CHANGSHA/TUCSON (dpa) — In manchen Ländern sind Mittags­schläf­chen üblich. Das Nicker­chen soll nicht nur gesund sein, so heißt es, sondern auch die Produk­ti­vi­tät ankur­beln. Stimmt das?

Während in Japan und Spani­en die Siesta Tradi­ti­on hat und auch im Silicon Valley immer belieb­ter wird, ist das Nicker­chen hierzu­lan­de — zumin­dest während eines Arbeits­ta­ges — weniger verbrei­tet. Dabei gilt das Schläf­chen am Tage als gut für Konzen­tra­ti­on, Kreati­vi­tät und Produk­ti­vi­tät. Doch einige Studi­en haben das positi­ve Image ins Wanken gebracht.

Wer regel­mä­ßig tagsüber ein kurzes Schläf­chen einle­ge, erhöhe sein Risiko für Bluthoch­druck und Schlag­an­fall: Mit dieser Beobach­tung erschreck­te kürzlich eine im Fachblatt «Hyper­ten­si­on» veröf­fent­lich­te Studie die Liebha­ber des Nicker­chens. Die chine­si­schen Autoren berich­te­ten anhand von Daten aus Großbri­tan­ni­en, dass häufi­ge oder regel­mä­ßi­ge Schläf­chen am Tag bei Erwach­se­nen mit einem um zwölf Prozent höheren Risiko für die Entwick­lung von Bluthoch­druck und einem um 24 Prozent höheren Risiko für einen Schlag­an­fall verbun­den waren — im Vergleich zu Menschen, die nie ein Nicker­chen machten.

Frühes Signal für Demenz?

Dabei fand sich unter den regel­mä­ßi­gen Tages­schlä­fern ein hoher Prozent­satz an Männern sowie Teilneh­mern mit niedri­gem Bildungs- und Einkom­mens­ni­veau und Perso­nen, die rauch­ten, täglich Alkohol tranken, an Schlaf­lo­sig­keit litten oder eher Nacht­men­schen waren.

Schlaf­for­scher Micha­el Grand­ner von der Univer­si­tät von Arizo­na betont in einem Kommen­tar, vermut­lich sei nicht der Mittags­schlaf selbst schäd­lich. Vielmehr würden viele Menschen, die sich tagsüber kurz hinleg­ten, dies aufgrund von Schlaf­man­gel in der Nacht tun: «Schlech­ter Nacht­schlaf geht mit einer schlech­te­ren Gesund­heit einher, und ein Nicker­chen reicht nicht aus, um dies auszugleichen.»

So bestä­ti­ge die Unter­su­chung frühe­re Studi­en­ergeb­nis­se, denen zufol­ge «mehr Nicker­chen ein erhöh­tes Risiko für Proble­me mit der Herzge­sund­heit und andere Proble­me wider­zu­spie­geln schei­nen». Zudem ergab kürzlich eine Studie, dass zuneh­men­de Mittags­schläf­chen ein frühes Signal für Demenz sein könnten — vor allem bei eigent­lich ausrei­chen­dem Nachtschlaf.

Wer profi­tiert?

Das ist aller­dings kein Grund, das Nicker­chen generell zu verteu­feln. Eine franzö­si­sche Studie ergab, dass dieses in sehr kurzer Form die Kreati­vi­tät steigern könnte. Griechi­sche Forschen­de beobach­te­ten zudem, dass eine halbe Stunde Mittags­schlaf sogar vor Herz-Kreis­lauf-Erkran­kun­gen schüt­zen könnte – aller­dings nur dann, wenn man diesen nicht mehr als ein- bis zweimal pro Woche einle­ge, wie eine Schwei­zer Unter­su­chung ergänzte.

Darüber hinaus schei­nen insbe­son­de­re Jünge­re vom Schläf­chen am Tag zu profi­tie­ren. So ergab eine US-Studie, dass dieses sich bei Teenagern positiv auf Konzen­tra­ti­on und Lernver­hal­ten auswir­ke. Das liege nicht zuletzt auch daran, dass diese häufig einen verscho­be­nen Schlaf­rhyth­mus hätten: Sie gingen spät ins Bett, müssten wegen der Schule aber früh aufstehen.

In vielen westli­chen Ländern sei das Nicker­chen indes oft verpönt, so Haupt­au­to­rin Xiaopeng Ji von der Univer­si­ty of Delaware. Dort würde das monopha­si­sche Schlaf­mus­ter als Zeichen geisti­ger Reife gelten: «In China ist die Zeit für ein Nicker­chen für viele Erwach­se­ne am Arbeits­platz und für Schüler in der Schule in den Zeitplan nach dem Mittag­essen integriert.»

Wunder­wir­kun­gen sollte man von einem Nicker­chen nicht erwar­ten, wie eine Studie der Michi­gan State Univer­si­ty nahelegt: Wie deren Autoren im Fachblatt «Sleep» schrei­ben, hat ein kurzer Mittags­schlaf kaum Nutzen für die kogni­ti­ven Fähig­kei­ten und würde vor allem eine Nacht mit schlech­tem Schlaf nicht ausglei­chen. «Wir fanden heraus, dass kurze Nicker­chen von 30 oder 60 Minuten keine messba­ren Auswir­kun­gen hatten», fasst Haupt­au­to­rin Kimber­ly Fenn zusammen.

Akkus wieder aufladen

Unabhän­gig davon, was ein Mittags­schlaf bewirkt, scheint das Bedürf­nis danach zum Teil genetisch bedingt. Das stell­ten zumin­dest Schlaf­me­di­zi­ner des Massa­chu­setts General Hospi­tal in einer großen Unter­su­chung fest. Wie sie im Fachma­ga­zin «Nature Commu­ni­ca­ti­ons» berich­ten, gebe es drei Typen, für die ein Nicker­chen beson­ders wichtig sei: zum einen Menschen, die sehr früh aufstün­den, sowie zum zweiten solche, die unter Schlaf­stö­run­gen litten. Für beide sei die kurze Schlaf­pau­se am Tag nötig, um die Akkus wieder aufzuladen.

Zum dritten gebe es auch Menschen, die genetisch bedingt mehr Schlaf bräuch­ten und sich daher auch am Tag gerne kurz aufs Ohr legten. «Das zeigt uns, dass das Schläf­chen am Tag biolo­gisch bedingt ist und nicht nur eine umwelt- oder verhal­tens­be­ding­te Entschei­dung», sagt Ko-Autor Hassan Saeed Dashti.

Aller­dings könnten auch gesund­heit­li­che Proble­me wie Bluthoch­druck oder ausge­präg­tes Überge­wicht zu überdurch­schnitt­li­cher Müdig­keit führen. Hier seien weite­re Unter­su­chun­gen zu den Ursachen nötig, die zudem einen stärke­ren Fokus auf indivi­du­el­le Ruhebe­dürf­nis­se legen könnten, so Physio­lo­gin Marta Garau­let, eine weite­re Ko-Autorin. «Zukünf­ti­ge Arbei­ten könnten helfen, perso­na­li­sier­te Empfeh­lun­gen für die Siesta zu entwickeln.»

Wer auf ein Nicker­chen verzich­ten sollte

Tatsäch­lich legen die bishe­ri­gen Studi­en zum Thema nahe, dass die optima­le Länge eines Mittags­schlafs sowie die Frage, ob dieser überhaupt nötig ist, vor allem von indivi­du­el­len Fakto­ren abhängt. Gerade Menschen, die nachts unter Schlaf­stö­run­gen leiden, sollten auf das Nicker­chen verzich­ten, da sie sonst am Abend noch später müde werden könnten.

Mit Blick darauf sollte man sich das Schläf­chen auch nicht zu spät am Tag gönnen und nicht zu lange ruhen: 20 bis 30 Minuten schei­nen ideal, um nicht in den REM-Schlaf abzuglei­ten und sich nach dem Aufwa­chen noch zerschla­ge­ner zu fühlen als vorher.

Und der erfri­schen­de Effekt des optima­len Schläf­chens könnte austra­li­schen Forschern zufol­ge durch einen überra­schen­den Trick noch gestei­gert werden: Wer vor dem Nicker­chen einen Kaffee trinke und seinen Wecker auf 20 Minuten stelle, wache genau mit dem Koffe­in-Boost wieder auf.

Von Alice Lanzke, dpa