WARSCHAU (dpa) — In einer Blitz­mis­si­on starten die Minis­ter­prä­si­den­ten von Polen, Tsche­chi­en und Slowe­ni­en im Ukrai­ne-Krieg nach Kiew. Aus Sicher­heits­grün­den fahren sie mit der Bahn. Kanzler Scholz begrüßt den Plan.

Die Reise ist riskant, das Verkehrs­mit­tel ungewöhn­lich. Mit dem Zug sind die Regie­rungs­chefs von Polen, Tsche­chi­en und Slowe­ni­en nach Kiew gereist und haben dem ukrai­ni­schen Präsi­den­ten Wolodym­yr Selen­skyj Solida­ri­tät und Unter­stüt­zung zugesagt.

«Hier, im vom Krieg zerris­se­nen Kiew, wird Geschich­te geschrie­ben», beton­te der polni­sche Minis­ter­prä­si­dent Mateusz Morawi­ecki. «Hier kämpft die Freiheit gegen die Welt der Tyran­nei. Hier hängt die Zukunft von uns allen in der Schwe­be», teilte er per Twitter mit.

Selen­skyj erfreut über Besuch

Morawi­e­ckis Stell­ver­tre­ter Jaros­law Kaczyn­ski sprach sich der PiS-Partei zufol­ge für eine inter­na­tio­na­le Friedens­mis­si­on etwa der Nato aus, die in der Lage sein sollte, sich zu verteidigen.

«Wir bewun­dern euren mutigen Kampf», erklär­te der tsche­chi­sche Minis­ter­prä­si­dent Petr Fiala. «Ihr kämpft um euer Leben, euer Land und eure Freiheit. Wir wissen, dass ihr auch um unser Leben kämpft. Ihr seid nicht allein.»

Sein slowe­ni­scher Kolle­ge Janez Jansa meinte, man habe in den vergan­ge­nen zwei Jahren viel über europäi­sche Werte gespro­chen — meist theore­tisch. «Dann haben wir aber bemerkt, dass es europäi­sche Grund­wer­te tatsäch­lich gibt. Und dass sie gefähr­det sind. Und dass Europä­er diese vertei­di­gen. Mit ihrem Leben. In der Ukraine.»

Selen­skyj bezeich­ne­te den Besuch nach ukrai­ni­schen Medien­be­rich­ten als großen und mutigen Schritt. In einer Zeit, in der viele auslän­di­sche Botschaf­ten wegen des russi­schen Einmarschs die Ukrai­ne verlas­sen hätten, würden «diese Führer unabhän­gi­ger europäi­scher Staaten» zeigen, dass sie keine Angst hätten. «Sie sind hier, um uns zu unter­stüt­zen. Ich bin sicher, dass wir mit solchen Freun­den, mit solchen Ländern, Nachbarn und Partnern wirklich gewin­nen können.»

Auch der ukrai­ni­sche Regie­rungs­chef Denys Schmyhal lobte die Coura­ge seiner Kolle­gen. «Der Mut der wahren Freun­de der Ukrai­ne», schrieb Schmyhal bei Twitter.

«Delega­ti­on vertritt die EU» — oder doch nicht?

Der Besuch war nach Darstel­lung eines polni­schen Regie­rungs­spre­chers unter strengs­ter Geheim­hal­tung in Abspra­che mit EU und Nato geplant worden. Die Visite sei eng mit EU-Ratsprä­si­dent Charles Michel und EU-Kommis­si­ons­che­fin Ursula von der Leyen abgestimmt: «Die Delega­ti­on vertritt de facto die Europäi­sche Union, den Europäi­schen Rat». Aus EU-Kreisen heißt es dagegen, es gebe kein offizi­el­les Mandat des Europäi­schen Rates, da formell kein Beschluss der 27 EU-Länder gefasst worden sei. Nach Angaben des Sprechers von Michel wurden von der Leyen und Michel selbst am Rande eines EU-Gipfels Ende vergan­ge­ner Woche über ein mögli­ches Treffen informiert.

In Warschau nutzt der Regie­rungs­spre­cher die Frage, warum die EU-Spitze nicht selbst nach Kiew fahre, zu einem Seiten­hieb gegen die Brüsse­ler Bürokra­ten. «Dies ist eine schwie­ri­ge Frage, aber es ist eine Frage der indivi­du­el­len Entschei­dun­gen jedes europäi­schen Spitzen­po­li­ti­kers.» Haben von der Leyen und Michel nicht genug Mumm in den Knochen für den Höllen­trip nach Kiew? Ein EU-Beamter räumt später ein, der EU-Ratsprä­si­dent habe mit Blick auf eine solche Reise auf Sicher­heits­ri­si­ken hinge­wie­sen. Die Frage danach, warum von der Leyen nicht mit im Zug sitze, nennt er nur «kurios».

Kanzler Scholz: «Alle Gesprächs­for­ma­te nutzen»

Bundes­kanz­ler Olaf Scholz äußer­te sich positiv zur Reise nach Kiew. Es gehe derzeit darum, «alle Gesprächs­for­ma­te zu nutzen und die auch aufrecht zu erhal­ten», sagte der SPD-Politi­ker in Berlin. Es sei «gut, wenn auf verschie­de­ne Weise versucht wird, in dieser Situa­ti­on hilfreich zu sein».

Auch Unions­frak­ti­ons­chef Fried­rich Merz (CDU) würdig­te die Reise nach Kiew als mutigen Schritt. Die Union sehe mit aller­größ­tem Respekt, was die drei Politi­ker auch an persön­li­chem Risiko auf sich nähmen, «um die Solida­ri­tät nicht nur der drei Länder, sondern auch der gesam­ten Europäi­schen Union noch einmal zu unter­strei­chen», sagte Merz vor einer Sitzung der Bundes­tags­ab­ge­ord­ne­ten von CDU und CSU in Berlin. Auf die Frage, ob er sich einen solchen Schritt auch von Kanzler Scholz erwar­te, sagte Merz, eine solche Reise «könnte durch­aus ein Vorbild sein auch für andere».

«Gefähr­li­che» Reise

Die Reise­rou­te blieb zunächst streng geheim. Morawi­e­ckis Kanzlei­chef Michal Dworc­zyk verriet nur, dass der Sonder­zug in Przemysl abgefah­ren sei. Der Bahnhof der ostpol­ni­schen Stadt hat ein Gleis in russi­scher Breit­spur, die auch in der Ukrai­ne verlegt ist. Aus der Gegen­rich­tung kommen dort ständig überfüll­te Züge an. Sie bringen Tausen­de von verzwei­fel­ten Menschen, die aus der Ukrai­ne vor dem Krieg fliehen.

Kanzlei­chef Dworc­zyk wollte am Abend die Frage nicht beant­wor­ten, ob die Spitzen­po­li­ti­ker die Nacht in Kiew verbrin­gen oder sofort nach dem Treffen mit Selen­skyj wieder mit ihrem Sonder­zug zurück nach Polen fahren. Aus Sicher­heits­grün­den werde man über die Details der Reise erst infor­mie­ren, wenn die Delega­ti­on wohlbe­hal­ten zurück­ge­kehrt sei. Für Mittwoch­vor­mit­tag kündig­te Tsche­chi­ens Minis­ter­prä­si­dent Fiala ein Briefing auf dem Militär­flug­platz Prag-Kbely an.