BERLIN (dpa) — Nur einein­halb Stunden braucht der Vermitt­lungs­aus­schuss, um den Weg fürs Bürger­geld freizu­ma­chen. Der Staat will mit Millio­nen Arbeits­lo­sen künftig anders umgehen. Für die Linken ist der Kompro­miss keine echte Reform.

Bundes­ar­beits­mi­nis­ter Huber­tus Heil hat den Kompro­miss zum Bürger­geld vertei­digt. Der vom Vermitt­lungs­aus­schuss von Bundes­tag und Bundes­rat gebil­lig­te Entwurf sei kein fauler Kompro­miss, sondern eine «richtig gute Lösung», sagte der SPD-Politi­ker im Deutsch­land­funk. Das Bürger­geld schaf­fe ein neues System, «das Chancen gibt und Schutz gewährt». Das bishe­ri­ge Hartz-IV-System werde zum 1. Januar Geschich­te sein. Es werde weniger Bürokra­tie und passge­naue­re Hilfen geben.

Das Bürger­geld schaf­fe durch Quali­fi­ka­ti­on und Weiter­bil­dung neue Wege aus der Bedürf­tig­keit in die Arbeit, sagte er. Heil verbin­det mit dem Bürger­geld auch die Erwar­tung, dass es den Zusam­men­halt in der Gesell­schaft stärkt und Debat­ten «entgif­tet» werden.

Zudem erwar­tet die SPD einen «System- und Kultur­wan­del» für Arbeits­lo­se. «Es geht um eine besse­re Vermitt­lung in dauer­haf­te Jobs statt Hilfs­jobs und mehr Geld für Bedürf­ti­ge», sagte die Parla­men­ta­ri­sche Geschäfts­füh­re­rin der SPD-Bundes­tags­frak­ti­on, Katja Mast, der Deutschen Presse-Agentur.

Die Co-Vorsit­zen­de der Linken, Janine Wissler, bekräf­tig­te die Kritik ihrer Partei an den geplan­ten Regelun­gen. Die künfti­gen Regel­sät­ze seien immer noch «viel zu niedrig» und nicht armuts­fest. «Das ist keine echte Reform von Hartz IV», sagte Wissler ebenfalls im Deutsch­land­funk. Sie verwies auf die Forde­run­gen der Linken nach einer Mindest­si­che­rung von 1200 Euro für alle, um ein Leben überhaupt der Armuts­gren­ze zu garan­tie­ren. «Wir wollen dieses ganze System verän­dern», beton­te die Parteichefin.

Einigung in nur einein­halb Stunden

Gestern Abend hatte das Vermitt­lungs­gre­mi­um von Bundes­tag und Bundes­rat grünes Licht für die geplan­te Sozial­re­form gegeben. Das Bürger­geld soll am 1. Januar starten und die Hartz-IV-Bestim­mun­gen ablösen.

Die 16 Vertre­te­rin­nen und Vertre­ter beider Häuser saßen gestern Abend in Berlin nur einein­halb Stunden zusam­men — bei Kartof­fel- und Gulasch­sup­pe, Hähnchen­spie­ßen und Rucola-Salat mit Tomate. Dann segne­ten sie die Vorla­ge, die Union und Ampel-Koali­ti­on zuvor bereits in inter­nen Beratun­gen erzielt hatten, unver­än­dert ab. Bei frühe­ren Gelegen­hei­ten hatten Sitzun­gen des Vermitt­lungs­aus­schus­ses bis in den frühen Morgen gedauert.

Mast: «Großer Erfolg für Basis­schutz in unserem Land»

Jetzt war schon tagelang hinter verschlos­se­nen Türen über zentra­le Details des Entwurfs von Arbeits­mi­nis­ter Heil verhan­delt worden. Die Union hatte der Ampel vorge­wor­fen, die Akzen­te mit ihren Ursprungs­plä­nen zu stark vom Fordern wegver­schie­ben zu wollen.

Mast sagte der dpa, mit der Zustim­mung im Ausschuss sei der Weg für die Reform frei. «Das ist ein großer Erfolg für den Basis­schutz in unserem Land.» Nun könnten morgen die endgül­ti­gen Abstim­mun­gen in Bundes­tag und Bundes­rat erfol­gen. Die CDU/C­SU-Frakti­on stell­te sich noch am Mittwoch­abend in einer Sonder­sit­zung praktisch einstim­mig hinter den Kompro­miss. Wenn beide Häuser dem geänder­ten Gesetz­ent­wurf zustim­men, können zum 1. Januar höhere Leistun­gen fließen. Allein­ste­hen­de sollen zum 1. Januar 502 statt 449 Euro bekommen.

Der Parla­men­ta­ri­sche Geschäfts­füh­rer der FDP-Frakti­on, Johan­nes Vogel, sagte der dpa, mit dem Bürger­geld lohne sich Leistung mehr. «Bisher mussten Aufstiegs­chan­cen zu oft im Dunkeln gesucht werden. Mit den besse­ren Zuver­dienst­re­geln schal­ten wir nun das Licht an, damit mehr Menschen durch eigene Anstren­gung den Weg heraus aus der Bedürf­tig­keit finden.» Dafür habe die FDP lange gekämpft. «Wenn zum Beispiel ein junger Mensch aus einer Hartz-IV-Familie eine Ausbil­dung macht, darf er aktuell nur rund 200 Euro behal­ten, im Bürger­geld werden es über 600 Euro sein.»

Union setzt härte­re Sankti­ons­an­dro­hun­gen durch

Die Union, die mit einem Schei­tern der Pläne gedroht hatte, setzte durch, dass die Betrof­fe­nen mit härte­ren Sankti­ons­an­dro­hun­gen zur Mitwir­kung gedrängt werden können. Gestri­chen wurde eine von Heil geplan­te «Vertrau­ens­zeit»: In den ersten sechs Monaten sollten Leistungs­be­zie­hern ursprüng­lich Bezüge nicht gekürzt werden können, wenn sie sich etwa nicht auf eine Stelle bewerben.

Nun sollen Sanktio­nen bei ausblei­ben­den Bewer­bun­gen von Anfang an gestaf­felt möglich sein. Die Kürzun­gen sollen beim ersten Mal 10 Prozent, beim zweiten Mal 20 Prozent und dann 30 Prozent betra­gen können. Die Grünen zeigten sich enttäuscht über den Wegfall der «Vertrau­ens­zeit».

Zudem sollten laut Heils Ursprungs­ent­wurf in einer «Karenz­zeit» von zwei Jahren angemes­se­ne Kosten für Miete und Heizung übernom­men werden. Erspar­tes bis 60.000 Euro sollte nicht aufge­braucht werden müssen. Diese Schwel­le wurde nun auf 40.000 Euro gesenkt. Bei jeder weite­ren Person in einer sogenann­ten Bedarfs­ge­mein­schaft sollen 15.000 Euro erlaubt sein. Diese «Karenz­zeit» soll nun nur noch ein Jahr dauern.

Weitge­hend unange­tas­tet blieben die Teile der Reform, die zu einem stärke­ren Kümmern der Jobcen­ter führen sollen. Sie sollen am 1. Juli starten. Indivi­du­ell soll künftig ausge­lo­tet werden, welche Quali­fi­zie­rung oder Umschu­lung Betrof­fe­ne machen müssen, so dass sie wieder auf eigene Beine kommen. Gestri­chen werden soll der Vorrang der Vermitt­lung in Arbeit — beendet werden soll der vielkri­ti­sier­te «Drehtür­ef­fekt» von Jobcen­ter zum Helfer­job und zurück.