ROM (dpa) — Eigent­lich wollte sie «tolle Kleider nähen». Doch dann entdeck­te Milva ihre Stimme. Die Italie­ne­rin mit der Feuer­mäh­ne wurde Sänge­rin und schaff­te die Gratwan­de­rung zwischen Schla­gern und Brecht.

Feuer­rot das Haar, rollen­des R, glanz­vol­le Auftrit­te in glitzern­den Roben. Die italie­ni­sche Schla­ger- und Chanson­sän­ge­rin Milva erfüll­te viele Klischees. Als Diva mit heraus­ra­gen­dem Talent wurde sie gefeiert.

Dazu der passen­de Name: «La Rossa», die Rote. Doch Milva passte der Titel nicht. «Ich bin keine Diva. Im Zusam­men­hang mit Marilyn Monroe ist das Wort sicher­lich angebracht, aber nicht bei mir», sagte sie einmal. Und dennoch wird sie als solche die Welt verlas­sen. Mit 81 Jahren ist sie am Freitag­abend in Mailand gestor­ben, wie ihre Sekre­tä­rin Edith Meier bestä­tig­te. Laut Milvas Tochter, war der Star seit länge­rem krank gewesen.

«Hurra, wir leben noch», sang sie in ihrem wohl bekann­tes­ten Song auf Deutsch. «Wie stark ist der Mensch? Wie viel Ängste, wie viel Druck kann er ertra­gen?» Es mochte ein kleiner Verweis auf ihr eigenes Leben sein, das Tiefen kannte.

Maria Ilva Biolca­ti kam am 17. Juli 1939 als Tochter einer Schnei­de­rin und eines Fischers in dem kleinen Ort Goro an der Adria­küs­te zur Welt. «Ich wollte nie Sänge­rin werden, das war absolut nicht mein Traum», sagte sie. «In Wirklich­keit bin ich in einem kleinen Dorf zur Welt gekom­men, wo die Leute eher einfach waren. Ich wollte zeich­nen, malen, nähen. Ich wollte Schnei­de­rin werden, tolle Kleider nähen.»

Doch Milva musste früh mit anpacken und Geld für die Familie verdie­nen, als ihr Vater seinen Besitz verlor. Sie zog nach Bologna und nahm an einem Gesangs­wett­be­werb teil. «Es war eine Möglich­keit, an Geld zu kommen.» Sie bekam eine Gesangs- und Schauspielausbildung.

Und mit der Karrie­re ging es bergauf. Sie nahm Dutzen­de Alben auf, sang auf Tourneen und auf Theater­büh­nen. Fast 20 Mal trat sie bei Itali­ens bedeu­tends­tem Schla­ger­fes­ti­val in Sanre­mo auf — aller­dings gewann sie nie.

Sie schaff­te den Sprung vom Schla­ger­star zur anerkann­ten Inter­pre­tin von Bertolt Brecht. Am Mailän­der Picco­lo Teatro war sie unter der Regie von Giorgio Streh­ler die Seeräu­ber­jen­ny in der «Dreigro­schen­oper». «Mit inten­si­ven Studi­en, sehr viel Mühe und unbeding­ter Willens­kraft lässt sich das errei­chen», erklär­te Milva, die Deutsch einmal ihre zweite Mutter­spra­che nannte.

Auch politisch sah sie sich auf einer Linie mit Brecht. Milva verste­he Brechts Lieder so gut, weil sie aus demsel­ben Milieu komme wie seine Figuren, soll Streh­ler gesagt haben. Aller­dings wandte sich die Italie­ne­rin letzt­lich enttäuscht von der Politik und den Sozia­lis­ten ab.

Die Welt der Schla­ger ließ sie hinge­gen nie los. Zusam­men mit Al Bano trat sie bei der «ZDF-Hitpa­ra­de» auf, auch in der DDR beglück­te sie in den 80er Jahren ihre Fans. Gleich­zei­tig warte­te sie mit Inter­pre­ta­tio­nen von Edith-Piaf-Chansons und Zarah-Leander-Stücken auf, gab Opern-Gastspie­le, unter anderem an der Mailän­der Scala. 2006 bekommt Milva das Bundesverdienstkreuz.

Privat ging es dagegen nicht immer bergauf. Mit 21 heira­te­te sie den damals 44 Jahre alten Mauri­zio Corgna­ti. Ihre Tochter Marti­na kam zur Welt, die sie zunächst vor allem als «Rivalin» empfun­den habe, sagte Milva später. Sie sei selbst noch ein Mädchen gewesen. Später habe sie bereut, dass sie «keine großar­ti­ge Mutter» gewesen sei und ihre Tochter oft allei­ne gelas­sen habe. Sie sei selbst ängst­lich gewesen und habe, bis sie 17 war, geglaubt, «dass nachts der Tod kommt und mich holt». «Ich war immer bei meiner Mama im Bett.»

Sie stürz­te in eine tiefe Depres­si­on, hatte unglück­li­che Bezie­hun­gen, musste in Behand­lung. Letzt­lich habe sie sich aber aus dem Tief gekämpft und Stabi­li­tät gewon­nen, erzähl­te sie.

In einem Inter­view 2010 im italie­ni­schen Fernse­hen sprach sie von gesund­heit­li­chen Proble­men, die sie davon abhiel­ten, weiter aufzu­tre­ten. Ihre Karrie­re erklär­te sie damals zwar für beendet, gelegent­li­che Auftrit­te gab es dennoch auch danach noch. Bis zuletzt wohnte sie in ihrem Haus im Zentrum der italie­ni­schen Metro­po­le Mailand. 

Von Annet­te Reuther, dpa