ROTTENBURG AM NECKAR (dpa) — Er hat schon Eiscreme aus Gorgon­zo­la gefer­tigt, aus Leber­wurst und mit 24-karäti­gem Gold. Aber die neues­te Kreati­on eines Eisver­käu­fers aus Baden-Württem­berg ist nichts für empfind­li­che Mägen.

Der Mann kommt auf jeden Fall gleich zur Sache. «Traut ihr euch?», fragt Thomas Micoli­no heraus­for­dernd, wenn man seine Eisdie­le betritt. Die Frage bezieht sich auf den Inhalt des Metall­be­häl­ters, der da ganz links an der Theke auf die Kunden wartet. Vier Kilo frische, hellbrau­ne Eiscreme liegen da, drapiert auf einem grünen Kunst­ra­sen, sorgfäl­tig abgetrennt von den restli­chen, üblichen Sorten, von Malaga, Mango und Schoko­la­de. Sicher­heits­ab­stand vom Spezi­a­leis — damit sich die Gäste nicht ekeln.

Eine Verwechs­lung ist sowie­so ausge­schlos­sen. Die spezi­el­le Eiscreme ist garniert mit getrock­ne­ten braunen Insek­ten. Tote Grillen mit stache­li­gen Hinter­bein­chen und langen Fühlern schmü­cken das Speise­eis. Damit klar wird, dass genau das drin ist: Getrock­ne­te Heimchen, Acheta domesti­cus, Hausgril­len. In jeder anderen Küche würde man bei diesem Anblick nach einem kurzen Aufschrei den Kammer­jä­ger rufen. Bei Thomas Micoli­no hört man die Frage: «Waffel oder Becher?»

Micoli­no, 33 Jahre alt, führt eine eher ungewöhn­li­che Eisdie­le, mitten auf dem Markt­platz im beschau­li­chen Rotten­burg am Neckar, zwischen Schwä­bi­scher Alb und Schwarz­wald. Immer wieder sorgte er mit seinen Kreatio­nen für Aufse­hen. Einmal stell­te er eine Eissor­te mit echtem Blatt­gold her («Musste ich wieder einstel­len, vier Euro die Kugel war für viele zu teuer»), auch Gorgon­zo­la oder Leber­wurst bot er schon als Sorten an. Nun produ­ziert er Eis aus Insekten.

Neues EU-Recht macht’s möglich

Warum? Vor allem weil Micoli­no laut Gesetz­ge­bung nun darf. Seit wenigen Tagen dürfen Hausgril­len nach EU-Recht in Lebens­mit­teln verwen­det werden. Die knusp­ri­gen Krabbel­tier­chen dürfen nun gefro­ren, getrock­net oder als Pulver verwen­det werden, ebenso wie die Larven des Getrei­de­schim­mel­kä­fers. Ähnli­che Regeln gibt es bereits für Wander­heu­schre­cken und Larven des Mehlkäfers.

Insek­ten gelten als nahrhaft und reich an Prote­inen, sie zählen in vielen Ländern zur gewöhn­li­chen Küche. Die Verbrau­cher­zen­tra­le Hamburg spricht bislang von einem ganz kleinen Nischen­markt. Aber Insek­ten können zu einer nachhal­ti­gen Ernäh­rung beitra­gen, da sie verhält­nis­mä­ßig ressour­cen­scho­nend gezüch­tet werden können. «Das wird eine große Rolle spielen in der Ernäh­rung der Mensch­heit in Zukunft», meint Minis­ter­prä­si­dent Winfried Kretsch­mann (Grüne).

Micoli­no behaup­tet, er habe die erste deutsche Eisdie­le mit Insek­ten-Eis, überprü­fen lässt sich das schwer. Es soll kein Marke­ting­gag sein, ihn habe einfach die Lust am Experi­men­tie­ren getrie­ben. Er habe selbst schon Insek­ten im Urlaub probiert, auch Schlan­ge und Kroko­dil, berich­tet er. «Mir wird langwei­lig, wenn ich immer dassel­be mache.» Monate­lang hat er in seiner kleinen Eisfa­brik im Hinter­zim­mer herum­pro­biert, an der richti­gen Kompo­si­ti­on mit dem Krabbel­tier gearbei­tet, den Geschmack verfei­nert. Er bezieht die Grillen aus einer Zucht aus der Region, kocht das Pulver extra nochmal ab bei 90 Grad. Um vier Kilo Eis herzu­stel­len, braucht er 200 Gramm Heimchen-Mehl, dazu unter anderem Sahne, Zucker, Milch, Vanil­le, Cookies und Wildho­nig aus dem Schwarzwald.

Großer Andrang und media­le Aufmerksamkeit

Aber natür­lich freut sich der Eisver­käu­fer über die Aufmerk­sam­keit für seinen kleinen Laden. Nach einem Insta­gram-Post über das Insek­ten-Eis melde­te sich die örtli­che Zeitung, seitdem geben sich die Journa­lis­ten die Klinke in die Hand. Eigent­lich wollte er sein Insek­ten-Milch­eis nur ein paar Tage anbie­ten, aber nun verlän­gert er aufgrund des Andrangs die Aktion.

Die Kunden schwan­ken zwischen Neugier­de und Ekel. Ein älterer Herr spaziert in die Eisdie­le, er stellt sich als Micoli­nos Nachbar vor. «Ich habe draußen zwei tote Mäuse gefun­den», ruft er fröhlich und grinst. «Wollen wir auch Eis daraus machen?» Er selbst esse ja lieber Schnit­zel und Spätz­le, sagt er. Aber Mut habe der Micoli­no schon.

Viele Kunden wollen zumin­dest einmal probie­ren. «Sonst kann ich nicht mitre­den», sagt einer, der gerade genüss­lich eine Porti­on Grillen-Eis aus der Waffel schleckt. Ins Dschun­gel­camp, sagt er, würde er zwar nicht gehen, aber so ein wenig Insek­ten-Eis finde er nicht eklig. «Solan­ge mich keine Augen dabei angucken», sagt er. Nussig schme­cke es. «Hafer­flo­ckig, etwas bitter», urteilt ein weite­rer Kunde.

Bislang sei niemand, der probiert habe, enttäuscht gewesen, berich­tet Micoli­no. Aber die Reakti­on fällt bei Weitem nicht nur positiv aus. In den sozia­len Medien haben empör­te Follower ihm die Kundschaft aufge­kün­digt. Er präsen­tiert auf seinem Handy eine Wut-Mail. «Müssen Sie jeden Sch… mitma­chen?» schreibt ihm da einer. Der Eisver­käu­fer kann das nicht verste­hen, schließ­lich zwinge er die Menschen ja nicht dazu, sagt er. «Das ist nur eine Kopfsa­che.» Jeder, der dagegen sei, solle vorbei­kom­men und probie­ren. Er lockt seine Kunden sogar mit einem Angebot: Jeder, der eine Kugel Insek­ten-Eis bestellt, bekommt eine zweite Kugel seiner Wahl spendiert.

Von Nico Point­ner, dpa