BERLIN (dpa) — Nach einer Nacht und einem halben Tag voller Beratun­gen hat die Koali­ti­on nichts Greif­ba­res vorzu­wei­sen. Kann das Bündnis nach einer «netten Zwischen­zeit» in den Nieder­lan­den noch zuein­an­der finden?

Die Spitzen­po­li­ti­ker von SPD, Grünen und FDP haben ihre Gesprä­che im Koali­ti­ons­aus­schuss wieder aufge­nom­men. Das erfuhr die Deutsche Presse-Agentur am Diens­tag aus Teilnehmerkreisen.

Im Koali­ti­ons­aus­schuss suchen sie Kompro­mis­se in diver­sen Streit­fra­gen. Dem Verneh­men nach geht es dabei vor allem um mehr Klima­schutz im Verkehrs­be­reich und einen schnel­le­ren Bau von Autobahnen.

Die Spitzen der Ampel-Koali­ti­on hatten ihre Gesprä­che über eine Reihe von Streit­the­men am Sonntag­abend aufge­nom­men, sie am Montag aber am frühen Nachmit­tag unter­bro­chen, weil Bundes­kanz­ler Olaf Scholz (SPD) und mehre­re Minis­ter zu den deutsch-nieder­län­di­schen Regie­rungs­kon­sul­ta­tio­nen in Rotter­dam reisen mussten. CDU, CSU, AfD und Linke werte­ten die Unter­bre­chung als Blama­ge und Armutszeugnis.

Scholz begrün­de­te die Verschie­bung mit der Komple­xi­tät der zu lösen­den Aufga­ben. Es gehe um die Moder­ni­sie­rung Deutsch­lands. «Wir wollen sehr klare, konkre­te Festle­gun­gen treffen, die es möglich machen, dass wir das notwen­di­ge Tempo errei­chen», sagte er in Rotter­dam. «Die gemein­sa­me Überzeu­gung der Regie­rung ist, dass die gesetz­li­chen Regeln, die wir über die letzten Jahrzehn­te so allmäh­lich zusam­men­ge­schraubt haben, nicht zu der Geschwin­dig­keit passen, die wir heute benöti­gen.» Er verwies auf den Ausbau der erneu­er­ba­ren Energien, der Strom­net­ze und der Verkehrsinfrastruktur.

Schar­fe Kritik von Union und Linken

Nach der Ankunft in der nieder­län­di­schen Stadt hatte Scholz gesagt, man habe «sehr, sehr gute Fortschrit­te erzielt». Die bishe­ri­gen Gesprä­che seien sehr vertrau­lich und freund­lich verlau­fen. Die Konsul­ta­tio­nen in Rotter­dam nannte Scholz «eine nette Zwischen­zeit, die wir jetzt hier bei unseren Freun­den in den Nieder­lan­den haben».

CDU-General­se­kre­tär Mario Czaja stell­te im «Tages­spie­gel» die Regie­rungs­fä­hig­keit der Ampel in Frage. CSU-Landes­grup­pen­chef Alexan­der Dobrindt sagte der Medien­grup­pe Bayern: «Aus der Streit-Ampel wird jetzt auch noch die Streik-Ampel, weil es ja an Arbeits­ver­wei­ge­rung grenzt, wenn es nach so vielen Stunden kein einzi­ges Ergeb­nis gibt.» Linken-Chefin Janine Wissler bezeich­ne­te das Ampel-Bündnis im Gespräch mit dem Redak­ti­ons­netz­werk Deutsch­land als «Blocka­de­ko­ali­ti­on».

Klima­schutz im Verkehr als großes Konfliktthema

SPD-General­se­kre­tär Kevin Kühnert beton­te dagegen in der Sendung «RTL Direkt»: «Es ist besser, zwei Tage lang hart um Lösun­gen in wichti­gen Fragen zu ringen, als zwei Jahre lang ohne Lösun­gen in diesen Berei­chen regie­ren zu müssen. Das könnten wir dem Land nicht zumuten. Die zwei Tage sind, glaube ich, mit viel Augen-Zudrü­cken schon zumutbar.»

Die Spitzen des Bündnis­ses wollten im Kanzler­amt eine lange Liste von Streit­punk­ten abarbei­ten. Als größtes Konflikt­the­ma deute­te sich vorab der Klima­schutz im Verkehr an — denn hier muss die Bundes­re­gie­rung eine Trend­wen­de schaf­fen. Laut Umwelt­bun­des­amt stiegen die Treib­haus­gas­emis­sio­nen in diesem Bereich zuletzt, anstatt zu sinken, wie es eigent­lich nötig wäre. Vor allem die Grünen verlan­gen von Verkehrs­mi­nis­ter Volker Wissing mehr Anstren­gung. Dessen FDP lehnt aber nicht nur ein generel­les Tempo­li­mit auf deutschen Autobah­nen und eine Reform der Dienst­wa­gen­be­steue­rung strikt ab.

Auch bei anderen Fragen war der Ton in der Koali­ti­on zuletzt rau geworden:

Austausch von Öl- und Gasheizungen

Die Grund­idee ist in der Koali­ti­on eigent­lich längst verein­bart: Ab 2024 sollen möglichst nur noch solche Heizun­gen neu einge­baut werden, die zu mindes­tens 65 Prozent mit erneu­er­ba­ren Energien betrie­ben werden. De facto bedeu­tet das ein Aus für konven­tio­nel­le Öl- und Gashei­zun­gen. Habeck goss das in einen umstrit­te­nen Gesetz­ent­wurf. SPD und FDP betonen beide, Hausbe­sit­zer und Mieter dürften nicht überfor­dert werden. Auf der Suche nach einem Kompro­miss war die Ampel schon vor dem Spitzen­tref­fen voran­ge­kom­men — ohne dass bisher Details durchsickerten.

Finan­zie­rung der Kindergrundsicherung

Ab 2025 soll die Kinder­grund­si­che­rung die staat­li­chen Leistun­gen für Famili­en und Kinder bündeln. Umstrit­ten ist, was alles dazuge­hö­ren soll. Famili­en­mi­nis­te­rin Lisa Paus (Grüne) will eine Aufsto­ckung, weil die bishe­ri­gen Hilfen ihrer Meinung nach Kinder­ar­mut nicht ausrei­chend bekämp­fen. Sie hat deshalb einen Bedarf von zwölf Milli­ar­den Euro angemel­det. Lindner hält Aufsto­cken nicht für zwingend, weil die Koali­ti­on gerade das Kinder­geld angeho­ben habe.

Unter­schied­li­che Haltung beim Geldausgeben

FDP-Politi­ker mahnten vor dem Koali­ti­ons­aus­schuss wieder­holt Diszi­plin bei den Finan­zen an — vor allem mit Blick auf den ausste­hen­den Bundes­haus­halt für 2024. «Alle Koali­ti­ons­par­tei­en müssen die aktuel­len finanz­po­li­ti­schen Reali­tä­ten anerken­nen», sagte General­se­kre­tär Bijan Djir-Sarai. Aller­dings hätten die drei Partei­en kein gemein­sa­mes Grund­ver­ständ­nis in dieser Frage.