LONDON (dpa) — Ist Deutsch eine Sprache für Eliten? Das ist jeden­falls die Meinung vieler Menschen in Großbri­tan­ni­en — und die hat Folgen: Das Inter­es­se nimmt seit Jahren ab. Die briti­sche Regie­rung schlägt Alarm.

Wer fünf Sprachen spricht, ist polyglott. Wer zwei spricht, ist bilin­gu­al. Und wer nur eine kann, ist Brite. Das ist ein — zugege­ben schlech­ter — Witz. Doch er hat einen wahren Kern, und der gefällt der briti­schen Regie­rung nicht: Das Inter­es­se an Fremd­spra­chen auf der Insel sinkt. Wählten 2005 noch fast 440.000 Schüle­rin­nen und Schülern bei ihren GCSE-Prüfun­gen — dem Pendant zur Mittle­ren Reife — eine Fremd­spra­che als Prüfungs­fach, waren es 2021 weniger als 300.000. Beson­ders im Fokus: Deutsch.

«Deutsch ist wieder einmal leicht zurück­ge­gan­gen, und es wäre an der Zeit, darüber nachzu­den­ken, wie dies am besten rückgän­gig gemacht werden kann», stell­te das Kultur­in­sti­tut British Council alarmiert fest. 2005 entschie­den sich noch mehr als 100.000 Jugend­li­che in ihren GCSE für Deutsch, 2021 waren es knapp 37.000. Der Trend bei den Älteren ist ähnlich. Für die A‑Levels — das briti­sche Abitur — wählten 2021 insge­samt 2507 Schüle­rin­nen und Schüler Deutsch. 2005 waren es mehr als doppelt so viele.

Für die Entwick­lung gebe es viele Gründe, heißt es beim Goethe-Insti­tut in London. So werde einer­seits die Fächer­aus­wahl immer größer. Da Deutsch im GCSE als schwie­rig empfun­den werde und Noten sowie Abschlüs­se im Durch­schnitt schlech­ter würden, bestehe anderer­seits wenig Anreiz für Schulen, Deutsch anzubie­ten. Das wirke sich auch auf die Anzahl der Deutsch-Lehre­rin­nen und ‑Lehrer aus.

Kein Deutsch an staat­li­chen Schulen

Einen leich­ten Anstieg gebe es zwar an Privat­schu­len. Doch das verstär­ke ledig­lich den Eindruck einer «elitä­ren» Sprache — weshalb staat­li­che Schulen kein Deutsch anbie­ten. Viele entschei­den sich eher für romani­sche Sprachen: Das Inter­es­se an Spanisch hat in den vergan­ge­nen Jahren deutlich zugelegt.

Wird im Verei­nig­ten König­reich in einigen Jahrzehn­ten kein Deutsch mehr gespro­chen? Auch die Zahl der Einwoh­ner in England und Wales, die Deutsch als ihre Mutter­spra­che bezeich­nen, ist stark zurück­ge­gan­gen, wie die Ergeb­nis­se der jüngs­ten Volks­be­fra­gung von 2021 ergeben haben. Waren es 2011 noch 77.240 Menschen, sank die Zahl bis 2021 auf 46.421. Das geht einher mit der Frage der natio­na­len Identi­tät: Etwa 85.000 Einwoh­ner bezeich­ne­ten sich ausschließ­lich als Deutsche, gut 20.000 weniger als noch 2011.

Das Statis­tik­amt ONS, das die Daten ermit­telt hat, konnte auf Anfra­ge keine Begrün­dung nennen. Beobach­ter halten einen Zusam­men­hang mit dem Brexit durch­aus für möglich. Wegen neuer, stren­ger Visavor­schrif­ten seit 2021 nimmt die Zahl der entsand­ten Fachkräf­te ab. In der Vergan­gen­heit hatte auch die Deutsche Schule London einge­räumt, sie habe wegen des Brexits Schüler verlo­ren und sehe weniger Nachfra­ge. Zudem gaben auch deutlich weniger Menschen an, Nieder­län­disch, Dänisch oder Schwe­disch als Mutter­spra­che zu haben als noch 2011.

Schluss­licht in Europa-Liga

Gegen einen Brexit-Zusam­men­hang spricht, dass andere EU-Sprachen zuleg­ten. Die Zahl der Italie­nisch- und Ungarisch-Mutter­sprach­ler verdop­pel­te sich jeweils fast, Griechisch nahm um rund die Hälfte zu.

Dennoch: Das Bildungs­mi­nis­te­ri­um in London will dringend gegen­steu­ern. «Deutsch­land ist die viert­größ­te Volks­wirt­schaft der Welt», sagte Schulen-Staats­se­kre­tär Nick Gibb kürzlich der Zeitung «Times». In einer globa­len Handels­na­ti­on wie Großbri­tan­ni­en seien Sprachen wichtig. «Und wir sind in Bezug auf Sprach­kennt­nis­se das Schluss­licht in der Europa-Liga», sagte Gibb. «Man muss in der Lage sein, die Sprache seiner Liefe­ran­ten und Kunden zu sprechen.»

Sogenann­te Language Hubs sollen — auch mit Hilfe des Goethe-Insti­tuts — von 2023 an etwa dazu beitra­gen, Fremd­spra­chen­leh­rer besser auszu­bil­den. Ein Schritt: Fremd­spra­chen in der GCSE-Prüfung könnten wieder Pflicht werden, das war 2004 abgeschafft worden. Ein Fehler, räumte Staats­se­kre­tär Gibb ein.

on Benedikt von Imhoff, dpa