DOHA/BRÜSSEL (dpa) — Katar steht für klima­ti­sier­te Moder­ne und Aufbruch im Eiltem­po. Die dort laufen­de Fußball-WM wird aber von negati­ven Schlag­zei­len beglei­tet, nun kommen Vorwür­fe zur illega­len Einfluss­nah­me in Brüssel hinzu.

Eigent­lich hätte es für Katar ein gutes Jahr werden können: Gastge­ber der Fußball-WM und damit wochen­lang im Fokus der Weltöf­fent­lich­keit, dazu zahlungs­star­ke Regie­run­gen, die der Führung in Doha wegen seiner Gasvor­kom­men den Hof machen.

Außer­dem eine wachsen­de Rolle als Vermitt­ler bei inter­na­tio­na­len Konflik­ten, etwa durch seine Kontak­te zu radika­len Gruppen wie Hamas und Taliban sowie zum Iran. Das Emirat am Persi­schen Golf, hätte man meinen können, war auf dem Weg nach oben.

Mit dem Korrup­ti­ons­skan­dal im EU-Parla­ment scheint der Höhen­flug in einer Art Bauch­lan­dung zu enden. Im Raum steht, dass Katar dort mit Geld- und Sachge­schen­ken versucht haben soll, Einfluss auf politi­sche Entschei­dun­gen zu nehmen. Auch wenn die Vorwür­fe, die Katar bestrei­tet, nicht bestä­tigt sind: Nach vielen negati­ven Schlag­zei­len rund um die Weltmeis­ter­schaft in Katar — zur Lage der Menschen­rech­te, den Arbeits­mi­gran­ten, den Korrup­ti­ons­vor­wür­fen bei der WM-Verga­be — dürfte das Image einen noch tiefe­ren Kratzer bekom­men haben.

Katar, das steht für Aufbruch im Eiltem­po, für klima­ti­sier­te Moder­ne und Wolken­krat­zer, wo noch vor 100 Jahren vor allem Wüsten­völ­ker lebten. Die Staats­kas­sen füllt das Land, das mit dem sogenann­ten North Field über das größte Gasfeld weltweit verfügt, vor allem durch Langzeit­ver­trä­ge für die Liefe­rung von Flüssig­erd­gas (LNG) unter anderem nach Asien. Russlands Angriffs­krieg auf die Ukrai­ne und die damit verbun­de­ne Energie­kri­se ließ die Nachfra­ge noch kräftig steigen.

Zu fast überpro­por­tio­nal hohem Ansehen gelangt

Auch inter­na­tio­nal ist Katar, eine Halbin­sel etwa viermal so groß wie das Saarland, zu fast überpro­por­tio­nal hohem Ansehen gelangt. Doha vermit­tel­te den — wenn auch später katastro­phal verlau­fe­nen — US-geführ­ten Truppen­ab­zug aus Afgha­ni­stan und nahm 60.000 Evaku­ier­te vorüber­ge­hend auf. Die USA, die in Katar ihre größte Militär­ba­sis im Nahen Osten unter­hal­ten, verleg­ten ihre Botschaft nach Doha und lassen sich in Afgha­ni­stan durch die Katarer vertre­ten. Nachdem 2021 eine jahre­lan­gen Blocka­de durch Saudi-Arabi­en und Verbün­de­te endete, ist das Emirat auch regio­nal gestärkt. Im Konflikt des Westens mit dem Iran ist Doha ebenfalls ein wichti­ger Ansprechpartner.

Aber die Öffent­lich­keits­ar­beit steck­te dabei «in den letzten Jahren noch in den Kinder­schu­hen», sagt Exper­te Guido Stein­berg von der Stiftung Wissen­schaft und Politik im Deutsch­land­funk. PR-Firmen seien spät engagiert worden. Wenn die katari­sche Führung oder deren Diplo­ma­ten wirklich glaub­ten, dass sie durch Geldge­schen­ke Einfluss in Europa erkau­fen könnten, sei das ein «Hinweis auf große politi­sche Dummheit», sagt Stein­berg. Womög­lich wüssten sie einfach nicht, wie politi­sche Einfluss­nah­me in Brüssel abläuft.

Dort greift nach dem ersten Schock auch das Misstrau­en um sich. Der franzö­si­sche Sozial­de­mo­krat Raphaël Glucks­mann schrieb auf Twitter bereits, das aufge­deck­te Netzwerk sei überwäl­ti­gend. «Und das ist wahrschein­lich erst der Anfang…» Die gesam­ten Bezie­hun­gen der Europäi­schen Union zu Katar dürften auf den Prüfstand gestellt werden. Jeder Kontakt wird im Nachhin­ein argwöh­nisch begutachtet.

So etwa die zahlrei­chen Treffen des Vize-Präsi­den­ten der EU-Kommis­si­on Marga­ri­tis Schinas. Der Grieche ist in der Behör­de unter anderem für Sport zustän­dig, traf in dieser Funkti­on zuletzt regel­mä­ßig katari­sche Regie­rungs­ver­tre­ter — und lobte die Refor­men und Fortschrit­te des Landes etwa bei Arbeit­neh­mer­rech­ten. Die franzö­si­sche Frakti­ons­chefin der Linken forder­te angesichts derlei «Lobes­hym­nen», die Verbin­dun­gen zwischen Katar und den Mitglie­dern anderer EU-Insti­tu­tio­nen zu überprüfen.

Schinas weist Kritik zurück

Schinas wieder­um hält die Kritik für unbegrün­det. «Alle meine öffent­li­chen Äußerun­gen zu Katar, jedes einzel­ne Wort, sind zu hundert Prozent mit der Politik der Kommis­si­on verein­bar», sagte er unlängst. «Das ist die Europäi­sche Kommis­si­on. Wir impro­vi­sie­ren nicht, wir erfin­den keine Positio­nen.» Als Geschen­ke von katari­schen Regie­rungs­ver­tre­tern habe er einen Fußball und eine Schach­tel Prali­nen erhal­ten, die er seinem Fahrer überlas­sen habe; außer­dem einige WM-Souvenirs.

Wichti­ge Gasab­kom­men mit Katar würden sicher nicht gekippt, weil das Land «irgend­wel­che obsku­ren Politi­ker in Brüssel mögli­cher­wei­se hat bestechen lassen», sagt Exper­te Stein­berg. In eine ähnli­che Richtung äußer­te sich am Diens­tag­abend Bundes­wirt­schafts­mi­nis­ter Robert Habeck (Grüne), der erklär­te, die mutmaß­li­che Bestechung von EU-Politi­kern und das Thema Gasein­käu­fe seien «zwei verschie­de­ne Sachen».

Auch bei der Fußball-WM werde der Nutzen für Wirtschaft und Image trotz vieler Kritik langfris­tig überwie­gen, meint Robert Mogiel­ni­cki von der US-Denkfa­brik AGSIW, etwa für den Touris­mus und andere große Vorha­ben in der Zukunft. Berich­ten zufol­ge plant das Land bereits eine Bewer­bung, im Jahr 2036 die Olympi­schen Spiele auszurichten.

Von Johan­nes Sadek und Michel Winde, dpa