BERLIN (dpa) — Über die Wehrpflicht wird neuer­dings wieder viel disku­tiert. Die Sorge, dass Deutsch­land in einen Krieg hinein­ge­zo­gen werden könnte, ist groß — die Kampf­be­reit­schaft der Zivil­be­völ­ke­rung ist es nicht.

Im Falle eines militä­ri­schen Angriffs auf Deutsch­land wäre laut einer Umfra­ge gut jeder zehnte Bundes­bür­ger darauf einge­stellt, sein Land mit der Waffe in der Hand zu vertei­di­gen. Freiwil­lig würden sich in so einem Fall aller­dings ledig­lich fünf Prozent der Deutschen zum Kriegs­dienst melden, wie die Ergeb­nis­se einer reprä­sen­ta­ti­ven Umfra­ge des Meinungs­for­schungs­in­sti­tuts YouGov im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur zeigen.

Weite­re sechs Prozent der Erwach­se­nen erwar­ten, dass sie im Kriegs­fall einbe­ru­fen und gegebe­nen­falls für die Landes­ver­tei­di­gung ausge­bil­det würden. Jeder Dritte (33 Prozent) würde laut Umfra­ge versu­chen, sein gewohn­tes Leben so weit wie möglich weiter zu führen. Fast jeder vierte Deutsche (24 Prozent) würde im Kriegs­fall so schnell wie möglich das Land verlassen.

«Was glauben Sie, würden Sie am ehesten tun?»

Die Frage, die 2000 wahlbe­rech­tig­ten Erwach­se­nen von den Meinungs­for­schern vorge­legt wurde, laute­te: «Einmal angenom­men, es würde sich ein militä­ri­scher Angriff auf Deutsch­land abzeich­nen, vergleich­bar mit dem im Febru­ar 2022 begon­ne­nen russi­schen Angriff auf die Ukrai­ne. Was glauben Sie, würden Sie persön­lich in einer solchen Situa­ti­on am ehesten tun?»

Gut jeder Zehnte (11 Prozent) gab an, er würde sich freiwil­lig melden, ander­wei­tig als im Kriegs­dienst zu helfen, bezie­hungs­wei­se zu unter­stüt­zen. Vier Prozent der Teilneh­mer schlu­gen andere Handlungs­mög­lich­kei­ten vor. 18 Prozent der Bürge­rin­nen und Bürger hatten zu der Frage­stel­lung entwe­der keine Meinung oder machten aus anderen Gründen keine Angaben.

Jünge­re würden tenden­zell eher fliehen

Für die Option, das eigene Land im Kriegs­fall zu verlas­sen, entschie­den sich etwas mehr junge Menschen als Ältere. Die Bereit­schaft mitzu­hel­fen, wenn auch nicht mit der Waffe in der Hand, ist laut Umfra­ge bei den über 60-Jähri­gen, für die ein Kampf­ein­satz teils aus gesund­heit­li­chen Gründen ohnehin nicht infra­ge käme, stärker ausge­prägt als bei den Jüngeren.

Signi­fi­kan­te Unter­schie­de zwischen Deutschen in Ost und West stell­ten die Meinungs­for­scher nicht fest. Männer und Menschen, die angaben, bei der Bundes­tags­wahl 2021 die Grünen gewählt zu haben, waren etwas stärker geneigt, sich bei dem genann­ten Angriffs­sze­na­rio freiwil­lig für den Dienst an der Waffe zu melden als Frauen und Anhän­ger anderer Parteien.

Menschen, die wissen, wie man eine Schuss­waf­fe gebraucht, sind laut Umfra­ge etwas selte­ner als der Durch­schnitt geneigt, Deutsch­land im Falle eines Angriffs­kriegs zu verlas­sen. Die Bereit­schaft, sich freiwil­lig zum Kriegs­dienst zu melden, ist bei ihnen auch niedrig, aber immer­hin mehr als doppelt so hoch wie bei denje­ni­gen, die nicht schie­ßen können.

Den Umgang mit einer Schuss­waf­fe beherrscht laut Umfra­ge etwas mehr als jeder fünfte deutsche Staats­bür­ger: Auf die Frage ob sie den Umgang mit der Waffe erlernt hätten, beispiels­wei­se im beruf­li­chen Kontext, für die Jagd, als Sport­schüt­ze oder während des Wehrdiens­tes, antwor­te­ten 23 Prozent der Teilneh­mer mit «Ja» und 74 Prozent mit «Nein». Drei Prozent der Befrag­ten machten keine Angaben.

Debat­te um Wehrpflicht

Darüber, ob die seit 2011 ausge­setz­te Wehrpflicht — in der einen oder anderen Form — wohl in den kommen­den zehn Jahren wieder reakti­viert wird, sind die Deutschen geteil­ter Ansicht. Immer­hin sind davon, dass es so kommen wird, mehr Menschen überzeugt als vom Gegen­teil. 42 Prozent der befrag­ten Wahlbe­rech­tig­ten gehen davon aus, dass der Wehrdienst wieder verpflich­tend werden wird. 37 Prozent der Deutschen glauben das nicht. 21 Prozent der Befrag­ten trauten sich kein Urteil zu oder wollten nichts dazu sagen.

Vertei­di­gungs­mi­nis­ter Boris Pisto­ri­us (SPD) hatte die Ausset­zung der Wehrpflicht durch die schwarz-gelbe Bundes­re­gie­rung im Jahr 2011 jüngst als Fehler bezeich­net — zugleich aber betont, dieser lasse sich nicht «mal eben so im Handum­dre­hen» zurückholen.

Dass die Angst der deutschen Bevöl­ke­rung vor einer militä­ri­schen Konfron­ta­ti­on seit Febru­ar 2022 deutlich gestie­gen ist, verdeut­licht beispiels­wei­se der am Diens­tag veröf­fent­lich­te «Sicher­heits­re­port 2023», den das Meinungs­for­schungs­in­sti­tut Allens­bach gemein­sam mit dem Centrum für Strate­gie und Höhere Führung veröf­fent­licht hatte. Danach macht der Krieg in der Ukrai­ne 85 Prozent der Menschen hierzu­lan­de große Sorgen. 63 Prozent der Bevöl­ke­rung befürch­tet inzwi­schen, dass Deutsch­land in militä­ri­sche Konflik­te hinein­ge­zo­gen werden könnte. Bei der Befra­gung ein Jahr zuvor hatten noch deutlich weniger Menschen — 37 Prozent — diese Sorge geäußert.

Von Anne-Beatri­ce Clasmann, dpa