STUTTGART (dpa/lsw) — Sie böllern auf tradi­tio­nel­len Festen oder stopfen für die Jagd Pulver in ihre Patro­nen­hül­sen: Tausen­de Menschen im Land dürfen mit Schwarz­pul­ver und Co. umgehen. Die Grünen kriti­sie­ren zu laxe Regeln — und fürch­ten vor allem Spreng­stoff in Händen von Verfassungsfeinden.

Immer mehr Menschen im Südwes­ten dürfen Spreng­stoff besit­zen. Im Jahr 2022 waren 14 785 Menschen im Besitz einer sogenann­ten Spreng­stoff­er­laub­nis. Das geht aus einer Antwort des Umwelt­mi­nis­te­ri­ums an den Grünen-Innen­po­li­ti­ker Oliver Hilden­brand hervor, die der Deutschen Presse-Agentur vorliegt. Die Jahre zuvor lag der Wert niedri­ger, 2021 waren es etwa 14 560. Hilden­brand findet die Zahl besorg­nis­er­re­gend. Er fordert eine entspre­chen­de Verschär­fung des Waffen- wie des Spreng­stoff­ge­set­zes. Jeder, der eine Spreng­stoff­er­laub­nis beantra­ge, solle nach dem Willen der Grünen-Frakti­on künftig ein psycho­lo­gi­sches Gutach­ten vorlegen.

Das Minis­te­ri­um fragte für die Erhebung die Regie­rungs­prä­si­di­en und örtli­chen Polizei­be­hör­den im Land ab. In den vergan­ge­nen fünf Jahren wurde demnach nur in zwei Dutzend Fällen die Ertei­lung einer Spreng­stoff­er­laub­nis unter­sagt. Knapp 50 Mal wurden im Zeitraum von 2018 bis 2022 Erlaub­nis­se wider­ru­fen. In den Landkrei­sen Rems-Murr, Orten­au und Hohen­lo­se entzog man dabei Reichs­bür­gern die Spreng­stoff­li­zenz. In den Kreisen Reutlin­gen und Rottweil wurden drei Inhaber einer solchen Erlaub­nis als verfas­sungs­feind­li­che Reichs­bür­ger einge­stuft — das Verfah­ren zum Wider­ruf sei dort einge­lei­tet worden, aber nicht abgeschlossen.

Man müsse neben dem Waffen­ge­setz das Spreng­stoff­ge­setz stärker in den Blick nehmen und die «Sicher­heits­plan­ken» nochmal erhöhen, sagte Hilden­brand. «Wir können zwar nieman­dem in den Kopf gucken», sagte er. «Aber wir können verlan­gen, dass alle, die eine waffen- oder spreng­stoff­recht­li­che Erlaub­nis anstre­ben, ihre psychi­sche Eignung nachwei­sen müssen.» Die Vorla­ge eines entspre­chen­den Gutach­tens sollte zur Überprü­fung der persön­li­chen Eignung immer dazu gehören.

Das Innen­mi­nis­te­ri­um wollte zu der Forde­rung der Grünen keine Stellung bezie­hen — das Spreng­stoff­recht liege im Geschäfts­be­reich des Umwelt­mi­nis­te­ri­ums, sagte ein Sprecher. Das Minis­te­ri­um verwies auf die Novel­lie­rung des Spreng­stoff­ge­set­zes, die der Bund für die laufen­de Legis­la­tur­pe­ri­ode angekün­digt habe. Im Rahmen der Novel­lie­rung solle disku­tiert werden, ob zukünf­tig bei jedem Verfah­ren ein psycho­lo­gi­sches Gutach­ten gefor­dert werden sollte.

Gibt es Beden­ken gegen die persön­li­che Eignung für den Besitz von Spreng­stoff, verlangt die Behör­de ein ärztli­ches Gutach­ten. Nach der Erhebung des Umwelt­mi­nis­te­ri­ums wurde das in den vergan­ge­nen fünf Jahren nur von rund einem Dutzend Antrag­stel­lern verlangt. Die Feststel­lung der persön­li­chen Eignung sei derzeit eine reine Floskel, kriti­sier­te Hilden­brand. Eine Verschär­fung der Regeln sei im Inter­es­se aller, die verant­wor­tungs­voll mit Spreng­stoff umgingen.

Immer wieder horten Menschen gefähr­li­chen Spreng­stoff in ihren Wohnun­gen und Häusern. Der kleine Ort Althüt­te im Schwä­bi­schen Wald schramm­te etwa im Jahr 2008 an einer Katastro­phe vorbei. Bei einer Razzia stießen Polizis­ten bei einem Hobby­bast­ler auf 70 Kilogramm Spreng­stoff und Feuer­werks­kör­per in Eimern und Kisten im ganzen Haus. Der Mann hatte keine terro­ris­ti­schen Motive, dafür aber ein bizar­res Hobby — er hantier­te gerne mit Spreng­stoff und erfreu­te sich ab und zu wohl an einer Spren­gung an abgele­ge­nen Orten, hieß es damals.

Auch Verfas­sungs­fein­de sind im Besitz von Waffen und Spreng­stoff. Im März war bei einer Razzia gegen die Szene eine Durch­su­chung in Reutlin­gen eskaliert — ein mutmaß­li­cher «Reichs­bür­ger» schoss auf einen SEK-Beamten und verletz­te diesen am Arm. Nach Angaben des Innen­mi­nis­te­ri­ums besaß der Sport­schüt­ze vier Waffen­be­sitz­kar­ten, einen Kleinen Waffen­schein — und eine Erlaub­nis zum Besitz von Sprengstoff.

Aufgrund des Reutlin­ger Falls habe er sich bei der Landes­re­gie­rung erkun­digt, wie viele Leute eine solche Erlaub­nis besit­zen, erklär­te Hilden­brand. Ergeb­nis: Fast 15.000 Menschen dürfen mit Schwarz­pul­ver, Nitro­zel­lu­lo­se­pul­ver oder anderen explo­si­ons­ge­fähr­li­chen Stoffen hantie­ren. Allein von März 2022 bis März 2023 nahmen 1145 Menschen in Baden-Württem­berg an Lehrgän­gen im Südwes­ten teil, um die sogenann­te Fachkun­de für eine Spreng­stoff­er­laub­nis zu erwer­ben. «Unser Waffen- und Spreng­stoff­ge­setz verhin­dert nicht, dass Waffen in die falsche Hände geraten», sagte Hilden­brand. «Das ist ein unerträg­li­ches Sicherheitsrisiko.»

Die Jäger im Land sehen hinge­gen keine Notwen­dig­keit für schär­fe­re Geset­ze. Beim sogenann­ten Wieder­la­den werden leere Patro­nen­hül­sen mit Pulver gestopft und wieder­ver­wer­tet. Der Landes­jagd­ver­band verweist auf die Voraus­set­zun­gen, um eine Spreng­stoff­er­laub­nis zu erhal­ten — das Mindest­al­ter von 21 Jahren, Nachwei­se der persön­li­chen Eignung, der Zuver­läs­sig­keit, eines Bedürf­nis­ses und der Fachkun­de mittels eines Lehrgangs. Beim Wieder­la­den gehe es nicht nur um Wirtschaft­lich­keit, sondern auch darum, die passge­naue Muniti­on für den jewei­li­gen Zweck herzu­stel­len, sagte ein Sprecher des Verbands. Auch die Nachhal­tig­keit sei bei der mehrfa­chen Verwen­dung von Patro­nen­hül­sen zu begrü­ßen. Dafür gebe es bereits einen engen recht­li­chen Rahmen.