BERLIN (dpa) — Manche stören sich am vielen Englisch im Deutschen, andere sehen es als Berei­che­rung. Eine Wissen­schafts­ju­ry lobt nun erneut einen in der Corona-Krise gepräg­ten Anglizismus.

Das Verb «boostern» ist zum Angli­zis­mus des Jahres 2021 gekürt worden. Die Jury um den Sprach­wis­sen­schaft­ler Prof. Anatol Stefa­no­witsch von der Freien Univer­si­tät Berlin lobte die Schnel­lig­keit, mit der es eine Lücke im Wortschatz gefüllt habe, und die Leich­tig­keit, mit der das Wort im gramma­ti­schen System des Deutschen seinen Platz finde.

Das Verb «boostern» bezeich­net im Deutschen das Auffri­schen einer Corona-Schutz­imp­fung. Dabei unter­schei­de es sich in mehrfa­cher Hinsicht von der im Deutschen bereits vorhan­de­nen Formu­lie­rung «eine Auffri­schungs­imp­fung geben/erhalten», teilte die Initia­ti­ve «Angli­zis­mus des Jahres» am Diens­tag mit — sie würdigt seit 2010 jährlich den ihrer Ansicht nach «positi­ven Beitrag des Engli­schen zur Entwick­lung des deutschen Wortschatzes».

Erstens bezie­he sich «boostern» im Unter­schied zu «eine Auffri­schungs­imp­fung geben/erhalten» spezi­ell auf Impfun­gen gegen das Corona­vi­rus Sars-CoV‑2 und ermög­li­che in der Pande­mie eine knappe und trotz­dem eindeu­ti­ge Kommu­ni­ka­ti­on. «Zweitens liegt die Betonung bei boostern auf der Vergäng­lich­keit des Impfschut­zes — geboos­tert sind wir nur, solan­ge die Schutz­wir­kung der Auffri­schungs­imp­fung noch ausrei­chend hoch ist», erläu­ter­te die Initia­ti­ve. «Drittens hat das Wort einen optimis­ti­schen und dynami­schen Beiklang, an den die Auffri­schung einfach nicht heranreicht.»

Anders als das aus dem Engli­schen entlehn­te Substan­tiv «Booster» sei das Verb «boostern» wahrschein­lich eine deutsche Eigen­krea­ti­on, erklär­te die Initia­ti­ve. Das Substan­tiv «booster shot» für «Verstär­ker-Impfung» tauche im Engli­schen schon Mitte der 1940er Jahre auf, die verkürz­te Form «booster» in den 60er Jahren. Das dazu gehören­de Verb sei aber «to boost». Zwar gebe es eine Neben­form «to booster» — sie sei aber vor Januar 2022 verschwin­dend selten vorge­kom­men und könne somit nicht Vorbild für das deutsche «boostern» gewesen sein.

«Seit Anfang Januar findet sich auch das Verb “to booster” häufi­ger im Engli­schen — die deutsche Sprach­ge­mein­schaft hat hier also deutlich vor der engli­schen Sprach­ge­mein­schaft ein Poten­zi­al des Engli­schen erkannt und für sich genutzt», stellt die Jury heraus.

Die Corona-Krise hatte bereits die «Angli­zis­mus des Jahres»-Kür für das Jahr 2020 geprägt. Die Wahl fiel damals auf den für Schlie­ßun­gen üblich gewor­de­nen Begriff «Lockdown». Für das Jahr 2019 hatte sich die Jury für den Ausdruck «… for future» (wie bei «Fridays for Future») entschie­den. Davor ging der Titel etwa an «Gender­stern­chen» (2018), «Fake News» (2016) oder «Shits­torm» (2011).

Der Wortschatz des Deutschen habe sich im Zuge der Corona-Pande­mie «mit einer nur selten zu beobach­ten­den Geschwin­dig­keit erwei­tert», heißt es von der Initia­ti­ve. Diese Tendenz habe sich fortge­setzt. In die engere Auswahl und somit auf die Short­list hätten es neben dem Sieger «boostern» diesmal auch die Wörter «Long Covid» und «QR-Code» geschafft. Als Bezeich­nung für «die in abseh­ba­rer Zukunft wahrschein­lich gesell­schaft­lich wichtigs­te chroni­sche Krank­heit» habe «Long Covid» gute Aussich­ten, sogar Angli­zis­mus des Jahrzehnts zu werden, teilte die Sprach­initia­ti­ve mit.

Darüber hinaus seien noch zwei Wörter ohne Corona-Bezug auf der Short­list gewesen: «cringe» und «woke». Das Adjek­tiv «woke» stamme ursprüng­lich aus der schwar­zen US-Bürger­rechts­be­we­gung der 1960er Jahre und sei verwen­det worden, um Menschen zu bezeich­nen, die rassis­ti­sche gesell­schaft­li­che Struk­tu­ren erkannt hatten — oft in der Auffor­de­rung «Stay woke!» (zu Deutsch: «Bleib wach!»). Im Zuge der Black-Lives-Matter-Bewegung sei es «vom konser­va­ti­ven Feuil­le­ton in Deutsch­land und anders­wo als Synonym für den in die Jahre gekom­me­nen Kampf­be­griff politi­cal­ly correct entdeckt» worden.

Das Adjek­tiv «woke» werde nun vorran­gig als Fremd­be­schrei­bung verwen­det, «um sich über Menschen lustig zu machen, die auf gesell­schaft­li­che Missstän­de hinwei­sen», erläu­tert die Initia­ti­ve. «Cringe» bezeich­ne ein inten­si­ves Gefühl der Fremd­scham. Bei der vom Langen­scheidt-Verlag veran­stal­te­ten Wahl zum «Jugend­wort des Jahres 2021» hatte der Begriff «cringe» — anders als nun bei der Angli­zis­mus-Kür — sogar gewonnen.

Neben dem «Angli­zis­mus des Jahres» der gleich­na­mi­gen Wissen­schafts­in­itia­ti­ve und dem «Jugend­wort des Jahres» vom Langen­scheidt-Verlag werden in Deutsch­land auch noch das «Wort des Jahres» und das «Unwort des Jahres» gekürt. Die Gesell­schaft für deutsche Sprache hatte «Wellen­bre­cher» zum Wort des Jahres 2021 gewählt — der Begriff steht für Maßnah­men im Kampf gegen eine Corona-Welle.

Zum Unwort des Jahres 2021 bestimm­te eine sprach­kri­ti­sche Aktion kürzlich den Begriff «Pushback». Er steht für «die Praxis von Europas Grenz­trup­pen, Flüch­ten­de an der Grenze zurück­zu­wei­sen und am Grenz­über­tritt zu hindern», wie die aus Sprach­wis­sen­schaft­le­rin­nen und ‑wissen­schaft­lern sowie einer Journa­lis­tin bestehen­de Jury erläu­tert hatte.

Von Micha­el Kieffer, dpa