STUTTGART (dpa/lsw) — Zehntausende Geflüchtete und Migranten nimmt der Südwesten auf. Sie müssen untersucht werden, sie müssen ein Dach über dem Kopf bekommen und im besten Fall eine Ausbildung erhalten. Die Kommunen warnen schon lange. Nun appellieren sie an den Bund — und werden deutlich.
Angesichts der steigenden Zahlen von Flüchtlingen aus der Ukraine und anderen Ländern appellieren die Gemeinden, Städte und Kreise an die Verantwortung des Bundes und warnen vor einer sinkenden Akzeptanz der Menschen im Land. Die Geflohenen könnten nicht weiter über die Kommunen auf Unterkünfte verteilt werden, fordern die drei kommunalen Dachverbände Baden-Württembergs in einer Erklärung. Vielmehr müsse es nationale Ankunftszentren geben, in denen sie erfasst, registriert und verteilt werden könnten, heißt es in der «Stuttgarter Erklärung für eine realitätsbezogene Flüchtlingspolitik», die der Gemeinde‑, der Städte- und der Landkreistag am Dienstag in Stuttgart veröffentlichen wollen. Die zwölf Forderungen liegen der Deutschen Presse-Agentur vor.
«Der Bund hat die Verantwortung für die Asylverfahren und ist zugleich als Gesetzgeber auch zuständig für die Zugangsregeln in die Bundesrepublik Deutschland», argumentieren die Verbände. Einzig die die Länder und Kommunen schüfen allerdings die Aufnahmekapazitäten. Das gelte auch für Menschen, die keine Bleibeperspektive hätten. Der Bund solle «eine eigene operative Verantwortung bei der Aufnahme der nach Deutschland flüchtenden Menschen übernehmen», fordern die Kommunen und Kreise.
In den nationalen Zentren solle schneller geprüft werden, ob Menschen bleiben dürften, und sie müssten anderenfalls direkt aus den Ankunftszentren heraus abgeschoben werden. «Dies würde die Rückführung vereinfachen und zugleich die erforderliche Rückführungskonsequenz verdeutlichen», heißt es in der Erklärung. Flüchtlinge sollten nur noch weiterverteilt werden, wenn sie eine Bleibeperspektive hätten. Notwendig sei es zudem, bestehende Abschiebe-Abkommen mit anderen Staaten zu erweitern oder Gespräche mit neuen Herkunftsstaaten aufzunehmen.
Vor dem Hintergrund des massiven Fachkräftemangels muss aus Sicht der Kommunen zudem Druck gemacht werden auf Geflüchtete, die arbeiten oder sich gemeinnützlich engagieren können. Erwerbsfähige Geflüchtete, die keine Arbeitsstelle erhalten, sollten grundsätzlich verpflichtet werden, «einer Tätigkeit im öffentlichen Interesse» nachzugehen, zum Beispiel im Alten- und Pflegebereich und verbunden mit einem Sprachkurs. «Die Ausübung derartiger Tätigkeiten kann eine gute Basis für eine anschließende Berufsausbildung oder Berufstätigkeit und damit für eine gelingende Integration sein», argumentieren die Verbände.
Zusätzliche Wohnungen, mehr Kitaplätze und bessere Schulversorgung sind nötig — die Kreise, Städte und Gemeinden sehen sich vom Personalmangel noch zusätzlich ausgebremst. «Der massive Fach- und Arbeitskräftemangel schlägt hier voll durch, und zwar in allen Bereichen — von den Ausländerbehörden über die Jugendämter bis zur Verwaltung von Immobilien», beklagen die Verbände in der Erklärung. Standards müssten gesenkt, bürokratische Verfahren vereinfacht werden. Als Beispiele nennen die Verbände die Anforderungen an die Unterbringung von älteren unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen, die Abrechnung von Flüchtlingskosten und die Dokumentationspflicht.
Das Dilemma zwischen der humanitären Pflicht und dem faktisch Möglichen werde immer größer, heißt es warnend in der Erklärung. Selbst die in großer Zahl zusätzlich geschaffenen Kapazitäten seien nahezu und fast überall erschöpft, Mitarbeiter am Rande ihrer Leistungskraft, Kitas und Schulen überlastet. «Die Gefahr, dass sich die Akzeptanz für Migration in der Gesellschaft merklich verschlechtern wird, ist leider reell», warnen die Kreise und Kommunen.