BERLIN/KARLSRUHE (dpa) — Zum Heizungs­ge­setz gab es schon ein langes Hin und Her — dann kam noch eine brisan­te Entschei­dung aus Karls­ru­he. Am Tag danach: Krisen­sit­zung der Koali­ti­on, Aufat­men bei der Opposition.

Millio­nen von Hausbe­sit­zern und Mietern müssen beim umstrit­te­nen Heizungs­ge­setz bis Septem­ber auf Klarheit warten. Das Bundes­ver­fas­sungs­ge­richt brems­te die Ampel-Koali­ti­on auf der Zielge­ra­den aus. SPD, Grüne und FDP wollen eines ihrer zentra­len Vorha­ben für mehr Klima­schutz nun erst Anfang Septem­ber beschlie­ßen. Die drei Fraktio­nen beton­ten am Donners­tag in Berlin zugleich, hinter dem Heizungs­ge­setz zu stehen. Es solle keine inhalt­li­che Änderun­gen mehr geben.

Das Verfas­sungs­ge­richt hatte den für diesen Freitag geplan­ten Beschluss im Bundes­tag gestoppt. Das löste auch eine Debat­te darüber aus, dass Bundes­tags­ab­ge­ord­ne­te mehr Zeit bei zum Teil komple­xen Geset­zes­ver­fah­ren bekom­men sollen.

Das höchs­te deutsche Gericht teilte am Mittwoch­abend in Karls­ru­he mit, die zweite und dritte Lesung zum Gebäu­de­en­er­gie­ge­setz (GEG) dürfe nicht in der laufen­den Sitzungs­wo­che statt­fin­den Es hatte Zweifel daran angemel­det, dass die Rechte der Abgeord­ne­ten ausrei­chend gewahrt blieben. Der CDU-Bundes­tags­ab­ge­ord­ne­te Thomas Heilmann hatte wegen des engen Zeitplans im Gesetz­ge­bungs­ver­fah­ren einen Antrag auf eine einst­wei­li­ge Anord­nung gestellt.

Die Koali­ti­ons­frak­tio­nen wollen für die nächs­te regulä­re Sitzungs­wo­che Anfang Septem­ber beantra­gen, die zweite und dritte Lesung des GEG auf die Tages­ord­nung des Bundes­ta­ges zu setzen, wie die Frakti­ons­vor­sit­zen­den der Koali­ti­on mitteil­ten. Das Gesetz soll dann am 1. Januar 2024 in Kraft treten.

Die Bremse aus Karlsruhe

Am Mittwoch­abend kam die brisan­te Entschei­dung aus Karls­ru­he: Keine 48 Stunden vor dem geplan­ten Parla­ments­be­schluss zum Heizungs­ge­setz stoppe das Bundes­ver­fas­sungs­ge­richt das Vorha­ben im Eilver­fah­ren. Der CDU-Bundes­tags­ab­ge­ord­ne­te Heilmann hatte eine einst­wei­li­ge Anord­nung beantragt, um dem Bundes­tag die abschlie­ßen­de Beratung und Abstim­mung über das Gesetz zu unter­sa­gen, wenn der Gesetz­ent­wurf den Abgeord­ne­ten nicht mindes­tens 14 Tage vorher schrift­lich vorliegt — was nicht der Fall war. Seine Rechte als Abgeord­ne­ter seien durch das Gesetz­ge­bungs­ver­fah­ren erheb­lich verletzt worden.

«Die Ampel ruiniert die Wärme­wen­de mit einem Last-Minute-Geset­zes­pa­ket und einem verfas­sungs­wid­ri­gen Verfah­ren», warf Heilmann der Koali­ti­on vor. Wegen der maximal verkürz­ten Beratun­gen zur Geset­zes­no­vel­le könne man keine konzep­tio­nel­len Schwä­chen des Geset­zes­pa­kets aufzei­gen und ändern.

Dazu erklär­te das Gericht, Heilmanns Haupt­sa­che­an­trag in dem Verfah­ren erschei­ne mit Blick auf sein Recht auf gleich­be­rech­tig­te Teilha­be an der parla­men­ta­ri­schen Willens­bil­dung aus Artikel 38 des Grund­ge­set­zes weder von vornher­ein unzuläs­sig noch offen­sicht­lich unbegrün­det. «Den Abgeord­ne­ten steht nicht nur das Recht zu, im Deutschen Bundes­tag abzustim­men, sondern auch das Recht zu beraten.»

Der enge Zeitplan der Ampel

Um das Heizungs­ge­setz hatte es monate­lan­ge, harte Ausein­an­der­set­zun­gen gegeben. Vor allem die FDP hatte grund­le­gen­de Nachbes­se­run­gen am ursprüng­li­chen Gesetz­ent­wurf verlangt. Noch vor der ersten Lesung im Bundes­tag verein­bar­te die Ampel Mitte Juni weite­re Änderun­gen, die sie in teils vage formu­lier­ten «Leitplan­ken» festhielt — ein sehr ungewöhn­li­ches Verfah­ren, das dazu führte, dass eine erste Exper­ten­an­hö­rung zu dem zu diesem Zeitpunkt schon veral­te­ten ursprüng­li­chen Gesetz­ent­wurf stattfand.

Die Koali­ti­ons­frak­tio­nen legten dann dem Bundes­tag am Freitag vergan­ge­ner Woche Änderungs­an­trä­ge zum ursprüng­li­chen Gesetz­ent­wurf vor. Es folgte eine erneu­te Exper­ten­an­hö­rung an diesem Montag. An diesem Freitag sollte das Heizungs­ge­setz im Bundes­tag beschlos­sen werden. Die Opposi­ti­on hatte den engen Zeitplan heftig kritisiert.

Das Heizungs­ge­setz sieht im Kern vor, dass Hausbe­sit­zer mehr Zeit bekom­men sollen für den Heizungs­tausch, der ein wesent­li­cher Beitrag sein soll für mehr Klima­schutz im Gebäudesektor.

Nach dem GEG sollen künftig nur noch Heizun­gen neu einge­baut werden dürfen, die auf die Dauer zu mindes­tens 65 Prozent mit erneu­er­ba­ren Energien betrie­ben werden können. Die Regelun­gen sollen aber von 2024 an unmit­tel­bar erst einmal nur für Neubau­ge­bie­te gelten. Für Bestands­bau­ten soll der Dreh- und Angel­punkt eine verpflich­ten­de und flächen­de­cken­de kommu­na­le Wärme­pla­nung sein — auf dieser Grund­la­ge sollen Hausbe­sit­zer entschei­den können, was sie machen. Die Kosten des Umstiegs sollen mit bis zu 70 Prozent aus Steuer­mit­teln geför­dert werden — ein genaue­res Konzept gibt es aber noch nicht.

Verschie­bung auf September

Für das weite­re Verfah­ren gab es nun zwei Möglich­kei­ten: Entwe­der trifft sich der Bundes­tag zu einer Sonder­sit­zung in der Sommer­pau­se — oder der Beschluss wird auf die Zeit ab Septem­ber vertagt, wenn der Bundes­tag regulär wieder zusammenkommt.

Am Abend der Entschei­dung konnte sich die Ampel noch nicht auf eine erste gemein­sa­me Reakti­on verstän­di­gen. Am Donners­tag dann kamen die Frakti­ons­vor­sit­zen­den zu einer Krisen­sit­zung zusam­men. Die Entschei­dung: Beschluss erst im September.

Die Grünen-Frakti­ons­vor­sit­zen­de Katha­ri­na Dröge schloss inhalt­li­che Änderun­gen aus. «Dieses Gesetz haben wir so inten­siv beraten, dass wir auch sehr sicher sind, dass wir dieses Gesetz so beschlie­ßen wollen. Dröge machte zudem klar, die Grünen wollten eine Verab­schie­dung noch vor der Sommer­pau­se, damit sich die Menschen darauf einstel­len könnten. Sie verwies auf die Kaufzu­rück­hal­tung bei Wärme­pum­pen. FDP-Frakti­ons­chef Chris­ti­an Dürr sagte, entschei­dend sei nicht, wann das Gesetz komme — sondern dass es ein gutes Gesetz werden. Das sei durch die Änderun­gen, hinter die FDP stehe, gewährleistet.

Wirtschafts- und Klima­schutz­mi­nis­ter Robert Habeck (Grüne) sagte, ausrei­chen­de Betei­li­gungs­rech­te der Abgeord­ne­ten würden in Umset­zung der Entschei­dung aus Karls­ru­he gesichert. «Zugleich bringt es die nötige inhalt­li­che Klarheit, so dass wir über den Sommer weiter die Imple­men­tie­rung des Geset­zes vorbe­rei­ten können. Das ist für die Bürge­rin­nen und Bürger und auch für die wirtschaft­li­chen Akteu­re wichtig, damit sie sich auf die Wärme­wen­de einstel­len können und Klarheit haben.»

Axel Gedasch­ko, Präsi­dent des Spitzen­ver­ban­des der Wohnungs­wirt­schaft GdW, sagte, die verblei­ben­de Zeit müsse genutzt werden, um dringend notwen­di­ge Anpas­sun­gen vorzu­neh­men und das Gesetz sowohl wirtschaft­lich als auch sozial gerecht zu gestalten.

Unions­frak­ti­ons­chef Fried­rich Merz bot der Ampel gemein­sa­me Gesprä­che an — mit dem Ziel, eine breite parla­men­ta­ri­sche Mehrheit für einen «so tiefen Eingriff» in die priva­ten Haushal­te zu errei­chen. Das Gesetz könne noch einmal verbes­sert werden. CDU-Bundes­vi­ze Andre­as Jung sagte: «Die Ampel steht jetzt vor dem Scher­ben­hau­fen ihrer Augen-zu-und-durch-Menta­li­tät.» In der Sache brauche es einen grund­le­gend neuen Anlauf.

Kein «Triumph­ge­heul» bei Antragsteller

Nein, er wolle nun kein «Triumph­ge­heul» anstim­men, sagte der CDU-Abgeord­ne­te Heilmann. Ihm gehe es nicht darum zu sagen, es sei nicht mehr Klima­schutz in Gebäu­den notwen­dig. Er kriti­sier­te aber, dass die Verfah­ren des Bundes­tags seit länge­rem an Überei­lung und an Hetze litten und damit an mangeln­der Sorgfalt. Heilmann nannte die Entschei­dung des Verfas­sungs­ge­richts einen «Weckruf» für den Bundestag.

Heilmann sprach sich für Änderun­gen in Gesetz­ge­bungs­ver­fah­ren aus — damit es künftig mehr Zeit für Beratun­gen und keine «Last-Minute-Geset­ze» mehr gibt. Es brauche zum Beispiel eine Mindest­zeit für den zustän­di­gen Ausschuss, um sich mit Plänen zu befas­sen. Falls es Änderun­gen gebe, könne er sich sehr gut vorstel­len, seine Klage fallen zu lassen. Er habe mit seinem erfolg­rei­chen Eilan­trag der Koali­ti­on «einen Gefal­len getan». Wenn das Gesetz­ge­bungs­ver­fah­ren nicht ordent­lich ablau­fe, entste­he die Gefahr, ein formell verfas­sungs­wid­ri­ges Gesetz zu beschließen.

Bundes­tags­prä­si­den­tin Bärbel Bas rief die Koali­ti­on dazu auf, die Entschei­dung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts als «weite­re Mahnung» zu begrei­fen. «In sämtli­chen zukünf­ti­gen Gesetz­ge­bungs­ver­fah­ren müssen alle Betei­lig­ten ausrei­chend Zeit für ihre Beratun­gen haben — insbe­son­de­re die Abgeord­ne­ten und die Sachver­stän­di­gen», hieß es in einer Mittei­lung der SPD-Politi­ke­rin. «Auch wenn ich mich wieder­ho­le: Beschleu­nig­te Verfah­ren müssen die Ausnah­me bleiben.» Bas hatte schon im März die Bundes­re­gie­rung und die Vorsit­zen­den der Ampel-Fraktio­nen ermahnt, den Abgeord­ne­ten mehr Zeit für Beratun­gen und Anhörun­gen zu geben.

Merz sagte, er werde der Koali­ti­on anbie­ten, zu einem «neuen Mitein­an­der» im Bundes­tag zu kommen. Es gebe immer mehr Gesetz­ge­bungs­ver­fah­ren mit Frist­ver­kür­zun­gen. «Das geht so nicht weiter.»

Heilmann bestä­tig­te, dass sich auch AfD-Politi­ker seinem Verfah­ren angeschlos­sen hätten. Er habe dem wider­spre­chen wollen, das sei aber nicht möglich gewesen. Wie ein Sprecher des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts sagte, sind dem Antrag elf Mitglie­der der AfD-Bundes­tags­frak­ti­on beigetreten.

Von Andre­as Hoenig und Marti­na Herzog, dpa