BERLIN (dpa) — Das Kabinett befasst sich heute mit Eckpunk­ten für eine erleich­ter­te Zuwan­de­rung von Fachkräf­ten. Der Arbeits­mi­nis­ter mahnt: Deutsch­land konkur­rie­re mit vielen Ländern um kluge Köpfe.

Aus Sicht von Bundes­ar­beits­mi­nis­ter Huber­tus Heil geht es bei den geplan­ten neuen Regeln für die Zuwan­de­rung von Fachkräf­ten darum, den Wohlstand des Landes zu sichern. «Unser Ziel ist das moderns­te Einwan­de­rungs­recht in Europa, denn wir konkur­rie­ren mit vielen Ländern um kluge Köpfe und helfen­de Hände», sagte der SPD-Politi­ker dem SWR-Haupt­stadt­stu­dio. «Dass wir die richti­gen Kräfte bekom­men, sichert den Wohlstand in Deutschland.»

Die Bundes­re­gie­rung will die Einwan­de­rung von quali­fi­zier­ten Arbeits­kräf­ten aus dem Ausland deutlich erleich­tern, um gegen den teils sehr tiefgrei­fen­den Fachkräf­te­man­gel vorzu­ge­hen. Dazu verab­schie­det das Kabinett heute ein Eckpunktepapier.

Heil forder­te: «Wir dürfen Fachkräf­te­ein­wan­de­rung nicht einfach bürokra­tisch hinneh­men wie in der Vergan­gen­heit, sondern wir müssen sie massiv wollen.» Er sprach von einer «gesamt­staat­li­chen Anstren­gung» für Bund, Länder und Kommu­nen — und auch für die Wirtschaft.

Punkte­sys­tem als Basis

Anerkann­te Fachkräf­te mit einem gülti­gen Arbeits­ver­trag sollen einfa­cher als bisher nach Deutsch­land kommen können. Auf der Basis eines Punkte­sys­tems sollen zudem auch Fachkräf­te ohne Arbeits­ver­trag einrei­sen dürfen, wenn sie bei bestimm­ten Auswahl­kri­te­ri­en wie Sprach­kennt­nis­sen oder Berufs­er­fah­rung beson­ders gut abschneiden.

Dritt­staats­an­ge­hö­ri­gen «mit gutem Poten­zi­al» soll der Aufent­halt zur Suche eines Arbeits­plat­zes ermög­licht werden. «Wir werden auf Grund­la­ge eines trans­pa­ren­ten, unbüro­kra­ti­schen Punkte­sys­tems eine Chancen­kar­te zur Arbeits­platz­su­che einfüh­ren», heißt es in dem Papier. Als Auswahl­kri­te­ri­en werden Quali­fi­ka­ti­on, Sprach­kennt­nis­se, Berufs­er­fah­rung, Deutsch­land­be­zug und Alter genannt.

Nach den Eckpunk­ten soll das Ampel-Kabinett im ersten Quartal 2023 auch die entspre­chen­den Gesetz­ent­wür­fe abseg­nen. Heil sagte dem SWR: «Das Gesetz wird im nächs­ten Jahr beschlos­sen werden (…) und ich will, dass wir spätes­tens 2025 — und das ist nicht mehr lange hin — die Erfol­ge dieses Geset­zes auch am Arbeits­markt sehen.»

Zustim­mung bei der IG-Metall

Der IG-Metall-Vorsit­zen­de Jörg Hofmann unter­stützt die Pläne. «Als Gesell­schaft profi­tie­ren wir davon, wenn quali­fi­zier­te Arbeits­kräf­te nach Deutsch­land kommen», sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Deshalb sei es an der Zeit, das Thema anzupa­cken. «Bürokra­ti­sche Hürden — begin­nend bei der Visa-Beantra­gung bis zur Anerken­nung von Berufs­ab­schlüs­sen — behin­dern heute den Zuzug», bemän­gel­te der Vorsit­zen­de der größten deutschen Einzelgewerkschaft.

Auch von der Wirtschaft kommt Zustim­mung zu einer leich­te­ren Zuwan­de­rung von Fachkräf­ten. Der Deutsche Indus­trie- und Handels­kam­mer­tag (DIHK) forder­te aber Nachbes­se­run­gen etwa bei der Gehalts­gren­ze und der Anwer­bung von Auszu­bil­den­den aus dem Ausland. «Hierzu enthält das Eckpunk­te­pa­pier noch recht wenig. Bei der wachsen­den Zahl unbesetz­ter Ausbil­dungs­plät­ze in Deutsch­land müssen wir noch pragma­ti­scher werden, um verstärkt Auszu­bil­den­de aus Dritt­staa­ten zu gewin­nen», sagte der stell­ver­tre­ten­de DIHK-Haupt­ge­schäfts­füh­rer Achim Dercks der «Rheini­schen Post».

Deutsch­land auf Zuwan­de­rung angewiesen

Handwerks­prä­si­dent Hans Peter Wolls­ei­fer forder­te eine Neuaus­rich­tung der Auslän­der­be­hör­den und der deutschen Botschaf­ten im Ausland. «Die Auslän­der­be­hör­den müssen “Welco­me-Center” werden, Visa müssen schnel­ler erteilt werden. Sonst kommen die Leute nicht, zumal Deutsch­land ja ohnehin nicht den aller­bes­ten Ruf als Einwan­de­rungs­land hat», sagte Wolls­ei­fer der Zeitung.

Deutsch­land sei in den kommen­den Jahren auf Zuwan­de­rung angewie­sen, sagte auch die geschäfts­füh­ren­de Direk­to­rin des Berlin-Insti­tuts für Bevöl­ke­rung und Entwick­lung, Cathe­ri­na Hinz, dem Redak­ti­ons­netz­werk Deutsch­land (RND). «Die Babyboo­mer gehen in Rente, und die Zahl der Menschen im Erwerbs­al­ter schrumpft — laut einer Progno­se des Berlin-Insti­tuts von heute etwa 50 Millio­nen um rund zwölf Prozent auf 44 Millio­nen im Jahr 2035.» Um den prognos­ti­zier­ten Arbeits­kräf­te­be­darf gerade­so zu decken, brauche es eine jährli­che Zuwan­de­rung von mindes­tens 260.000 Menschen.

«Da die Haupt­her­kunfts­län­der in der EU ähnli­che demogra­fi­sche Entwick­lun­gen erleben wie Deutsch­land, wird die EU-Zuwan­de­rung aller Voraus­sicht nach zurück­ge­hen», sagte Hinz. «Zuwan­de­rung aus Dritt­staa­ten wird an Bedeu­tung gewinnen.»

Opposi­ti­on übt Kritik an Ampel-Plänen

Vorbe­hal­te gegen die Regie­rungs­plä­ne hatte die Union geäußert. Der Parla­men­ta­ri­sche Geschäfts­füh­rer der Unions­frak­ti­on, Thors­ten Frei, erteil­te dem angepeil­ten Punkte­sys­tem eine Absage. Frakti­ons­chef Fried­rich Merz (CDU) sagte, die Union werde entspre­chen­de Vorschlä­ge vorur­teils­frei prüfen. Das Punkte­sys­tem sei aber «wahrschein­lich für andere Länder besser anwend­bar als für unseres».

Im Streit über eine Reform des Einbür­ge­rungs­rechts argumen­tier­te Grünen-Chef Omid Nouri­pour unter­des­sen ebenfalls mit der Attrak­ti­vi­tät Deutsch­lands für auslän­di­sche Fachkräf­te. «Viele Unter­neh­men finden schon jetzt kaum noch Fach- und Arbeits­kräf­te und die Lücke wird in den nächs­ten Jahren noch größer werden», sagte er der «Süddeut­schen Zeitung». «Wir konkur­rie­ren weltweit um die klügs­ten Köpfe und müssen ihnen eine Perspek­ti­ve in Deutsch­land anbie­ten. Die Moder­ni­sie­rung des Staats­bür­ger­schafts­rechts ist daher überfällig.»

Pläne von Bundes­in­nen­mi­nis­te­rin Nancy Faeser (SPD) sehen vor, dass Zuwan­de­rer anstatt wie bisher nach acht Jahren künftig schon nach einem fünfjäh­ri­gen Aufent­halt die deutsche Staats­bür­ger­schaft erhal­ten können, bei «beson­de­ren Integra­ti­ons­leis­tun­gen» sogar schon nach drei Jahren. Von CDU und CSU kam schar­fe Kritik, aber auch in den Reihen des Koali­ti­ons­part­ners FDP gibt es Vorbehalte.