn Unter­neh­men im Wandel große Teile der Beleg­schaft weiter­qua­li­fi­zie­ren müsse, solle ein Quali­fi­zie­rungs­geld helfen.

Heil will alle Poten­zia­le ausschöpfen

«Viele Unter­neh­men suchen hände­rin­gend Arbeits- und Fachkräf­te», sagte Heil. «Ob im Handwerk, in der Pflege, am Bau — das ist faktisch in jeder Branche ein großes Thema.» Fachkräf­te­man­gel dürfe nicht zur Wachs­tums­brem­se werden. Ab 2025 gingen die Babyboo­mer Stück für Stück in den Ruhestand. Gleich­zei­tig verlie­ßen heute rund 45 000 Schüle­rin­nen und Schüler Jahr für Jahr die Schule ohne Abschluss.

Künftig müssten alle Poten­zia­le im Inland ausge­schöpft werden. «Hier müssen wir alle Regis­ter ziehen», sagte Heil. Dazu gehöre auch, die Erwerbs­be­tei­li­gung von Frauen zu steigern sowie Menschen mit Handi­cap und Ältere noch stärker am Erwerbs­le­ben zu beteiligen.

Einwan­de­rungs­ge­setz im März

«Deutsch­land braucht zusätz­lich quali­fi­zier­te Zuwan­de­rung», sagte der Minis­ter. Er rechne damit, «dass wir Anfang März im Bundes­ka­bi­nett einen Gesetz­ent­wurf für ein moder­nes Einwan­de­rungs­ge­setz beschlie­ßen werden». Hierfür hatte die Koali­ti­on im Novem­ber bereits Eckpunk­te vorge­legt. Anders als heute sollen verstärkt Nicht-EU-Bürge­rin­nen und ‑Bürger ohne anerkann­ten Abschluss ins Land kommen dürfen.

«Die Möglich­kei­ten für quali­fi­zier­te Einwan­de­rung werden entbü­ro­kra­ti­siert», bekräf­tig­te Heil. Visa zur Arbeits­auf­nah­me sollten schnel­ler erteilt werden. «Zudem bekom­men Menschen, die eine Ausbil­dung in ihrem Heimat­land erwor­ben haben, die Möglich­keit, in Deutsch­land zu arbeiten.»

Als weite­re Säule werde eine Chancen­kar­te einge­führt, mit der Menschen nach einem Punkte­sys­tem nach Deutsch­land kommen könnten. «Dazu schla­gen wir die Krite­ri­en Quali­fi­zie­rung, Berufs­er­fah­rung, Alter, Sprach­kennt­nis­se oder auch Deutsch­land­be­zug vor», so der Minis­ter. «Wenn man entspre­chen­de Punkte aus dem Krite­ri­en­ka­ta­log erfüllt, steht einem der deutsche Arbeits­markt offen.»

Anwer­be­stra­te­gie geplant

Heil kündig­te über das reine Gesetz hinaus eine «Anwer­be­stra­te­gie von Staat und Wirtschaft» an. Fachkräf­te­ein­wan­de­rung dürfe nicht nur hinge­nom­men werden. «Wir müssen sie wollen, organi­sie­ren und gezielt in anderen Ländern dafür werben.» An die Adres­se der Union gerich­tet sagte Heil: «Ich erwar­te von CDU und CSU, dass sie sich zu quali­fi­zier­ter Einwan­de­rung beken­nen.» Ein breiter Konsens der Demokra­ten sei wünschenswert.

Von Basil Wegener, dpa