Nicht jeder Straf­tä­ter kommt als neuer Mensch aus dem Gefäng­nis. Einige behält die Justiz über eine elektro­ni­sche Fußfes­sel im Blick. Nun hat das Verfas­sungs­ge­richt die Praxis unter die Lupe genommen.

KARLSRUHE (dpa) — Verur­teil­te Straf­tä­ter, von denen nach der Haft immer noch Gefahr ausgeht, dürfen weiter per elektro­ni­scher Fußfes­sel überwacht werden.

Das Bundes­ver­fas­sungs­ge­richt wies die Klagen eines Mörders und eines Verge­wal­ti­gers ab, wie in Karls­ru­he mitge­teilt wurde. Die Überwa­chung greife zwar tief in Grund­rech­te ein. Da die Einschrän­kun­gen dem Schutz anderer Menschen dienten, seien sie aber zumut­bar und gerecht­fer­tigt. (Az. 2 BvR 916/11 u.a.)

Die Möglich­keit, Straf­tä­ter nach der Haft zum Tragen einer Fußfes­sel zu verpflich­ten, gibt es seit 2011. Sie wurde einge­führt, weil damals wegen eines Urteils des Straß­bur­ger Menschen­rechts­ge­richts­hofs Perso­nen aus der Siche­rungs­ver­wah­rung entlas­sen werden mussten, die noch als gefähr­lich galten. Einige wurden von der Polizei rund um die Uhr bewacht. Die Fußfes­sel sollte das überflüs­sig machen.

Das Kästchen am Knöchel funktio­niert mit Satel­li­ten­si­gnal (GPS). So lässt sich jeder­zeit heraus­fin­den, wo sich der Träger aufhält. Die Bewegun­gen dürfen aber nur einge­se­hen werden, wenn in der zentra­len Überwa­chungs­stel­le im hessi­schen Weiter­stadt Alarm ausge­löst wird.

Das passiert, wenn der Träger die Fessel mit Gewalt öffnet oder eine festge­leg­te Zone verbo­te­ner­wei­se verlässt oder betritt. In den aller­meis­ten Fällen braucht das Gerät aber nur frischen Strom. Die Mitar­bei­ter der Überwa­chungs­stel­le rufen dann den Träger auf dem Handy an. Wenn es nötig ist, alarmie­ren sie die Polizei.

Die Fußfes­sel ist vor allem für verur­teil­te Gewalt- und Sexual­straf­tä­ter gedacht. 2017 wurde die Regelung ausge­wei­tet. Seither können auch Extre­mis­ten überwacht werden, die zum Beispiel wegen der Vorbe­rei­tung eines Terror­an­schlags in Haft saßen.

Der eine Karls­ru­her Kläger hatte 1990 in Neubran­den­burg (Mecklen­burg-Vorpom­mern) eine Bekann­te misshan­delt, sie zum Sex genötigt, mit einem Bajonett auf sie einge­sto­chen und sie schließ­lich in einem See ertränkt. Der zweite Kläger hatte mehre­re Frauen verge­wal­tigt, darun­ter eine schwan­ge­re Arbeits­kol­le­gin und eine 15-Jähri­ge. Beide Männer wurden nach ihrer Freilas­sung aus dem Gefäng­nis 2011 von Gerich­ten in Rostock zum Tragen einer Fußfes­sel verpflichtet.

Ihre Verfas­sungs­be­schwer­den begrün­de­ten sie unter anderem damit, dass sie durch die Fußfes­sel als «Schwerst­ver­bre­cher» gebrand­markt und sowohl in ihrem Intim­le­ben als auch beim Sport stark einge­schränkt seien. Außer­dem beklag­ten sie, dass die kurzen Akku-Laufzei­ten es ihnen schwer­mach­ten, einer geregel­ten Arbeit nachzugehen.

Für die Richte­rin­nen und Richter des Zweiten Senats recht­fer­tigt hier aber sozusa­gen der Zweck die Mittel. Der Grund­rechts­ein­griff stehe «nicht außer Verhält­nis zu dem Gewicht der Rechts­gü­ter, deren Schutz die elektro­ni­sche Aufent­halts­über­wa­chung bezweckt». Die Kontroll­dich­te sei auch «nicht derart umfas­send, dass sie nahezu lücken­los alle Bewegun­gen und Lebens­äu­ße­run­gen erfasst und die Erstel­lung eines Persön­lich­keits­pro­fils ermöglicht».

Bei der Entschei­dung spiel­te auch eine Rolle, dass die Daten nach spätes­tens zwei Monaten gelöscht werden müssen und sich das Gerät ohne größe­re Schwie­rig­kei­ten unter der Kleidung verste­cken lässt. Von einer generel­len «Stigma­ti­sie­rungs­wir­kung» könne keine Rede sein.

Die beiden Verfas­sungs­be­schwer­den wurden 2011 und 2012 einge­reicht, waren also außer­ge­wöhn­lich lange beim Gericht in Bearbei­tung. Seither wurde die Regelung nicht nur auf verur­teil­te Extre­mis­ten und Terro­ris­ten ausge­wei­tet. Inzwi­schen darf das Bundes­kri­mi­nal­amt per Fußfes­sel auch sogenann­te Gefähr­der überwa­chen, um Anschlä­ge zu verhin­dern. Auch die Polizei­ge­set­ze einiger Länder sehen einen solchen vorsorg­li­chen Einsatz vor. Ob das verfas­sungs­ge­mäß ist, wurde im aktuel­len Verfah­ren nicht geprüft. Es ging ausschließ­lich um die Fußfes­sel für entlas­se­ne Straf­tä­ter (§ 68b Strafgesetzbuch).