MOSKAU (dpa) — «Ein Arzt für Nawal­ny!»: In mehr als 50 russi­schen Städten gibt es Protes­te gegen die Behand­lung des inhaf­tier­ten Kreml­kri­ti­kers. In Moskau werden zwei führen­de Nawal­ny-Mitar­bei­te­rin­nen festgesetzt.

Hunder­te Menschen sind in Russland bei Demons­tra­tio­nen zur Unter­stüt­zung des im Straf­la­ger inhaf­tier­ten Kreml­geg­ners Alexej Nawal­ny festge­nom­men worden.

Das Menschen­rechts­por­tal ovdinfo.org liste­te am frühen Abend für mehr als 50 Städte über 400 Festnah­men auf. Die Menschen riefen trotz Drohun­gen der Behör­den zu Zehntau­sen­den «Freiheit für Nawal­ny!» und forder­ten, dem in Haft schwer erkrank­ten 44-Jähri­gen ärztli­che Hilfe zu leisten.

Nawal­ny ist seit drei Wochen im Hunger­streik, um so eine Behand­lung von einem unabhän­gi­gen Arzt zu erwir­ken. Er klagt über Rücken­schmer­zen und Lähmungs­er­schei­nun­gen in den Glied­ma­ßen. Nach Angaben des russi­schen Straf­voll­zugs wird er auf einer Kranken­sta­ti­on im Straf­la­ger behan­delt. Die Behör­den sehen keine Gefahr für sein Leben.

Auch Nawal­nys Frau Julia, sein Bruder Oleg und seine Mutter nahmen an den nicht erlaub­ten Aktio­nen in Moskau teil. Nawal­nys enge Mitar­bei­te­rin­nen Ljubow Sobol und seine Spreche­rin Kira Jarmysch wurden bereits Stunden vor den Protes­ten festge­nom­men. Jarmysch kam für zehn Tage in eine Arrest­zel­le, wie sie mitteil­te. Der Grund der Festnah­men war zunächst nicht klar.

Die Behör­den hatten davor gewarnt, an den Protes­ten teilzu­neh­men. In der russi­schen Haupt­stadt waren im Zentrum Zehntau­sen­de Menschen auf den Beinen, um Nawal­ny zu unter­stüt­zen, wie unabhän­gi­ge Beobach­ter sagten. Autos fuhren mit Hupkon­zer­ten zur Unter­stüt­zung an den Demons­tran­ten vorbei. Viele Demons­tran­ten sagten, dass sie ihre Angst überwun­den hätten und für Nawal­ny eintre­ten wollten. Die Polizei sprach von 6000 Teilnehmern.

In Sprech­chö­ren forder­ten die Menschen — wie in vielen Städten des Landes — auch den Rücktritt des russi­schen Präsi­den­ten Wladi­mir Putin. Sie riefen «Putin — wor!» und «Putin, uchodi!» (Deutsch: Putin ist ein Dieb», «Putin, hau ab!»). Sie werfen dem Kreml­chef eine Unter­drü­ckung Anders­den­ken­der sowie Korrup­ti­on vor und riefen «Freiheit! Freiheit!».

Die Protes­te hatten im flächen­mä­ßig größten Land der Erde zunächst im äußers­ten Osten an der Pazifik­küs­te begon­nen. Auch in Sibiri­en gingen Tausen­de auf die Straße. In St. Peters­burg, der Heimat­stadt des Kreml­chefs, riefen viele Menschen «Putin ist ein Mörder!», «Freiheit für politi­sche Gefan­ge­ne!» und «Ein Arzt für Nawal­ny!», wie der Inter­net­fern­seh­sen­der Doschd zeigte.

Nawal­ny macht Putin verant­wort­lich für den Mordan­schlag auf ihn im vergan­ge­nen August, als er in Sibiri­en mit dem chemi­schen Kampf­stoff Nowit­schok vergif­tet wurde. Der Präsi­dent weist die Vorwür­fe zurück. Die russi­sche Führung lehnt auch Ermitt­lun­gen in dem inter­na­tio­nal verur­teil­ten Verbre­chen ab. Nawal­ny warf Putin wieder­holt vor, er wolle ihn nun im Straf­la­ger töten — aus Rache, weil das Atten­tat geschei­tert sei.

Der Kreml hatte inter­na­tio­na­le Kritik am Umgang mit Nawal­ny als unzuläs­si­ge Einmi­schung in Russlands innere Angele­gen­hei­ten abgelehnt. Auch für die medizi­ni­sche Behand­lung des Opposi­tio­nel­len bezeich­ne­te sich die Präsi­di­al­ver­wal­tung als nicht zustän­dig und verwies an den Straf­voll­zug, der Nawal­nys Zustand als «zufrie­den­stel­lend» einstufte.

In Genf verlang­ten Exper­ten des UN-Menschen­rechts­rats hinge­gen, Nawal­ny angesichts der «ernsten Gefahr» für seine Gesund­heit zur Behand­lung ins Ausland auszu­flie­gen. Sie erinner­ten daran, dass der Politi­ker nach dem Mordan­schlag in Deutsch­land behan­delt wurde.

Die Sicher­heits­kräf­te verhiel­ten sich zumin­dest in Moskau anders als bei den Protes­ten im Winter zunächst etwas zurück­hal­ten­der, wie ein Repor­ter der Deutschen Presse-Agentur an Ort und Stelle berich­te­te. Viele Straßen waren mit Absperr­git­tern im Zentrum verbar­ri­ka­diert. Zuletzt hatte es Tausen­de Festnah­men und massi­ve Polizei­ge­walt gegen die Nawal­ny-Unter­stüt­zer gegeben. Auch in vielen Städten im Ausland gab es Solida­ri­täts­pro­tes­te, darun­ter in Deutsch­land unter anderem in Düssel­dorf und in Berlin.