BERLIN (dpa) — Wegen ihrer Protest­ak­ti­on gegen den Ukrai­ne-Krieg im russi­schen Fernse­hen wurde sie als Heldin gefei­ert. Jetzt fürch­tet die Journa­lis­tin Marina Owssjan­ni­ko­wa um ihr Leben.

Die russi­sche TV-Journa­lis­tin, die während der Nachrich­ten im Staats­fern­se­hen mit einem Plakat gegen Russlands Krieg in der Ukrai­ne protes­tiert hat, will trotz Angst um ihre Sicher­heit ihr Land nicht verlassen.

«Wir werden in Russland bleiben», sagte Marina Owssjan­ni­ko­wa in einem Inter­view des «Spiegel» über sich und ihre beiden Kinder — sie hat einen 17 Jahre alten Sohn und eine 11 Jahre alte Tochter. Zwar mache sie sich große Sorgen, aber: «Ich bin Patrio­tin, mein Sohn (ist) ein noch viel größe­rer. Wir wollen auf keinen Fall weg, nirgend­wo hin auswan­dern.» Dabei wisse sie: «Mein Leben hat sich für immer verän­dert, das begrei­fe ich erst langsam. Ich kann nicht mehr zurück in mein altes Leben.»

Die Redak­teu­rin des russi­schen Staats­fern­se­hens hatte am Montag­abend in den Haupt­nach­rich­ten des Ersten Kanals ein Protest­pla­kat gegen den Krieg in der Ukrai­ne in die Kamera gehal­ten. Auf dem Plakat war auch zu lesen, dass die Zuschau­er «hier belogen» werden. Zudem bezeich­ne­te Owssjan­ni­ko­wa den russi­schen Angriff auf die Ukrai­ne in einem separat aufge­nom­me­nen Video als Verbre­chen. In russi­schen Staats­me­di­en ist es unter­sagt, von einem Krieg zu sprechen. Die Staats­füh­rung nennt das Vorge­hen im Nachbar­land eine «militä­ri­sche Spezi­al­ope­ra­ti­on» zur «Entmi­li­ta­ri­sie­rung» und zur «Entna­zi­fi­zie­rung» der Ukraine.

Derzeit verste­cke sie sich bei Freun­den, sagte Owssjan­ni­ko­wa dem «Spiegel». Sie habe große Angst vor den Folgen ihres Handelns und bange um ihre Sicher­heit. Aber sie «habe bereits den Punkt überschrit­ten, an dem es kein Zurück mehr gibt», sagt die Journa­lis­tin. «Ich kann nun offen und öffent­lich so sprechen.» Zum Zeitpunkt ihrer Protest­ak­ti­on habe sie nicht an die weitrei­chen­den Konse­quen­zen gedacht, sagte Owssjan­ni­ko­wa. «Sie werden mir nun bewusst. Jeden Tag mehr und mehr», sagte die 44-Jährige.

Owssjan­ni­ko­wa war für ihre Aktion bereits am Diens­tag zu einer Geldstra­fe von 30 000 Rubel, rund 226 Euro, verur­teilt worden. Mögli­cher­wei­se droht ihr aber noch eine weite­re Strafe: Es seien Ermitt­lun­gen wegen der angeb­li­chen Verbrei­tung von Lügen über Russlands Streit­kräf­te aufge­nom­men worden, melde­te die Staats­agen­tur Tass unter Berufung auf eine Quelle bei den Ermitt­lungs­be­hör­den. Befürch­tet wurde, dass Owssjan­ni­ko­wa doch noch nach dem neuen Medien­ge­setz belangt werden könnte, das bis zu 15 Jahre Haft vorsieht.

Das Bewusst­sein für eine Reali­tät jenseits der offizi­el­len Sicht der russi­schen Staats­füh­rung habe sie auch im Umgang mit Auslands­nach­rich­ten und auslän­di­schen Medien entwi­ckelt. «Ich verste­he, dass jeder Staat für seine Inter­es­sen kämpft, wir uns in einem Infor­ma­ti­ons­krieg befin­den», sagte die Journa­lis­tin. «In unserem Land hatte die Staats­pro­pa­gan­da aber schon vor dem Krieg in der Ukrai­ne schreck­li­che Formen angenom­men. Jetzt mit Beginn des Krieges ist es unmög­lich, die Propa­gan­da zu ertragen.»

Nach ihrer Aktion werde ihr Leben nun «ganz anders» werden, meint Owssjan­ni­ko­wa, auch wenn sie nicht wisse, was wird. «Planen kann sowie­so niemand mehr.» Der russi­sche Krieg gegen die Ukrai­ne habe «alle Pläne zerstört».